Die siamesischen Zwillinge

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1935
  • 2
  • Originalausgabe erschienen unter dem Titel „The Siamese Twin Mystery“

    - New York : Frederick A. Stokes Company 1933

    - Leipzig : Wilhelm Goldmann Verlag 1935 (Goldmanns Detektiv-Romane). Übersetzung: Hans Herdegen. 216 S.

    - München : Goldmann Verlag 1952) [Goldmanns Kriminal-Romane 49]. Übersetzung: Hans Herdegen. 204 S.

    - München : Goldmann Verlag 1958 [Goldmanns Taschen-Krimi 131]. Übersetzung: Hans Herdegen. 184 Seiten.

    - Frankfurt/Main : Ullstein Verlag 1981 [unter dem Titel „Das Rätsel der siamesischen Zwillinge“] (Ullstein Verlag/Ullstein Krimi 10104). Übersetzung: Hans Herdegen. 158 Seiten.

Die siamesischen Zwillinge
Die siamesischen Zwillinge
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Michael Drewniok
100°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2021

Detektive, Mörder & ein moderner Frankenstein

Diese Autofahrt endet für den Kriminalschriftsteller und Amateurdetektiv Ellery Queen und seinen Vater Richard, Inspektor bei der Kriminalpolizei von New York, beinahe tödlich. In den Bergen unweit des Städtchens Osquewa verirren sie sich und geraten in einen Waldbrand. In letzter Sekunde können sie auf den Arrow Mountain flüchten. Ganz oben finden sie ein großes, einsames Haus: Arrow Head, Sitz der Familie Xavier.

John, der Hausherr, ist ein berühmter Chirurg, der in der Einsamkeit geheimnisvollen medizinischen Experimenten nachgeht. Zur Familie gehören weiterhin Bruder Mark, ein Rechtsanwalt, und Schwägerin Sarah. Darüber hinaus halten sich momentan Dr. Percifal Holmes, Johns Assistent, und die berühmte Lebedame Marie Carreau mit ihrer Sekretärin im Haus auf. Butler Bones und Haushälterin Mr. Wheatley vervollständigen die Anwesenheitsliste.

Das Feuer schließt den gesamten Berg ein, die Bewohner von Arrow Head sind abgeschnitten. Die Stimmung ist eigentümlich, und Inspektor Queen wird des Nachts von einem siamesischen Zwillingspaar erschreckt: Es sind Marie Carreaus vor der Welt geheim gehaltenen Söhne Francis und Julian.

Am Morgen liegt John Xavier erschossen in seinem Arbeitszimmer. In seiner verkrampften Hand hält er eine zerrissene Spielkarte: ein Hinweis auf den Mörder? Der muss sich unter den Hausgästen befinden. Inzwischen hat das Feuer den Arrow Mountain vollständig eingeschlossen und frisst sich die Hänge hinauf. Den Feuertod vor Augen, führen Ellery und Richard Queen ihre Ermittlungen, und auch der Mörder lässt nicht davon ab sein Werk fortzusetzen ...

Unmöglicher Mord im Gruselkabinett

Als Kammerspiel mit begrenzter Darstellerzahl lassen sich die meisten klassischen Kriminalromane bezeichnen. Ist der Rahmen abgesteckt, arbeitet der Verfasser mit den präsentierten Instrumenten und Spuren. Der Leser kennt sie und kann quasi an der Seite des Detektivs ermitteln: So funktioniert es in der Theorie, aber natürlich ist es der Ehrgeiz wohl jeden Schriftstellers, sein Publikum dennoch auf den letzten Seiten zu verblüffen. In der Regel erfährt man deshalb den Namen des Täters und die Erklärung seines Vorgehens gemeinsam mit den zum großen Finale in der Bibliothek oder einem anderen großen Raum zusammengerufenen Verdächtigen und Zeugen der stattgefundenen Übeltat.

Das Gesagte trifft punktgenau auf Die siamesischen Zwillinge zu. Beim besten Willen ist es (fast) unmöglich zu erraten, was in „Arrow Head“ vor sich geht. Gar zu verzwickt konstruieren die Vettern Dannay & Lee (die sich hinter dem Pseudonym „Ellery Queen“ verstecken) den Plot. Man nimmt es ihnen nicht übel, denn die Geschichte ist wirklich spannend - ein Krimi mit Zügen zeitgenössischer Horrorfilme wie Frankenstein (1931), Die Insel des Dr. Moreau (1933) und natürlich Freaks (1932), wo ebenfalls ein Paar siamesischer Zwillinge auftritt.

Dazu kommt mehr als ein Schuss Abenteuer-Dramatik. Die Spannung wird buchstäblich geschürt durch das große Feuer, das sich unaufhaltsam auf den Ort des Geschehens zu frisst. Als es das Haus erreicht, ist auch der Moment gekommen, in dem Ellery Queen das Mordrätsel löst. Nervenaufreibender kann es sicherlich nicht zugehen - und das Geschehen wirft ein bezeichnendes Licht auf unseren Detektiv, der selbst im Angesicht des eigenen Todes vom Ermitteln nicht lassen kann.

Die Queens im Einsatz

Ellery Queen ist außerhalb New Yorks an der frischen Luft des amerikanischen Nordostens wie ausgewechselt; ein handfester junger Mann, der zwar immer noch kopfstark und manchmal affektiert seinen kriminalistischen Ermittlungen nachgeht - die beiläufige Erwähnung entscheidender Fakten, die zum Unmut der Anwesenden im Moment der Wahrheit abgebrochen und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wird, scheint eine Berufskrankheit berühmter Meisterdetektive zu sein -, sich aber mutig zwischendurch in einen Wald stürzt, um dort ein Feuer zu bekämpfen. Ansonsten lernen wir, dass Ellery recht gut betucht sein muss. Er fährt einen (allerdings schlecht gepflegten) Luxuswagen (der Marke „Duesenberg“) und reiste kürzlich nach Florenz, wo er u. a. einen teuren Ring erwarb, der in dieser Geschichte eine entscheidende Rolle spielt.

Inspektor Richard Queen ist in dieser Geschichte nicht der knurrige Cop im Hintergrund, sondern eine echte Hauptperson. Vater und Sohn als Team ergänzen sich gut. Richard ist der hart arbeitende Polizist, Ellery hat die Geistesblitze. Verhaftet oder geschossen wird von Richard, sein Sohn erhält sich auf diese Weise den Nimbus des kriminalistischen Meisterhirns, das über schnöde polizeiliche Alltagsarbeit erhaben ist.

Die Bewohner von Arrow Head passen gut in die düstere und abweisende Gegend. Sie haben alle etwas zu verbergen. Sehr verdächtig wirkt noch nach seinem Tod Dr. Xavier, in dessen Labor die Queens wahrlich Schauerliches entdecken. Ausgerechnet die siamesischen Zwillinge, die den Dreh- und Angelpunkt der Geheimnistuerei bilden, stellen sich ihrer bizarren Gestalt zum Trotz als freundliche und liebenswürdige Zeitgenossen heraus. Die „Freaks“ sind hier die ‚normalen‘ Menschen: ein nettes Detail am Rande eines ausgezeichneten Kriminalromans.

Fazit

Ungewöhnlicher Ellery Queen-Thriller, der sich der in den frühen 1930er Jahren aktuellen Stimmung der „Universal“-Horrorfilme bedient. Trotz des bizarren Ambientes werden die Regeln des Genres elegant verbogen, aber nicht gebrochen: Das Böse ist ganz von dieser Welt. Ein Meisterwerk für die Anhänger des klassischen Kriminalromans.

 

 

Anmerkung: Die siamesischen Zwillinge gehört zu den Ellery Queen-Romanen, die nie eine adäquate, d. h. neu übersetzte Neuauflage erfuhren. Bis dies (hoffentlich) geschieht, sollte der Krimifreund auf die Ausgabe/n des Goldmann-Verlags zurückgreifen. Diese ist - keine Selbstverständlich auf dem deutschen Krimi-Buchmarkt der Vergangenheit - ungekürzt und die Übersetzung, obwohl schon tüchtig angejahrt, immer noch lesbar. Auch die (jüngere) Ullstein-Ausgabe stützt sich darauf, aber eine deutliche Differenz in der Seitenzahl deutet darauf hin, dass hier wieder einmal die Stümper-Schere angesetzt wurde.

Die siamesischen Zwillinge

Ellery Queen, Goldmann

Die siamesischen Zwillinge

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