Blutige Stille

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2011
  • 24
  • New York: Minotaur Books, 2010, Titel: 'Pray for silence', Seiten: 304, Originalsprache
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2011, Seiten: 400, Übersetzt: Helga Augustin
Blutige Stille
Blutige Stille
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Jürgen Priester
71°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2011

Blutig und still

Manche kennen vielleicht noch den Kinofilm "Der einzige Zeuge" aus dem Jahre 1985 mit Harrison Ford in der Hauptrolle. Der Film spielte im Umfeld einer Amisch-Gemeinschaft und rückte deren Lebensweise in den Blickpunkt der deutschen Öffentlichkeit. Die Religionsgemeinschaft der Amische hat ihren Ursprung in der Schweiz. Die meisten von ihnen siedelten im 18. Jahrhundert aus der Schweiz und Süddeutschland nach Pennsylvania und Ohio um. Wir schmunzeln heute über ihre Technikfeindlichkeit – der Ablehnung jeder Motorisierung und Elektrifizierung. Symbolhaft schon ihre schwarzen Pferdekutschen, ihre traditionelle Kleidung mit dem Strohhut für den Mann und der Haube für die Frau. Amische sind friedliebende, gastfreundliche, leicht verschroben wirkende Menschen, die tief in ihrer Religion verwurzelt sind, die treu der geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze ihrer "Ordnung" leben.

In eine dieser Gemeinden bricht in Linda Castillos Roman Blutige Stille das Verbrechen ein – brutal und tödlich. Das Städtchen Painters Mill im nördlichen Ohio ist das Revier von Chief of Police Kate Burkholder. Die noch relativ junge Polizeichefin musste sich schon in ihrem ersten Auftritt (Die Zahlen der Toten) einem Serienmörder stellen, einem Duell auf Leben und Tod. Jetzt, fast ein Jahr danach - sie hat sich von den Blessuren kaum erholt – wird sie eines Nachts in das Haus einer Amischfamilie gerufen. Einer ihrer Officers – von einem Farmarbeiter alarmiert – hat im Haus der Planks Tote entdeckt. Bei der ersten Inaugenscheinnahme müssen die Polizisten feststellen, dass die ganze 7-köpfige Familie ausgelöscht worden ist – die Eltern, die Söhne, das Baby erschossen, die beiden pubertierenden Töchter gefoltert und aufgehängt. Chief Burkholder ist schockiert. Selbst aus einer Amischfamilie stammend, weiß sie um die Friedfertigkeit dieser Menschen. Deshalb ist sie überzeugt, dass diese Wahnsinnstat nur von einem Außenstehenden begangen worden sein kann.

Trotzdem ermitteln Kate und ihr Team in alle Richtungen. Zudem fordert sie Unterstützung vom BCI an, einer übergeordneten Dienststelle in der nahegelegenen Großstadt Columbus. Dort arbeitet auch John Tomasetti, mit dem Kate den Serienmörder-Fall gelöst hat, zu dem sie seitdem eine lockere Liebesbeziehung hat. Die Ermordung der Familie Plank gibt allen ein Rätsel auf. Sie lebten ihr einfaches Leben, weder innerhalb noch außerhalb ihrer Gemeinschaft sind irgendwelche Feinde auszumachen. Erst das gut versteckte Tagebuch der jüngeren Tochter gibt einen vagen Hinweis auf eine "Liebes"beziehung zu einem "Englischen".

Englische und Amische – zwei Weltanschauungen stehen einander gegenüber, nicht feindlich, sondern in Koexistenz. Kate Burkholder kennt beide Seiten. Emotional kann sie sich gut in das junge Amisch-Mädchen Mary hineinversetzen, zumal sie als Jugendliche ähnliche Situationen erlebt hat. Dieses Einfühlungsvermögen bringt sie im akuten Fall letztendlich weiter.

Chief Kate Burkholder ist so was wie eine weibliche Ausgabe eines hardboiled Cop – souverän in ihrem Job, nicht immer den gesetzeskonformen Weg gehend, mit Problemen aus der Vergangenheit behaftet, die sie schon mal gerne zur Flasche greifen lassen. Ähnlich gestrickt ist auch ihr Freund und Liebhaber Tomasetti, der seit dem Tod seiner Frau und Kinder ziemlich von der Rolle ist. Es trafen sich zwei Lahme mit Krücken, die sich an einander aufrichten und nun gemeinsam durchs Leben stolpern wollen. Ein amerikanischer Roman ohne Liebesgeschichte ist wohl nicht möglich, dabei wäre diese hier durchaus verzichtbar, denn die Figur der Kate Burkholder bietet genügend Potenzial, das die Autorin leider nicht voll ausschöpft, obwohl die Protagonistin aus der Ich-Perspektive erzählt und damit den Großteil der Story bestreitet. Ein bisschen mehr Vertrauen in die Eigenständigkeit ihrer Hauptfigur hätte der Autorin gut gestanden.

Krimi oder Thriller? Man kann lange darüber streiten, wo der eine aufhört und der andere anfängt. Aber letztendlich ist es auch egal. Blutige Stille ist eine spannende Geschichte, deren Ausgang bis zum Ende offen ist. Nur vom Etikett "Thriller des Jahres", wie der Fischer-Verlag ihn plakativ vermarktet, sind wir noch weit entfernt. Dem reißerisch blutigen Beginn folgt die Stille der Ermittlungsarbeit, die tatsächlich mal nachvollziehbar dargestellt wird, wie auch die Motive des Täters plausibel erscheinen.

Linda Castillo hat mit ihren beiden ersten Kate-Burkholder-Romanen in Deutschland einen beachtlichen Zuspruch bekommen. Den wird sie nur bewahren können, wenn sie weiterhin auf kniffelige Fälle mit sauberen Lösungen setzt, damit die berufliche Kompetenz ihrer Heldin stärkt. Bei ihrer Arbeit schauen wir der Heldin gerne zu, aber ihre Schlafzimmertüre wollen wir lieber geschlossen wissen.

Blutige Stille

Linda Castillo, Fischer

Blutige Stille

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