Der Tote im Eisfach
- Der Hörverlag
- Erschienen: Januar 2012
- 2
- London: Quercus, 2009, Titel: 'Curse of the pogo stick', Seiten: 215, Originalsprache
- München: Der Hörverlag, 2012, Seiten: 6, Übersetzt: Jan Josef Liefers
Machtkämpfe und faszinierende Geisterwelten
Kommunistische Parteikonferenzen sind schon ein hartes Brot für die Teilnehmer. Dr. Siri Paiboun, von der Regierungspartei als einziger Pathologe im kommunistischen Laos zwangsweise rekrutiert, muss im Norden des Landes an einer langweiligen Konferenz teilnehmen. Einer der Genossen fällt - vielleicht aus Langeweile - tot vom Stuhl. Siris Vorgesetzter zwingt ihn anschließend noch zu einer weiteren Reise in eine abgelegene Provinz, und unterwegs wird der 73-jährige Arzt entführt. Offenbar steckt das Bergvolk der Hmong hinter dem Vorfall, denn es wird kein Lösegeld gefordert, noch werden politische Forderungen aufgestellt. Die Hmong brauchen einfach Siris Hilfe – und der kluge Pathologe gerät in einen Fall mit rätselhaften spiritistischen Hintergründen. In Vientiane müssen sich Siris Freunde derweil mit einer Leiche im Eisfach herumschlagen, die mit einer Handgranate präpariert wurde. Sie stoßen bei ihren Ermittlungen auf eine Frau, die sich Dr. Siri bei einer früheren Ermittlung offenbar zur Todfeindin gemacht hat.
Das kommunistische Laos kurz nach der Machtübernahme der Pathet Lao ist auch wieder der Schauplatz des fünften "Dr. Siri"-Romans von Colin Cotterill. Darin widmet sich der Autor mit einer gehörigen Portion Sozialromantik vor allem dem Schicksal des Bergvolkes der Hmong. Sein Protagonist Dr. Siri verbringt unfreiwillig einige Zeit in einem Dorf dieser Volksgruppe, und das gibt Cotterill die Gelegenheit, das Volk der Hmong und seine besondere Situation in Südost-Asien ausgiebig zu schildern. In diesem Handlungsstrang wird Dr. Siri bei einer Fahrt durch eine entlegene Provinz des Landes von den Hmong "entführt", weil sie ihn für die Reinkarnation eines großen Schamanen halten, der ein schier unlösbares Problem für sie klären soll. Cotterill nutzt diese Entführung, um zu schildern, wie die Hmong aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten immer mehr vertrieben wurden. Außerdem haben alle Seiten in den verschiedenen Kriegen in Indochina dieses kampfstarke und furchtlose Bergvolk immer wieder für ihre Zwecke eingespannt.
Zunächst rekrutierten die Franzosen etliche Hmong, später war es die CIA. Finanziert wurde dies teilweise durch Opium-Anbau. Diese Facetten der Geschichte des Bergvolkes werden von Colin Cotterill geschickt thematisiert, ebenso die Wanderung in Richtung Thailand, der sich auch die Kontaktpersonen von Dr. Siri anschließen. Zuvor gibt es wieder ausführliche Ausflüge in die Geisterwelt – nicht für jeden Leser eine gewünschte Abschweifung bei der Lektüre eines Kriminalromans. Aber Cotterill dosiert das einigermaßen verträglich, und zum Teil macht das wohl auch den Charme seiner Romane aus.
Zu gleichen Zeit ermitteln seine durchaus sympathische Assistentin Dtui, ihr Mann Phosi und Siris Lebenspartnerin – und künftige Ehefrau – Daeng relativ erfolgreich die Hintergründe eines versuchten Anschlages auf die Pathologie von Vientiane. Die Leiche eines vermeintlichen Soldaten wurde mit einer Handgranate präpariert, offensichtlich in der Absicht, Dr. Siri zu töten. Es geht dabei um Machtkämpfe zwischen der neuen Regierung und den Royalisten, denen Dr. Siri als Symbol und Handlanger des kommunistischen Systems gilt. Blumig und ausgiebig schildert der Autor die Vorkommnisse in der Hauptstadt, und der Fall wird gewissermaßen nebenbei gelöst.
Der primäre Handlungsstrang ist allerdings der Aufenthalt des Pathologen bei den Hmong, womit Colin Cotterill seinem Ruf als ausgewiesener Spezialist für die jüngere laotische Geschichte einmal mehr gerecht wird. Das kleine asiatische Land war damals komplett von der westlichen Welt abgeschnitten, und nur durch die kommunistische Propaganda-Maschinerie gefilterte Informationen kamen in die Außenwelt.
Der Tote im Eisfach ist ein informativer und wirklich unterhaltsamer Roman der eher leisen Töne. Cotterill kommt ohne großartige Action aus, fesselt seine Leser vielmehr durch die Geschichte, die er erzählt, und durch die Botschaften, die darin enthalten sind. Dabei stehen stets die Menschen und ihre Lebensverhältnisse im Mittelpunkt. Die Ausflüge in die Geisterwelt sind für ausgewiesene Krimi-Fans sicher gewöhnungsbedürftig – aber auf jeden Fall lesenswert. Wohltuend ist dabei, dass man die Vorgänger-Romane aus der Reihe nicht kennen muss. Und für mich steht nach meinem ersten Roman von Colin Cotterill fest, dass Dr. Siri noch eine ganze Menge Potenzial hat.
Colin Cotterill, Der Hörverlag
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