Geistertanz

  • Hoffmann & Campe
  • Erschienen: Januar 2000
  • 3
  • New York: Avon Books, 1999, Titel: 'Ghost Dance', Seiten: 339, Originalsprache
  • Hamburg: Hoffmann & Campe, 2000, Seiten: 380, Übersetzt: Lutz Kliche
  • München: Goldmann, 2002, Seiten: 377, Übersetzt: Lutz Kliche
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2010, Titel: 'Mystic: der Tanz - die Vision - der Tod', Seiten: 396
Geistertanz
Geistertanz
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Michael Drewniok
50°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Ein durchschnittlicher Krimi, der sich ein wenig zu wichtig nimmt

Lawton in den Green Mountains im US-Bundesstaat Vermont, im Frühjahr 1998: Der Dokumentar-Filmer Patrick Gallagher besucht den kleinen, abgelegenen Ort, um für ein neues Projekt zu recherchieren. Um die Jahrhundertwende hat der Gemeinde- Pfarrer Pater Victor D´Angelo in Lawton angeblich zahlreiche Dorfbewohner durch das Auflegen seiner Hände vor dem sicheren Tod bewahrt. War D´Angelo ein Heiliger? Pater McColl, der heute die Gemeinde Lawton leitet, hat das komplizierte kirchliche Verfahren in Gang gesetzt, durch das D´Angelo selig oder sogar heilig gesprochen werden könnte. Über diesen Mann und seine Geschichte will Gallagher einen Film drehen.

In Lawton werden Fremde mit Misstrauen bedacht - besonders, wenn sie womöglich die Kür eines eigenen Ortsheiligen gefährden könnten! Das stellt Gallagher rasch fest, als er sich um eine Unterkunft bemüht. Erst Andromeda "Andie" Nightingale, die als Sergeant für die Kriminalpolizei des Ortes arbeitet, ist bereit, ihm eine Hütte zu vermieten. Sobald Gallagher sich eingerichtet hat, drängt es den passionierten Angler zum Bluekill River. Nach kurzer Zeit geht ihm ein wahrhaft kapitalen Brocken an den Haken: die Leiche des brutal ermordeten Zahnarztes Hank Potter.

Andie Nightingale findet unter den Hinterlassenschaften Potters eine seltsame Zeichnung, die laut Gallagher Charun darstellt, den mythologischen Fährmann der Seelen in das Reich der Toten. Soviel humanistische Bildung lässt den Filmmann für Chief Mike Kerris und Lieutenant Brigid Bowman, Nightingales Kollegen bei der Polizei, umgehend zum Hauptverdächtigen aufsteigen. Der Druck auf Gallagher wächst, als weitere Morde "Charuns", wie der Killer bald genannt wird, Lawton in Unruhe versetzen. Dennoch kann Gallagher Nightingales Vertrauen gewinnen und sie bei ihren Ermittlungen unterstützen. Sie finden heraus, dass Charun es auf die Besitzer eines mysteriösen Tagebuchs abgesehen hat, das die junge Indianerfrau Sarah Many Horses - eine Nichte Sitting Bulls - vor mehr als einem Jahrhundert niedergeschrieben hat und das nach ihrem Tode aufgeteilt wurde. Die Aufzeichnungen werfen ein äusserst unvorteilhaftes Licht auf die damals wie heute die Geschicke Lawtons bestimmenden Familien. Schlimmer noch: Many Horses starb unter grotesken Umständen, die auch Pater D´Angelo in den Kreis der Verdächtigen ziehen. Will Charun die Spuren dieser alten Kollektiv-Schuld tilgen?

Verdächtige gibt es also genug in diesem mörderischen Spiel, und es wird noch mehr als ein Bleichgesicht ins Gras beißen, bis sich des Rätsels Lösung dramatisch offenbart ...

"Geistertanz" ist ein Roman, dessen Handlung von falschen Fährten, mutwillig angelegten Sackgassen und mehrdeutigen Anspielungen bestimmt wird. Das beginnt bereits mit dem Titel, der auf ein reales historisches Phänomen anspielt: den pseudo- religiösen Kult der Geistertanz-Bewegung, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter den Indianerstämmen des US-amerikanischen Westens aufkam. Von den weißen Siedlern, den Soldaten und der Regierung immer stärker bedrängt, entlud sich der äussere und innere Druck der Ureinwohner in einem an sich wahnwitzigen Irrglauben, in dem eigene Mythen sich mit Elementen des Christentums mischten. Der "Geistertanz" sollte eine Brücke zwischen den zahllosen toten und den wenigen überlebenden Kriegern schlagen, die dann gemeinsam gegen den verhassten weissen Feind vorgehen zu können glaubten. Ausserdem waren die Anhänger des Kultes überzeugt, von nun an unverwundbar zu sein. Der US-Regierung machte weniger die Sorge um die Realität dieser aus Verzweiflung geborenen Bewegung zu schaffen als die plötzliche Einigkeit zwischen eigentlich verfeindeten Stämmen, die sich zu einem gefährlichen, weil sehr realen Gegner entwickeln konnten. So wurden Truppen ausgeschickt, die den Geistertanz-Glauben nieder halten sollten. Erwartungsgemäss kam es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die im Winter 1891 in South Dakota in einem Massaker am Wounded Knee gipfelten, bei dem die Armee "vorsichtshalber" hunderte Männer, Frauen und Kinder niedermetzelte - eines der bekannteren Gräuel der modernen Geschichte.

Sullivans fiktive Sioux-Frau Many Horses ist eine Überlebende von Wounded Knee und eine der Letzten, die das Geistertanz-Ritual kennt. Mehr als dieses lokalkoloritische Element trägt sie nicht zum Roman bei. Die Geschichte, wie Many Horses nach Lawton kam, um dort einer bizarren örtlichen Sekte buchstäblich zum Opfer zu fallen, ist sehr interessant zu lesen und wird vom Autor auch sehr spannend nach und nach enthüllt, doch sie trägt angesichts des Raumes, die Sullivan ihr zugesteht, zur eigentlichen Geschichte zu wenig bei. Fakt ist, dass Many Horses Tod bzw. der weiter bestehende (Aber-)Glaube um ihre wundertätigen Kräfte zwar die Ursache für die Morde von Lawton ist. Doch das ist nicht das Thema der von Sullivan ausgewalzten Vorgeschichte zur Mordserie von 1998

Wie ist es überhaupt um die angebliche Wunderkraft bestellt? Sullivan spielt ständig mit übernatürlichen Elementen, nur um sie im Finale sämtlich "logisch" aufzulösen. Es gibt in Lawton keine indianischen Rachegeister, und es gab sie nie. Dann fragt man sich als Leser natürlich, wieso Sullivan seinen Roman mit einem Kapitel einleitet, das im Jahre 1918 spielt und den angeblichen Heiligen Pater D´Angelo eindeutig als Wunderheiler beschreibt. Die Erklärung ist ebenso einfach wie ärgerlich: Sullivan bedient sich eines simplen Tricks, um das Interesse seines Publikums zu erregen. Als er am Schluss seiner Geschichte eher beiläufig das Thema noch einmal aufgreift, versucht er sich mit der Binsenweisheit, dass Glaube Berge versetze, aus der Affäre zu ziehen - eine sehr unbefriedigende "Lösung", die zudem suggeriert, der Leser müsse halt selbst entscheiden, wie "geisterhaft" die Ereignisse der verstrichenen 380 Seiten nun zu werten sind.

Solche faulen Tricks hätte der Roman gar nicht nötig. "Geistertanz" ist ein solide konstruiertes und kompetent (wenn auch ein wenig hausbacken) geschriebenes Buch. Die Fakten sind sauber recherchiert, was kaum verwunderlich ist, wenn man sich vor Augen führt, dass Mark T. Sullivan, der als Wirtschaftskorrespondent für die Agentur Reuters in Chicago arbeitet, bereits zweimal für den renommierten Pulitzer-Preis nominiert wurde und sein journalistisches Handwerk nachweislich beherrscht. Die einfach gestrickte und altmodische, aber in zahllosen Romanen und Filmen bereits bewährte Geschichte vom düsteren Geheimnis in einem kleinen, abgegrenzten, nur scheinbar idyllischen Ort bringt er gut über die Runden. Schade nur, dass er im Finale auf den obligatorischen Killer mit erheblichem Dachschaden zurückgreift; typisch dann aber wieder, dass er plötzlich noch einen zweiten, den "richtigen" Bösewicht aus dem Hut zaubert.

Mit seinen beiden Hauptfiguren Gallagher und Nightingale hat sich Sullivan beinahe schon zuviel Mühe gegeben. Er möchte imaginären Figuren echtes Leben einhauchen, was an sich nur zu begrüssen ist. Doch er geht in seinem Eifer oft zu weit, wenn er seitenweise tragische Ereignisse aus der Vergangenheit Gallaghers und Nightingales (harte Kindheit, persönliche Enttäuschungen, Alkoholismus, Schuldgefühle usw. usf.) nacherzählt, die mit der eigentlichen Handlung nicht das Geringste zu tun haben.

"Geistertanz" ist somit ein durchschnittlicher, gut lesbarer und bis auf das sacht enttäuschende Finale spannender Roman, der sich indes ein wenig wichtiger nimmt, als ihm zukommt.

Geistertanz

Mark T. Sullivan, Hoffmann & Campe

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