Geheime Melodie

  • List
  • Erschienen: Januar 2006
  • 7
  • Ber: List, 2006, Seiten: 413, Übersetzt: Sabine Roth & Regina Rawlinson
  • Berlin: Ullstein, 2007, Seiten: 413
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Frank A. Dudley
92°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2006

Schwarz-weiß gestreifter Spion

Wie wohl die meisten Autoren von Spionagethrillern stand auch John le Carré nach dem Ende des Kalten Krieges vor der Frage, aus welchem Garn er seine Geschichten nun stricken soll. Mit seinem Roman "Der Spion, der aus der Kälte kam" hat er schließlich eine Ikone des Genres verfasst, in der er die rücksichtslose und inhumane Vorgehensweise von Regierungen thematisiert. Mittlerweile sind im Zuge der Globalisierung längst multinationale Konzerne und Fondsgesellschaften zu den wahren Herrschern der Erde aufgestiegen. In seinem 20. Roman erhebt le Carré erneut die Stimme gegen die Macht der Multis.

Vor sechs Jahren kämpfte "Der ewige Gärtner" des walisischen Thriller-Autors gegen die Ausbeutung der Armen Afrikas durch einen verbrecherischen Pharmakonzern. Nachdem le Carré in "Absolute Freunde" den Initatoren des letzten Irakkrieges eine fingierte Beweislage und politische Manipulation vorwarf, nicht zu Unrecht, wie wir mittlerweile wissen, kehrt er in seinem aktuellen Roman wieder in das politisch und wirtschaftlich gebeutelte Afrika zurück.

Komplott im Kongo

Bruno Salvador, genannt "Salvo", ist der anfangs gutgläubige Protagonist in "Geheime Melodie". Er ist ein Sprachgenie, beherrscht Englisch, Swahili und diverse afrikanische Kleinsprachen wie Bembe, Shi und Kinyarwanda. Salvo wurde im Kongo als Kind eines irischen Missionars und einer kongolesischen Mutter geboren, er ist verheiratet mit einer weißen Engländerin, hat aber eine heiße Affäre mit einer schwarzen Krankenschwester aus dem Kongo. Neben seinem Tageslicht tauglichen Beruf als Top-Dolmetscher hat er sich als Teilzeitkraft an den britischen Secret Service verdingt. Dabei sitzt er im so genannten Chatroom, belauscht die Unterhaltungen afrikanischer Staatsgäste und übersetzt sie für seinen Auftraggeber.

Sein erster großer Auftrag bringt Salvo und beunruhigenderweise auch diverse Söldner in einem unmarkierten Flugzeug auf eine namenlose Insel im Norden Europas. Dort soll er für ein anonymes Wirtschaftssyndikat auf einer hochgeheimen und hochkarätigen Konferenz nicht nur dolmetschen, sondern auch die kongolesischen Teilnehmer, ein Trio von berüchtigten Warlords, abhören. Schnell wird Salvo klar, dass die internationalen Profitgeier mit Hilfe der Provinz-Potentaten einen Umsturz im Kongo planen: Vor den anstehenden Wahlen soll ein Marionettendiktator an die Macht geputscht werden, der schon jetzt zusagt, dass das Syndikat die reichen Bodenschätze des Kongos ausbeuten darf. Etliche Millionen werden dabei fließen, allerdings nicht zugunsten des Volkes. Als Salvo Ohrenzeuge der Folterung eines widerspenstigen afrikanischen Konferenzteilnehmers wird, ist ihm klar, dass er handeln muss. Also stiehlt er etliche Kassetten mit Beweismaterial, um von England aus das Schlimmste zu verhindern. Doch das ganze Ausmaß der Intrige geht ihm erst nach und nach auf.

Ironie und Schärfe

Mit dem sympathischen Bruno Salvador stellt le Carré seinen ersten nicht-weißen Protagonisten vor. Ihm gelingt es nicht nur, die innere Zerrissenheit des irisch-kongolesischen Mischlings mit viel Seele zu beschreiben, am Beispiel des nach einer bürgerlichen Existenz strebenden Salvo und der Personen aus dessen nächster Umgebung skizziert er auch ein bissiges Bild des Immigrantenlebens in England. Als Dolmetscher muss sich Salvo ständig in andere Mentalitäten und Persönlichkeiten hineinversetzen, le Carré nimmt dabei sowohl die Europäer als auch die Afrikaner in ihren eingefahrenen Verhaltensweisen aufs Korn. Die Ironie, mit der er auch schon in seinem letzten Buch den Hauptdarsteller noch facettenreicher gemacht hat, setzt er auch jetzt mit großem Gewinn für die Spannungskurve ein. Keinesfalls kann man dem mittlerweile 74jährigen le Carré nachsagen, er sei zum "angry old man" geworden.

Obwohl von Salvo im Präsens erzählt, dauert es ungefähr einhundert Seiten, bis die Geschichte an Fahrt aufnimmt, bevor überhaupt klar wird, worum es geht. Dies, und dass die Schilderung der geheimen Konferenz ein wenig zu lang geraten ist, mag man als einzige Kritikpunkte anmerken. Spätestens ab der nervenaufreibenden Schilderung der Folterszene steigt die Geschwindigkeit von Seite zu Seite.

"Geheime Melodie" bietet alles, was John le Carré ausmacht: Einnehmende Charaktere, messerscharfe Einsichten, sprachliche Verve und einen komplexen Plot. George Smiley und Bruno Salvador würden sich gut verstehen.

Geheime Melodie

John Le Carré, List

Geheime Melodie

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