Die schottische Selbstmord-Serie

  • DuMont
  • Erschienen: Januar 1989
  • 10
  • Originalausgabe erschienen unter dem Titel „The Case of the Constant Suicides”

    - London : Hamish Hamilton 1941

    - Rüschlikon/Zürich : Albert Müller Verlag 1944 [unter dem Titel „Verwirrung auf Schloß Shira“]  (A. M.‘s „Auswahl“ 51). Übersetzung: Ursula von Wiese. 192 S. [keine ISBN]

    - Gütersloh : Signum Verlag 1962 (SM Kriminalroman 84). Übersetzung: Ursula von Wiese. 189 S. [keine ISBN]

    - Köln : DuMont Verlag 1989 (DuMonts Kriminal-Bibliothek 1018). Übersetzung: Hans Bangerter. 203 Seiten. ISBN-13: 978-3-7701-3031-4

Die schottische Selbstmord-Serie
Die schottische Selbstmord-Serie
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
95°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2021

Stürze aus verhextem Turmzimmer

Der junge Historiker Dr. Alan Campbell reist ins Land seiner Ahnen. In der Burg Shira, einsam gelegen am Loch Fyne in den schottischen Highlands, ist der Hausherr verstorben. Nun soll Angus Campbells Testament verlesen werden. Allerdings hat Angus hat vor seinem Ende mindestens vier Lebensversicherungen abgeschlossen. Alle befreien die Gesellschaft bei Selbstmord von der Zahlung. Angus‘ Leiche fand sich unterhalb des Turmes, in dessen Spitze er sich sein Schlaf- und Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Ist er gesprungen, wie der Vertreter der Versicherung behauptet, oder wurde er ermordet, was die Meinung des für den Campbell-Clan tätigen Rechtsanwalts Duncan ist?

Trifft gar zu, was im nahen Dorf Inveraray gemunkelt wird? Auf Burg Shira soll es umgehen, ein Geist den alten Angus zum Sprung gezwungen haben. Man hat ihn sogar schon spuken sehen. Alles Unsinn, poltert Colin, Angus‘ Bruder. Er verdächtigt den zwielichtigen Alec Forbes, ein Geschäftspartner, mit dem Angus sich böse zerstritten hatte und der seit dessen Tod spurlos verschwunden ist.

Die alte Elspat, Angus‘ heimliche Lebensgefährtin, hat ohne Wissen der Familie den Journalisten Charles Swan eingeladen, der sich in der Burg umschauen soll. Colin reißt der ohnehin dünne Geduldsfaden. Er ruft einen alten Freund, den Gelehrten und bekannten Amateurdetektiv Dr. Gideon Fell, zu Hilfe. Außerdem plant der alte Starrkopf eine Übernachtung im Turmzimmer, um auf diese Weise herauszufinden, ob dort etwas nicht stimmt. Er erhält seine Antwort, aber sie erfreut ihn nicht, denn auch ihn findet man zerschmettert auf dem harten Pflaster ...

Der Triumph des Rätsels

Wo immer es auf dieser Welt einen abgeschiedenen Winkel gab, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein schien und das Verbrechen ausschließlich in bizarrer Form und vorzugsweise in fest verschlossenen Räumen auftrat, war zwischen 1933 und 1967 Dr. Gideon Fell nie fern. Alte Burgen, in denen es (scheinbar) tüchtig spukte, waren ihm besonders lieb. Shira liegt an einem nebelverhangenen See, wird von traditionsstolzen Schotten bevölkert und bietet deshalb die perfekte Kulisse für einen typischen Carr-Thriller.

Die Realität lässt sich nur in den Anfangskapiteln kurz blicken: Wir schreiben das Jahr 1941. England wird des Nachts von deutschen Bombern heimgesucht, die es aber nicht bis hinauf nach Schottland schaffen. Am Loch Fyne und auf Burg Shira herrscht vielleicht kein Gespenst, aber definitiv der Geist des 18. Jahrhunderts.

Das Mordrätsel ist typisch Carr. Er hat den möglichst unmöglichen Mord im verschlossenen Raum zur Kunstform erhoben. Immer absurdere Konstellationen ersann er in diesem Zusammenhang, um dann doch den gesunden Menschenverstand (und Gideon Fell) triumphieren zu lassen: Alles ist machbar, wenn man nur weiß wie. Hier ist es ein verriegeltes und verrammeltes Zimmer in der Spitze eines hohen, unzugänglichen Turms, das zur Stätte eines raffinierten Verbrechens wird. Die Fakten liegen offen (s. u.), man ahnt, wie die Tat realisiert werden konnte und wird doch vom Verfasser unterhaltsam hereingelegt.

Genie mit Hofstaat

Wie weiht man seine Leser in die Geheimnisse eines exotischen Landes ein? John Dickson Carr löst das Problem ebenso elegant wie witzig: Er stellt uns Alan Campbell vor, einen Schotten, der noch nie in Schottland war. Auf Schritt und Tritt stechen ihm als Vertreter besagter Leser Absonderlichkeiten ins Auge, die den Einheimischen nie aufgefallen wären.

Als junger Held in dieser Geschichte hält Alan ansonsten die Handlung in Gang, bis endlich Gideon Fell auf der Bildfläche erscheint. Anschließend geht er dem klugen, aber nicht gerade beweglichen Detektiv zur Hand. Außerdem wird für die obligatorische Liebesgeschichte ein stattliches Mannsbild gebraucht. Auch hier fällt Carr etwas ein, um das alte Er-findet-sie-und-umgekehrt-Spielchen zu variieren: Alan und Kathryn heißen beide mit Nachnamen Campbell, sind berufliche Konkurrenten und haben dasselbe Reiseziel, was insgesamt für einige durchaus komische Verwirrungen sorgt. Ansonsten ist besagte Kathryn natürlich hübsch und sogar (maßvoll) emanzipiert, denn weibliche Wissenschaftler waren 1941 noch keine Selbstverständlichkeit. Aber natürlich sorgt die alte Elspat dafür, dass Kathryn ein braves Mädchen bleibt.

Wobei dieser Elspat (wohl nur im fernen Schottland) der Status als „Ehefrau aus Gewohnheitsrecht“ zugebilligt wird. Im Klartext: Mit dem alten Angus hat sie in wilder Ehe gelebt, was sie zu einer bigotten Moralapostelin werden ließ. Ansonsten hält sie mit Köpfchen und messerscharfer Zunge das Heft fest in der Hand und stellt einen interessanten Charakter dar, dem Carr sichtlich seine Zuneigung angedeihen lässt.

Der stimmungsvolle Hintergrundchor

Wir treffen darüber hinaus das schon erwartete Figurenarsenal exzentrischer Schotten, die selbstverständlich stolz, geizig und dem Whisky zugetan sind. Daraus bastelt Carr nicht die üblichen plumpen Witzchen, wir lachen stets mit den Figuren, nicht über sie.

Gideon Fell ist schlicht überwältigend. Damit ist nicht nur sein Intellekt gemeint, sondern auch sein falstaffgleicher Körper und vor allem sein Selbstbewusstsein. Fell ist weise, aber er liebt es, dies seinen Mitmenschen unter die Nase zu reiben. Gern hüllt er sich in kryptische Andeutungen, denkt zwar laut über den jeweiligen Fall nach, bricht aber an entscheidender Stelle ab und lässt seine Zuhörer hilflos zurück, bis er den Zeitpunkt gekommen sieht, sich in Szene zu setzen. Dabei hält Fell ganz im klassischen „Whodunit“-Geist nicht unbedingt Fakten zurück. Er präsentiert sie uns stattdessen verschlüsselt oder auch in Listenform. Leider verfügen wir nicht über Fells Erfahrung, so dass wir im großen Finale doch (aber immer gern) wie vom Verfasser geplant von der Auflösung überrascht werden.

Fazit

Großartiger Rätselkrimi mit allen Finessen, verfasst von einem Großmeister aus der goldenen Zeit dieses Genres; Spannung, Spuk und schnurriger Witz verbinden sich in altmodischer Perfektion und schaffen ein ungetrübtes Lesevergnügen der nostalgischen Art.

Die schottische Selbstmord-Serie

John Dickson Carr, DuMont

Die schottische Selbstmord-Serie

Deine Meinung zu »Die schottische Selbstmord-Serie«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren