Im Dunkel des Deltas
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1998
- 6
- New York: Hyperion, 1995, Titel: 'Burning Angel', Seiten: 340, Originalsprache
- München: Goldmann, 1998, Seiten: 382, Übersetzt: Georg Schmidt
- Pendragon, 2018
Elf Morde und diverse Altlasten im schwülen Louisiana
Dave Robicheaux ist die beeindruckende Ermittlerfigur des Schriftstellers James Lee Burke. Der Cajun ist dem Sheriff‘s Department von Iberia Parish zugeordnet, einem Kaff in den Bayous, dem sumpfigen Hinterland von New Orleans. Burke hat diese Region mit Menschen besiedelt, die so nicht unbedingt bei Tennessee Williams zu erwarten wären, aber dennoch wirken, als wären sie in Louisiana zuhause und würden das Gesicht ihres Lebensraumes bestimmen und im Gegenzug durch diesen definiert. Die Morde in „Im Dunkel des Deltas“ erscheinen uns blutig und äußerst unschön, wobei Burke sie zurückhaltend beschreibt. Die Dialoge sind wortkarg und knackig.
Folgen wir Burke, ist das Mississippi-Delta eine Region, die dem Rest der USA fremd ist, auf beinahe schon geisterartige Weise entrückt. Dave Robicheaux ist darüber hinaus Veteran des Vietnamkrieges und wird von Malaria-Anfällen und von eigenen Gespenstern aus der Vergangenheit heimgesucht. Diese Gespenster haben etwas von bösartigen Parasiten, die keine konsequente Symbiose mit ihrem Wirt eingehen, sondern beizeiten auf üble Weise ihr hässliches Gesicht zeigen.
Vor der Mafia nach Südamerika geflohen
„Im Dunkel des Deltas“ beginnt damit, dass der scheinbar resozialisierte und mit dem Tode bedrohte Gangster Sonny Boy Marsallus, der bekannt dafür war, ausstiegswillige Prostituierte auf ihrem Weg in ein neues Leben finanziell zu unterstützen, Dave um Hilfe bittet. Sonny hatte der Mafia ihren Profitanteil aus seinen kriminellen Handlungen vorenthalten, war aus New Orleans Richtung Südamerika geflohen und fürchtet nach seiner Rückkehr um sein Leben. Während eines Treffens in New Orleans übergibt Sonny Dave ein vertrauliches Notizbuch und verschwindet danach.
Das erste Mordopfer ist jedoch nicht Sonny, sondern die junge Sozialarbeiterin Della Landry, die in ihrem durchwühlten Haus gefunden wird. Dave stellt eine Verbindung her zwischen ihr und Sonny, als er dessen Telefonnummer bei ihr findet. Er ist überzeugt, dass die Mörder das Notizbuch gesucht haben und will den Mord aufklären. Ein Mordzeuge wird aus dem Gefängnis entführt und getötet, weitere Todesfälle folgen.
In einem zusätzlichen Handlungsstrang will der reiche Anwalt Moleen Bertrand Daves schwarze Freundin Bertie Fontenot von ihrem Grund und Boden, der ihr angeblich nicht gehört, vertreiben. Als Dave Beweise für Recht brechende Willkürhandlungen Weißer mit rassistischen Motiven findet, quält er sich eher mit diesen herum, als dass er die Angelegenheit schnell regeln könnte.
Er leidet zudem unter Alpträumen, wie er überhaupt viel träumt, so von der Vergangenheit der Region, der Zeit der Sklaverei, und der Gegenwart, wobei er Verbindungen zwischen den Sünden der Weißen und der Schwarzen herstellt.
Der Autor präsentiert wieder eine bildreiche Geschichte
James Lee Burke zieht die Leser in seinem achten Robicheaux-Roman einmal mehr in eine bildreiche Geschichte hinein. Man liest diese nicht nur, sondern bewegt sich in ihr, scheint berühren zu können, was Burke beschreibt. Wir begeben uns mit dem Autor auf eine Reise, auf der wir die Sumpflandschaft sinnlich zu erfahren glauben. In der Originalfassung ungleich mehr als in einer Übersetzung.
Die letzten Romane James Lee Burkes zeigen, dass auf ihn die Last der Vergangenheit eine zunehmende Faszination ausübt. In „Im Dunkel des Deltas“ handelt es sich unter anderem um eine Romanze, einen Verkehrsunfall mit Todesfolge, um einen Goldschatz von Jean Lafitte, der laut einiger Gerüchte auf dem Land der Familie Bertrand vergraben sein soll. Diese Altlasten stellen die Verbindung zwischen den aktuellen Fällen her, an denen Dave arbeitet. Und hier spielt dann auch Johnny Carp eine Rolle, der Kopf der Familie Giacano, mit der sich Sonny Boy Marsallus angelegt hat.
Starke Charaktere werden in kraftvollen Szenen platziert
Wie üblich erschafft Burke hervorragende Charaktere, die er in kraftvollen Szenerien positioniert und agieren lässt. Und wie üblich mag man ihm vorwerfen, mittlerweile formulaisch zu schreiben. Zu bekannt kommen Details vor wie der gequälte Vietnam-Veteran, Daves schwer zu kontrollierende Gewalt, eine Vergangenheit, die besser vergraben geblieben wäre, ein Mörder, der moralische Anwandlungen hat, als dass man das Buch für ebenso beeindruckend halten könnte, wie Burkes erste Robicheaux-Bände.
Die Geschichte beinhaltet einige kleine Bonbons, zu denen auch die Behandlung von Wohltätigkeit gehört, die nicht als Mittel praktiziert wird, anderen Menschen zu helfen, sondern mit der eigenen Schuld besser zurande zu kommen. Und es ist immer wieder interessant, Dave Robicheaux dabei zuzusehen, wie er sich bemüht, sein Leben in der Balance zu halten, einen Ausgleich zu schaffen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, dem privaten und dem beruflichen Leben. Neben Dave ist auch sein Freund Clete jemand, über den man gerne mehr erfährt. Sein ehemaliger Polizeikollege, der nun als Privatermittler arbeitet, steht Dave immer hilfreich zur Seite. Er vernachlässigt sogar sein eigenes Wohlergehen für Dave, dessen Schutz ihm ein vorrangiges Anliegen ist. Wir lernen Daves neue Kollegin Helen kennen, die zu Beginn nicht besonders sympathisch ist, was sich jedoch ändert, indem Burke uns und Dave die Figur während der Fallarbeit besser kennenlernen lässt.
Schließlich gibt es noch Bootsie und Alafair, Daves Ehefrau und seine salvadorianische, mittlerweile 14-jährige Adoptivtochter. Sie bilden den wichtigsten Rückhalt im Leben des Polizisten. Die Leser der Serie wissen, dass, sollte ihnen etwas widerfahren, Dave am Ende wäre. Aber auch Bootsie, Alafair und Clete wissen dies und sind bereit, alles Nötige zu tun, damit es nicht soweit kommt.
Fazit:
Der Romanhandlung ist nicht leicht zu folgen. Fragen, die im Verlauf der Lektüre aufkommen, werden nur teilweise beantwortet. Die Welt des Ich-Erzählers Dave Robicheaux ist realistisch intransparent. Es gibt keinen Erzähler, der am Ende alle losen Fäden zusammenfasst.
Man hat gelegentlich den Eindruck, der etwas dünne Plot würde überwältigt durch den superben Stil Burkes. Aber die Kritik am Roman relativiert sich schnell, wenn man wieder daran denkt, dass es sich bei den Büchern über Dave Robicheaux um eine Serie handelt, eine überdurchschnittlich gute Serie, die ihre Leser auf erfreuliche und zunehmend berechenbare Weise durch den Lektürealltag begleitet.
James Lee Burke, Goldmann
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