Ich. Darf. Nicht. Schlafen

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 2011
  • 35
  • Frankfurt am Main: Scherz, 2011, Seiten: 397, Übersetzt: Ulrike Wasel & Klaus Timmermann
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Sabine Bongenberg
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2011

Keine Schlaftablette

Wenn häufig kritisiert ,wird, dass sich viele Autoren für ihre Geschichten keine Zeit mehr nehmen und den Leser quasi im Schweinsgalopp durch die Handlung hetzen, so kann sich S.J. Watson diesem Vorwurf sicherlich nicht machen. Der Leser wird detailliert in Christines Tagesablauf eingeführt, der nach einem recht fulminanten Start, in dem ihre Behinderung erstmals erklärt wird, offensichtlich keine besonderen Höhen oder Tiefen aufweist. Dennoch beginnt diese augenscheinlich intakte Welt mit fortschreitender Lektüre zu bröckeln, finden sich doch immer mehr Indizien dafür, dass offensichtlich die Amnesie nicht der einzige weiße Fleck im Leben der Protagonistin darstellt. Hier gelingt Watson aufgrund des Krankheitsbildes seiner Heldin die spannende Konstruktion, dass diese selbst in ihrem Leben ermittelt, ist für sie doch jeder vergangener Tag der Vergangenheit eine unbeschriebene und damit unbekannte Seite. Bewerkstelligt wird die Recherche im eigenen Leben mit Hilfe eines Tagesbuches, das allein die Brücke zu den Erinnerungen des vergangenen Tage bildet. Aber auch diese Brücke kann keine eindeutige und abschließende Hilfestellung bieten, erscheint sie doch der Protagonistin und auch dem Leser als Aufzeichnungen einer Fremden über deren Motive, Einschätzungen und auch nicht zuletzt über deren Geisteszustand zumindest einige Zweifel angebracht sind.

Im Zuge der Nachforschungen zu ihrem eigenen Leben müssen sowohl Christine als auch der Leser, der ihr bei ihrer Suche über die Schulter schaut, feststellen, dass viele Ungereimtheiten verhindern, dass sich das Leben der Heldin zu einem klaren und stringenten Bild zu-sammenfügt. Diese Fragezeichen sorgen auch dafür, dass sich der Leser zwischen ver-schiedenen Personen und Sympathien hin und hergerissen fühlt: Ist es nicht bewundernswert, mit welch aufopfernder Liebe Christines Ehemann sich um seine Frau kümmert und wie er ihr geduldig hilft ihren Alltag zu bewältigen? Hat nicht Christines Ehemann dafür gesorgt, dass sie von ihren Freundinnen und ihrem Arzt quasi isoliert wurde und sie damit in eine erhebliche Abhängigkeitsposition gebracht? Versucht nicht Christines Mann sie vor den schlimmsten Schatten der Vergangenheit zu schützen, auch wenn er ihr damit manchmal etwas verschweigen muss? Modelt Christines Mann nicht die Vergangenheit in seinen Erzählungen so um, wie es ihm gerade passt und verfolgt er damit nicht sein eigenes Ziel? Durch dieses ständige Hin und Her sieht sich der Leser zunehmend in die Rolle der Christine gedrängt. Wem kann man vertrauen? Wer lügt, betrügt, verschweigt und war die eigene Rolle in der Vergangenheit überhaupt positiv besetzt? Durch dieses Wechselspiel gelingt dem Autor ein durchgehender Spannungsbogen, der seinen Höhepunkt in der Auflösung der Geschichte erfährt.

Dennoch muss auch festgehalten werden, dass der große Vorteil der ruhigen Erzählweise ebenso das größte Manko darstellt, wird doch das geduldige Sammeln von Informationen rund um Christines Leben gelegentlich als quälend langsam empfunden. Hier hätte es der Spannung nicht geschadet, wenn das Tempo gelegentlich gestrafft und die Handlung voran-getrieben worden wäre. Dieses Vorantreiben überlässt der Autor dagegen dem Showdown auf den letzten Seiten und vielleicht liegt es an diesem plötzlichen Tempo, dass dem Leser diverse Erklärungen teilweise ungereimt scheinen.

Trotzdem schadet auch diese kleine Beeinträchtigung nicht dem Lesevergnügen, zeigt der Autor doch auch bei seiner Konstruktion des Happy Ends, dass auch hier keine endgültige Klarheit besteht. Am Ende des Buches und damit eines mehr als ereignisreichen Tages steht der Leser neben der erschöpften Heldin, die nunmehr mit einem Hoffnungsschimmer in die Zukunft blicken kann. Ob sich ihre Hoffnungen erfüllen, wird allerdings erst der nächste Morgen belegen und vor dem steht die Nacht mit ihrem Schlaf.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen

S. J. Watson, Scherz

Ich. Darf. Nicht. Schlafen

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