Rote Wasser
- Piper
- Erschienen: Januar 2007
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- London: Heinemann, 2005, Titel: 'Red Hook', Seiten: 330, Originalsprache
- München; Zürich: Piper, 2007, Seiten: 380, Übersetzt: Claudia Feldmann
Strandgut einer Großstadt
Bis vor wenigen Jahren dachte man bei New York zunächst an den Broadway, die Wall Street und Harlem, doch das hat sich seit dem 11. September 2001 grundlegend geändert. Heute sind es vor allem zwei Begriffe, die sowohl für die Stadt, als auch für den Inbegriff des Terrors stehen: die Zwillingstürme und Ground Zero.
Das Leben der amerikanischen Metropole hat sich - nach außen hin - sehr schnell wieder normalisiert und alles scheint seinen typisch hektischen - New Yorker - Gang zu gehen. Dass sich aber dahinter die verletzte Seele einer Stadt verbirgt, zeigt Reggie Nadelson in ihrem dritten Kriminalroman um den Ermittler Artie Cohen.
Eine Freundschaft, eine Heirat und das Trauma einer Metropole
Artie Cohen, der russigstämmige Ermittler, erhält zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt per Handy den Anruf eines langjährigen Freundes. Obwohl es sich um einen Hilferuf handelt, ist Cohens Reaktion verständlich, schliesslich kennt er seinen zu Übertreibungen neigenden Freund bereits seit Jahren und ausserdem ist es nicht irgendein Tag, sondern sein eigener Hochzeitstag. Er "drückt" das Gespräch weg. Doch als sich weitere vergebliche Anrufe auf seiner Mailbox einfinden, packt Cohen das schlechte Gewissen und er macht sich auf, um dem Mann, der ihm vor Jahren aus einer schlimmen Klemme geholfen hat, aber nie eine Gegenleistung erwartete, einen Blitzbesuch abzustatten.
Er fährt nach Red Hook, der Stadtteil in dem sein Freund Sid wohnt, trifft ihn allerdings nicht an, sondern wird Zeuge wie die Polizei eine Leiche aus dem Hafenbecken in unmittelbarer Nähe von Sids Wohnung fischt. Cohen erstarrt zunächst, sieht der Tote Sid doch zum Verwechseln ähnlich. Der taucht wenig später zwar wieder auf, ist aber völlig verängstigt und stammelt eine Geschichte zusammen, die Cohen nach und nach an allem Zweifeln lässt. An Sid, an seinem besten Freund Tolja und selbst an seiner eigenen Identität als russigstämmiger Einwanderer. Doch damit nicht genug, die Dinge beginnen sich zu überschlagen und Cohens vermeintlich glücklichster Tag im Leben mit anschliessender Hochtzeitsreise gerät mehr und mehr zur Nebensächlichkeit.
Reggie Nadelson und ihr Gespür für New York
Reduziert auf die reine Krimihandlung, wäre "Rote Wasser" ein eher durchschnittlicher Roman. Doch es ist Nadelsons einfühlsamer Blick auf die seit dem 11. September 2001 schwer verwundete Stadt, der die Geschichte zu etwas Besonderem macht. Leise und etwas melancholisch erzählt sie von den Menschen der Millionenmetropole, die versuchen, mit dem Trauma der Anschläge zurecht zu kommen. Dabei geht es weniger um die grosse Politik, sondern um das, was das Leben auch Jahre nach der Katastrophe beeinflusst. Die Staubwolke etwa, die den Ground Zero tagelang einhüllte und verdunkelte, hat nicht nur Schreckensbilder in den Köpfen hinterlassen, sondern auch Aspest in den Lungen. Zur allgegenwärtigen Angst vor weiteren Terroranschlägen kommt die eher stille Angst vor Krebs. Während sich letztere in den Köpfen der Menschen abspielt, führt die Terrorangst zu regelrechten Siedlungsbewegungen. Vergessene und heruntergekommene Stadtteile blühen plötzlich auf, da sie als sicher gelten, die Immobilienpreise schnellen empor und zwielichtige Spekulanten tauchen auf.
Mitten darin, Red Hook und seine Einwohner, die meist russischstämmigen Einwanderer, zu denen auch Artie Cohen zählt. Strandgut, in New York auf Grund gelaufen, wie das Schiff, von dem Sids wirre Geschichte handelt. Red Hook ist ein Dorf und die Einwanderer bilden einen gesellschaftlichen Mikrokosmos. Jeder kennt jeden, alle haben die gleichen Sehnsüchte oder Ängste und versuchen ihr Leben in den Griff zu bekommen. In diesem Milieu spielt der Krimi. Der Ermittler Artie Cohen kennt alle, die Opfer und sämtliche Verdächtigen. Schlimmer noch, fast alle waren auf seiner eigenen Hochzeitsfeier. Dadurch kann er nicht mit der gewohnten Distanz an seine Ermittlungen gehen und die Ehe wird, bevor sie richtig begonnen hat, auf eine harte Probe gestellt.
Sicher, man muss sich einlassen auf die Geschichte. Die Krimihandlung glänzt nicht gerade mit unerwarteten Wendungen und rasanter Action. Die Dialoge geraten mitunter sogar etwas zäh, da häufig mehr über New York zu erfahren ist, als über den Fall, an dem Cohen arbeitet.
"Buchpremieren für Anspruchsvolle" nennt der Verlag die Buchreihe, in dem der neueste Roman von Nadelson erscheint und das trifft es insofern ganz gut, als dass man das Werk vor allem jenen empfehlen kann, die sich von Krimiunterhaltung etwas mehr erhoffen, als nur die Klärung der Schuldfrage.
Reggie Nadelson, Piper
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