Vergib uns unsere Sünden

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2010
  • 2
  • London: Orion, 2008, Titel: 'A simple act of violence', Seiten: 500, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2010, Seiten: 671, Übersetzt: Walter Ahlers
Vergib uns unsere Sünden
Vergib uns unsere Sünden
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Jürgen Priester
84°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2011

Geheiligte Monster

Der Brite Roger Jon Ellory ist mit seinen neun Romanen Bestseller-Autor auf der Insel. Schon sein Debüt "Candlemoth", das in Deutschland unter dem Titel Eine Zeit aus Feuer veröffentlicht wurde, brachte ihm eine Nominierung für den Steel Dagger, dem Preis für den besten britischen Thriller des Jahres. Für seine Folgeromane gab es weitere Nominierungen und Preise. Bei uns immer noch ein Unbekannter, wäre auch die deutsche Erstausgabe seines 2008 erschienenen "A simple Act of Violence" untergegangen. Der Goldmann-Verlag hat mal wieder tief in seiner Gebete- und Psalmen-Kiste gewühlt und die deutsche Leserschaft mit dem Titel Vergib uns unsere Sünden beglückt. Ein Titel, der an Elizabeth George oder Deborah Crombie mit entsprechendem Ambiente denken lässt und der den Leser in eine falsche Richtung schickt. Ellorys Roman ist eine Mischung aus Police Procedural und Agenten/Politthriller. Er spielt in Washington DC im Jahre 2006. Eine weitere Irreführung könnte die Betonung des Serienmörder-Themas im Klappentext sein. Obwohl die Geschichte mit einer Mordserie beginnt, bietet Vergib uns unsere Schuld mordenden Psychos keine Spielwiese.

Detective Robert Miller vom 2. Revier in Washington DC untersucht zusammen mit seinem Partner Al Roth einen Tatort. Eine erwürgte und malträtierte Frau scheint das vierte Opfer eines Serienmörders geworden zu sein – der gleiche Modus Operandi wie in den 3 Fällen zuvor, auch die Signatur, eine um den Hals gelegte Schnur mit einem Adress-Anhänger stimmt überein. Doch einige Abweichungen im Tatablauf irritieren Miller. Da die vorherigen Fälle in anderen Revieren behandelt wurden (und das ziemlich nachlässig), muss er sich erst in die Materie einarbeiten. Schnell stellt er fest, dass die vier Frauen eine weitere Gemeinsamkeit hatten, sie lebten alle unter falscher Identität. Trotz aller Bemühungen führt der Versuch, ihre Vergangenheit zu erhellen, ins Leere. Weil Miller in dieser Richtung nicht weiter kommt, stellt er zum wiederholten Male die Wohnung der zuletzt ermordeten Catherine Sheridan auf den Kopf und siehe da, er wird doch noch fündig. Drei Fotos zeigen eine sehr viel jüngere Catherine an der Seite eines unbekannten Mannes. In Ermangelung anderer Ansatzpunkte lässt Miller das Konterfei des Mannes technisch altern und gibt es zur Fahndung heraus. Hinweise aus der Bevölkerung deuten auf den College-Professor John Robey. Hat dieser allseits beliebte Dozent etwa eine dunkle Vergangenheit?

Parallel zu Millers Ermittlungen stellt ein nicht genauer definierter Mann seine Lebensgeschichte vor. Er erzählt aus der Ich-Perspektive. Beginnend, als er in seinem letzten Collegejahr von den Talentsuchern der CIA angesprochen und nach einigen Eignungstests in deren Reihen aufgenommen wird. Dort erhält er eine Spezialausbildung als Auftragskiller. Als "geheiligtes Monster" bezeichnet der Autor die CIA und deren anonyme Auftraggeber, aber auch Agenten vor Ort wie der junge Unbekannte sind "geheiligte Monster" - Menschen, die unter dem Mäntelchen hehrer Ziele Verbrechen begehen. Sein erster Auftrag führt den Unbekannten nach Nicaragua. Es ist Anfang der 1980er Jahre. Nach dem Sturz des Somoza-Regimes sind dort die Sandinisten an der Macht, ganz zum Missfallen der USA. Die US-Regierung unter Reagan setzt alle Hebel in Bewegung, das mittelamerikanische Land zu destabilisieren. Jedes Mittel ist recht, die vermeintlichen Kommunisten zu stürzen: Wirtschaftsblockade, Verminung von Häfen, gezielte Tötungen, Waffenlieferungen an die vom Ausland operierenden Contras. Der unbenannte Killer, vorschriftsmäßig indoktriniert, aber anscheinend nicht ausreichend, erfährt von einem Todeskandidaten in dessen letzten Minuten, welches monströse Spiel die Amerikaner hier aufgezogen haben, dass u.a.die Waffenlieferungen an die Contras mit Drogengeld bezahlt werden. Von seinen ersten Zweifeln bis zum endgültigen Ausstieg aus dem "Geschäft" vergehen noch einige Jahre und der Unbekannte durchläuft noch etliche Stationen, aber er schafft den Absprung. Im Jahre 2006 begegnet er Detective Miller.

Vergib uns unsere Sünden ist für den reinen Thriller-Fan eher ungeeignet. Die Gegenwartsgeschichte, die Aufklärung der Morde, ist zwar rasant und spannend – man fiebert so richtig einer Lösung entgegen – doch die ausführlich dargestellte Vita des Unbekannten dominiert die erste Hälfte des Romans und ist dem Thriller ein Bremsklotz am Bein – das ist jetzt gar nicht negativ gemeint. Was Ellory über die amerikanische Interventionspolitik zu schreiben weiß – Gottlob ist er Brite und hat die nötige Distanz – kann man nur mit glühenden Ohren verfolgen. Politik ist hier nicht als Hintergrundmusik gedacht, sondern bestimmt maßgeblich den Verlauf der Handlung. Die CIA ist zwar der Auslandsgeheimdienst der USA, das heißt aber nicht, dass sie nicht innerhalb der Landesgrenzen aktiv ist. So sieht sich Detective Miller plötzlich von einer Reihe Mit- und Gegenspieler umkreist, die er gar nicht einzuordnen weiß.

Detective Miller ist ein Ermittler aus der Hardboiled-Schule, Michael Connellys Harry Bosch nicht unähnlich. Ein hartarbeitender "Lonely Wolf", der – und das ist sehr wohltuend – mal nicht der Trunksucht verfallen ist, wie viele seiner Kollegen. Auch muss er sich nicht mit dem Ballast familiärer Probleme oder den Wunden vergangener Beziehungen herumschlagen. In seinem Werben um die Gunst der attraktiven Gerichtsmedizinerin Marylin Hemmings ist er rührend pubertär, was ihn sehr sympathisch macht. Seine große An- und Herausforderung ist und bleibt sein Job. Im aktuellen Fall wendet er seine besondere Aufmerksamkeit dem potenziellen Gegenspieler Professor Robey zu, der die Schlüssel zur Lösung des Komplotts in der Hand zu haben scheint. Die Rededuelle der beiden in den Verhören sind jedes Mal eine kleine Prise Salz in der eh schon würzigen Suppe de Geschichte. Die vermeintlichen Kontrahenten sind sich aber zu ähnlich, auch in ihren Ansichten, als dass sie auf Dauer einander Feind sein könnten. Wie im richtigen Leben gibt es am Ende keine Gewinner, außer denen ganz oben, die immer gewinnen. Detective Miller kann zwar die Morde aufklären, aber es fehlt ihm die Befriedigung, die Hintermänner erwischt zu haben.

Bei einem Umfang von 670 engbedruckten Seiten kann man schon von Überlänge sprechen und in der Tat hätten einige Passagen durchaus eine Kürzung vertragen. Aber andererseits möchte man als Leser, wenn man gut unterhalten wird, immer weiter lesen. Nimmt man mal das Etikett Thriller, was in der Regel für Tempo und Action, aber auch für Oberflächlichkeit steht, beiseite, so bietet Vergib uns unsere Sünden Krimispannung zu einem komplexen politischen Thema, das auch heute noch aktuell ist, nur dass die Ländernamen jetzt andere sind. Schaut man sich die Spannungsliteratur der letzten Jahre an, bekommt man den Eindruck, dass es in der Welt nur so von Serienmördern wimmelt und dass bei fast allen traumatisierende Fehlentwicklungen in der Kindheit ursächlich für ihre Taten sind. Das hat aber mit der Realität eher weniger zu tun – Ausnahmen bestätigen die Regel. Morde, auch Mordserien, so sie denn als solche erkannt werden, aus politischen Motiven sind doch viel wahrscheinlicher. Verschwörungstheoretiker verweisen da sehr gerne auf die mysteriösen Todesfälle unter den Zeugen nach der Ermordung John F. Kennedys.
Die Vermischung von realitätsnaher Fiktion und Realität ist am besten dazu geeignet, den Leser in das Geschehen mit einzubinden. Das ist Ellory ganz hervorragend gelungen. Geschichtlich Interessierte werden an dieser fast übersehenen Perle aus dem Jahr 2010 Gefallen finden. Tag der Sühne, ein weiterer Krimi aus Ellorys Feder, erscheint im Oktober 2011. Wir werden darüber berichten.

Vergib uns unsere Sünden

R. J. Ellory, Goldmann

Vergib uns unsere Sünden

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