Die Sorgen der Killer

  • Kulturmaschinen
  • Erschienen: Januar 2011
  • 2
  • Berlin: Kulturmaschinen, 2011, Seiten: 130, Originalsprache
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Jochen König
88°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2011

... killed all the love I ever had

Ja, liebe Leserinnen und Leser, 12,90 € für 125 Seiten sind viel Geld. Aber mal ehrlich: Lieber 125 Seiten mit Raum zum Nachdenken für das fünffache, als einen fetten Wälzer mit dem Inhalt einer ausgepressten Zitrone. Okay, blutige Morde gehen immer, feist ausgewalzt und mit abstrusen Motiven versehen, kann man Zeilen schinden und kaum einer merkt, dass es wesentlich eindrücklicher funktioniert, wenn man sich auf das Wesentliche beschränkt und die hirnrissige Motivation da lässt, wo sie hingehört: In den Abfallkorb neben dem Schreibtisch.

Und das kann Rohm: Komprimieren bis auf´s Skelett, das nackt und bloß daliegt, sodass es beim bloßen Ansehen schmerzt.

Die Titelgeschichte ist mit vierzehn Seiten das Opus Magnum des vorliegenden Bandes, eine Variation des großartigen Einstiegs "Oktober". Ein Killer kommt von der Arbeit. Oder geht dorthin. Egal. Er ist ein Profi. Der leider seiner Arbeit mit Lust nachgeht. Innenansichten eines Mörders, der nicht mehr weiß, wie viele Menschen er getötet hat. Schon gar nicht, ob beruflich oder aus Berufung.

Ein präzises Protokoll des Tötens. Alltägliche Verrichtung. Gewürzt mit der Befriedigung, dass es den eigenen Vorgaben folgt. Guido Rohm urteilt nicht. Er überlässt seinen Figuren das Wort. Und die schwingen keine ellenlangen Reden, sondern beschreiben nur knapp ihren Arbeitsplatz. Moral, Reue, Bedenken, Mitleid – Fehlanzeige. Ein kurzes Innehalten vielleicht wie in "Offline", Rohms Kommentar zum Torture Porn á la "Hostel". Ein Folterknecht berichtet, und ja, es tut ihm leid, aber ihr müsst auch verstehen, er hat eine schwere Jugend hinter sich, Vater abgeschlachtet, Heime mit brutalstem Missbrauch im Keller, Vater unser im Himmel dabei – wo sonst; Opfer müssen gebracht werden. Besser ihr als ich. Die Erde dreht sich ungerührt weiter.

So soll es sein: Der Autor überlässt seinen Figuren das Feld. Und bleibt dabei doch immer präsent. Wie in "!toT", dessen Beginn das Ende ist. Der Titel verrät’s. Kunstvoll auf unspektakuläre Weise, wird das beiläufige Sterben zu einem Akt wahrhaft roher Gewalt. Eine falsche Abzweigung, ein flapsiger Satz und das Ende naht mit Stiefeltritten.

Nicht nur hier zeigt sich Rohms Fähigkeit den Leser über den Verlauf der eigentlichen Geschichte zu beschäftigen. Ohnmacht, Wut, Nachdenken – mindestens drei Felder sind frei. Jedes kann betreten werden.

Andernorts: Tarnung und Täuschung. Der berechnende Killer, der sich als Dorftrottel tarnt. Ausleben der niedersten Bedürfnisse: So einfach, die Manipulation, die feige Vollstreckung, den eigentlich intendierten Feind fest im Angesicht. Am Ende ein perfider Witz, der über die Armseligkeit des eigenen Lebens nicht hinwegtäuschen kann. So viele Pläne gemacht, so viele Fassaden aufgebaut, nur um der Zerstörung willen. Der Depp, der glaubt, dass er nur so tut und keiner ist, ist wirklich einer. Kann sich noch nicht einmal herausreden, dass er nicht zwischen Wahn und Wirklichkeit unterscheiden kann. Davon handeln "Unterwelt", "Spion der Nacht", "Fußstapfen im Schnee", "Deine Frau geht fremd". Die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit verschmelzen nicht, sie bleiben offen. Die Saat des Zweifels wird gesetzt. Ist die Realität der Erzähler wirklich nur die eigene? Die Antwort muss sich der Leser schon selbst geben. Wie der Ehemann, der unter seinem Scheibenwischer einen handgeschriebenen Zettel findet. "Deine Frau geht fremd!" Das reicht um die Brüchigkeit der eigenen Existenz offensichtlich werden zu lassen. Guido Rohm beherrscht das. Die Unsicherheit in Worte zu fassen, das Dunkle in Räume stellen und daraus hervor zu führen. Aber nicht ins Licht, sondern in eine andere Art der Dunkelheit. Das führt natürlich zu Paradigmen der vereinfachten Form: misshandelt als Kind, missachtet als Jugendlicher, missbraucht das ganze Leben lang: WO soll das schon hinführen? "Die Sorgen der Killer" gibt Antworten, verpackt als Fragen. Leser lies und zwischen den Zeilen verbergen sich Abgründe.

Neben "!toT" der Höhepunkt des Buchs: "Noch 2 Stunden". Was beginnt wie die Geschichte eines potentiellen Killers wird zur Studie eines Opfers. Rohm zeigt das Sichtbare, die eindeutigen Hinweise und wie unscheinbar sie sind. Keine plakative Anklage, kein Schulmobbing auf dem Handy festgehalten, das zu einer Wahnsinnstat mutiert. Stattdessen werden Vorstellungen Wirklichkeit. Aber auf ganz andere Art als es sich der vorgebliche Erzähler erträumt.

Rohm spielt mit Erwartungshaltungen, bricht sie binnen Sätzen und schafft es, seine Leser nicht zu verarschen. Der harmlose Erzähler mit der Arzttasche ist nicht der Mörder, der im heimeligen Rund vorm Kamin überführt wird. Viel komplexer und gleichzeitig einfacher: Opfer sterben, aus Opfern werden Täter und umgekehrt; Überzeugungen überwiegen alles. "Die Sorgen der Killer" eine Bestandsaufnahme: Geschichte und Autobiographie verschmelzen, letztlich läuft alles darauf hinaus, das eigene Leben mit Bedeutung zu füllen. Die Killer sorgen sich nicht darum, dass sie ethisch-moralische Grundsätze verletzen, die conditio humana vehement verletzen, sondern wie lange es so weitergehen kann. Kleine Portraits aus einer Welt, deren Maßstab Zerstörung heißt. Wenn der Sinn des Lebens der Tod ist – was bleibt?

 

Man springt im Kopf von Zimmer zu Zimmer. Einem Zimmer mit Killern. Einem Zimmer ohne Killer.
Beide Bilder erzählen etwas über die Stille. Beide Bilder sprechen von Einsamkeit.
Sie nicken und bedanken sich bei den Bildern. Sie treten zurück. Sie haben die Zimmereindrücke vor Wochen gemalt. Nun hängen die Bilder in einer stadtbekannten Galerie. […] Die Killer warten auf einen Auftrag, der sie aus dem Zimmer befreit.

 

Nicht warten. Malen. Mehr davon.

Die Sorgen der Killer

Guido Rohm, Kulturmaschinen

Die Sorgen der Killer

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