Das gefrorene Licht

  • Fischer Taschenbuch Verlag
  • Erschienen: Januar 2007
  • 18
  • Reykjavík: Veröld, 2006, Titel: 'Sér grefur gröf', Seiten: 384, Originalsprache
  • Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2007, Seiten: 384, Übersetzt: Tina Flecken
Das gefrorene Licht
Das gefrorene Licht
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Jörg Kijanski
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2007

Ein weiterer Krimi-Star aus Island

Die Reykjaviker Rechtsanwältin Dora Gudmundsdottir wird von ihrem Mandanten Jonas um Hilfe gebeten. Dieser kaufte auf der Halbinsel Snaefellsnes ein Grundstück mit zwei alten Gehöften auf, um hier ein modernes Wellness- und Esoterik-Hotel zu errichten. Nun soll auch der zweite Hof in den Hotelkomplex eingebunden werden, doch die Baupläne geraten ins Stocken, da es in dem Hotel spuken soll, was dem im esoterischen Bereich arbeitenden Personal natürlich nicht entgegen kommt. Obwohl Dora die Geschichte als Unsinn abtut, entscheidet sie sich für einen Kurzurlaub in dem Hotel, um mit Jonas einige Unterlagen durchzusehen. Hierbei soll die Architektin Birna behilflich sein, die nicht nur an den Bauplänen des Hotels arbeitet, sondern sich zudem für die Geschichte der Gegend interessiert.

Birna kann Dora jedoch nicht mehr weiterhelfen, da sie am Abend vor Doras Anreise ermordet wird. Ihre Leiche wird von dem Bauer Bergur, mit dem sie ein kurzes Verhältnis hatte, am Strand unter einem Tangteppich gefunden. Offenbar wurde Birna erschlagen und vergewaltigt. Doras Neugier ist geweckt und so beginnt sie, sich ebenfalls für die Geschichte der beiden Höfe zu interessieren, da sie hier die Ursache für Birnas Ermordung vermutet. Wenig später erhält sie bei ihren Erkundungen tatkräftige Unterstützung durch ihren deutschen Freund Matthias, einem ehemaligen Kriminalkommissar. Beide finden schnell heraus, dass sie in ein wahres Wespennest gestoßen sind, denn die Geschichte der Höfe, die einst zwei Brüdern gehörten, die sich wegen ihrer Frauen bzw. deren Nachwuchs in die Quere kamen, spielt noch in die aktuellen Geschehnisse herein.

Dora muss sich beeilen, denn ihr Mandant Jonas wird von der Polizei als Mörder verdächtigt, zumal sich auf seinem Handy eine SMS befindet, die Birna vor ihrer Ermordung zugeschickt wurde. Danach wollte er Birna zur Tatzeit am Strand treffen, doch Jonas beharrt darauf, von dieser SMS nichts zu wissen. Dora glaubt ihm und in der Tat gibt es noch zahlreiche Personen, die ebenfalls als Täter in Frage kommen. Da findet Bauer Bergur nur drei Tage nach Birnas Tod bereits eine weitere Leiche. Der im Hotel als Hellseher angestellte Eirikur wurde in Bergurs Pferdestall von einem Hengst in dessen Box zu Tode getrampelt...

Wem Dolmen gefallen hat, kann unbesehen zugreifen

Es ist ein großer Segen, dass sich die Leute auf Island grundsätzlich mit dem Vornamen anreden bzw. die Du-Form verwenden. So kann man wenigstens ansatzweise den Überblick behalten, wenngleich man sich gedanklich den einen oder anderen Knoten in seiner Zunge beim Lesen zuführt. So ermittelt der Polizist Porolfur Kjartansson im Mordfall Birna Halldorsdottir und die undurchsichtigen Familienverhältnisse der Brüder Bjarni und Grimur nebst deren Frauen und Nachwuchs haben es selbstredend in sich. Hinzu kommen noch mehrere Hotelgäste und -angestellte, auf dass die Zahl der Verdächtigen ordentlich ansteigen möge. Wer mit vielen Namen (noch dazu derartige Zungenbrecher) Probleme hat, sollte vielleicht lieber zu einem anderen Buch greifen.

Wer sich hierdurch nicht verwirren lässt, sondern sich vielmehr herausgefordert fühlt, darf gerne zugreifen. Insbesondere dann, wenn Ihnen der Roman Dolmen des franzözischen Autorinnen-Duos Nicole Jamet & Marie-Anne Le Pezennec gefallen hat. Die beiden Romane ähneln sich sehr, nicht nur, weil sie auf einer abgelegenen (Halb-)Insel spielen, sondern auch in Hinblick auf die undurchsichtigen Familienverhältnisse der Vergangenheit. Hierzu möchte ich an dieser Stelle aus nahe liegenden Gründen nicht mehr sagen, außer "Lesen sie selbst!".

Das Privatleben der Protagonistin Dora wird (wie sollte es anders sein) konsequent weiter erzählt und so gibt es folgerichtig ein Wiedersehen mit ihrem deutschen Freund Matthias, den sie in Das letzte Ritual kennen lernte. Zudem machen noch die lieben Kleinen so ihre Probleme, denn Gylfi, ihr sechzehnjähriger Sohn, steht kurz davor Vater zu werden.

 

"Du bist jetzt schon bei einer Verstorbenen eingebrochen, hast ihr Eigentum entwendet und polizeiliche Ermittlungen behindert, indem du Jonas die Möglichkeit gegeben hast, fragwürdige Daten aus seinem Handy zu löschen. Ich kann's kaum erwarten, wo das alles enden wird."

 

Apropos Dora: Mit dieser Rechtsanwältin muss man zunächst erst einmal "warm" werden. Sie unterschlägt Beweise, arbeitet alles andere als kooperativ mit der Polizei zusammen und erinnert somit in ihrer Art ein wenig an Miss Marple. Allerdings an jene Miss Marple, die Sie aus den Filmen mit Margaret Rutherford kennen, deren Figur ja bekanntlich nicht allzu viel mit der Romanvorlage gemeinsam hatte. Auch an Doras Freund Matthias muss man sich gewöhnen, denn er verhält sich ebenfalls ein wenig seltsam. So weist er beispielsweise Dora mehrere Male darauf hin, dass sie ihr "Beweismaterial" doch der Polizei übergeben sollte, lässt es jedoch bei derartigen Bemerkungen bleiben. Muss man (Matthias war ja früher selber Kriminalkommissar) nicht unbedingt verstehen.

 

"Weißt du, was ich tun sollte?"
"Hm, aufhören, dir den Kopf darüber zu zerbrechen und der Polizei die Ermittlungen überlassen?"

 

Ansonsten sind die Charakterzeichnungen sehr zurückhaltend, die volle Konzentration gilt dem Plot, der allerdings auch höchste Konzentration erfordert. Immer wieder gelingt es der Autorin geschickt, ihre Leserschaft auf falsche Fährten zu locken, immer neue Personen in den Fokus der Ermittler zu schieben, nur um nach wenigen Seiten das Ganze wie ein Kartenhaus zusammen brechen zu lassen, weil es so ja wohl doch nicht gewesen sein kann. Den möglichen Einwand, dies sei doch alles viel zu stark konstruiert, muss man im vorliegenden Fall nicht unbedingt gelten lassen, da alle Beziehungsgeflechte nachvollziehbar aufgelöst werden.

Das gefrorene Licht ist aus den genannten Gründen zwar kein Page-Turner im üblichen Sinn, doch lässt sich das Buch bequem und zügig in ein, zwei Tagen bewältigen, da der Schreibstil der Autorin angenehm ausfällt und ihr noch dazu einige Cliffhanger vorzüglich gelingen. Yrsa Sigurdardottir ist eine Autorin, die hierzulande noch weitgehend unbekannt ist, wenngleich ihr Debütroman Das letzte Ritual bereits für Aufsehen sorgte und gleich in über 20 Sprachen übersetzt wurde. So wenig Einwohner Island auch haben mag, es gibt dort nicht nur einen aus der Masse herausragenden Krimiautor.

Das gefrorene Licht

Yrsa Sigurðardóttir, Fischer Taschenbuch Verlag

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