Broken Memory
- DAV
- Erschienen: Januar 2018
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- London: Harper, 2017, Titel: 'I know my name', Seiten: 384, Originalsprache
- Berlin: DAV, 2018, Seiten: 1, Übersetzt: Wolfram Koch; Rike Schmid; Gabriele Blum
Von der Traumfamilie zum Familien-Albtraum
Authentische Protagonisten im Wandel
Lachlan, Eloise und Eloises Großeltern, die sie aufgezogen haben, sind die Protagonisten des Buches. Alle sind gezwungen ihr Leben zu ändern und sich der neuen Situation anzupassen. Lachlan wandelt sich vom gestressten Finanzberater, der seine Familie nur am Wochenende sieht zum besorgten Familienvater. Die Großeltern von snobistischen, reichen Besserwissern zu verständnisvollen Unterstützern der Familie und Eloise, scheinbar perfekt in jeder Hinsicht, zur Frau, die dringend Hilfe braucht.
Diese Veränderungen könnten unglaubwürdig und plump daherkommen, aber C.J. Cooke schafft es, sie authentisch und plausibel zu schildern. Ihre Protagonisten sind keine statischen Personen, die stereotyp handeln. Sie sind auf eine realistische und situationsbedingte Art wandlungsfähig, dass sie dem Leser natürlich erscheinen und es ihm leicht machen, sich auf die Geschichte einzulassen. Mit ihnen spürt der Leser die Verzweiflung, das Misstrauen, die Angst und die Fassungslosigkeit. Der Autorin sind präzise gezeichnete Figuren gelungen, die nicht nur glaubwürdig handeln, sondern sich auch ebenso glaubwürdig wandeln.
Raffinierter Plot mit Puzzle-Charakter
Schnell ist klar, Eloise ist die gestrandete Frau ohne Erinnerung an die Vergangenheit. Aber, warum sie ihre Familie verließ und, wie sie auf die Insel kam ist lange ungewiss. Die ursprüngliche Musterfamilie, die alles ohne Probleme stemmt, wir demontiert. Lochlan, gestresst vom Job, fährt öfters aus der Haut und wird laut. Eloise, ganz Mutter und Leiterin einer NGO, zeigt Schwäche und Überarbeitung. Zu Tage kommt eine ganz gewöhnliche Familie, die zwar materiell gut da steht, aber ansonsten mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, wie jede Familie mit kleinen Kindern und beruflicher Belastung.
Dass diese Familie sogar noch mehr Probleme hat, von denen niemand etwas ahnt, zeigt sich erst im Laufe der Geschichte. Immer werden Informationen bekannt, die dem Leser ein neues Puzzleteilchen zur Lösung der Geschichte geben, die ihn aber auch manipulieren und auf falsche Fährten locken. Erst langsam setzt sich Stück für Stück das Gesamtbild zusammen, das man so am Anfang nicht für möglich gehalten hätte.
Spannung von Anfang bis Ende
Warum verlässt eine Frau ihr Zuhause, ihren Mann, den kleinen Sohn und die vor kurzem geborene Tochter? Diese Frage allein ist schon Garant für Spannung. Aber C.J. Cooke steigert diese noch, indem sie die Geschichte aus der Perspektive von Lachlan und Eloise erzählt. Mit jeder neue Entwicklung ist unmittelbar mit dem Gefühlsleben der beiden verbunden. Alle Emotionen werden direkt transportiert. Es bleibt dem Leser gar nichts anderes übrig als mitzufiebern. Dazu kommen Rückblicke in die Zeit vor dem Verschwinden, die das Bild zwar klarer, die Geschichte aber gleichzeitig immer komplexer werden lassen.
Jedesmal tut sich ein neuer Blickwinkel, eine neue mögliche Lösung auf, die dann aber gleich durch die nächste Erkenntnis wieder zunichte gemacht wird. Unvorhersehbare Enthüllungen und Wendungen halten die Spannung bis zum Schluss hoch, der Puzzle-Plot tut sein übriges. Die Auflösung selber ist dann nicht vorhersehbar und emotional und animiert den Leser zum Nachdenken.
Von Covern und Titeln
Es ist mir ein Rätsel, warum man einen passenden englischen Originaltitel in einen ebenso englischen Titel für die deutsche Ausgabe ändert. Man hätte doch bei "I Know My Name" bleiben können, wenn man schon keinen passenden deutschen Titel zu finden scheint, was ich bei dieser Geschichte allerdings anzuzweifeln wage.
Auch die Covergestaltung ist ehe ein Griff daneben als ein Glücksgriff gewesen. Zu reißerisch und grell und am Thema vorbei, wie man so schön sagt. Eine Frau, die den Leser provozierend anstarrt wird dem Buch ebenso wenig gerecht, wie die Farbe gelb für den Titel. Da wäre mehr rauszuholen gewesen, was den Inhalt des Buches besser repräsentiert hätte.
Ein Psychothriller der Extraklasse mit ganz kleinen Schwächen
C.J. Cooke hat mit "Broken Memory" einen spannungsgeladenen Psychothriller geschrieben, der ganz ohne Blutvergießen, Leichen und Effekthascherei auskommt. Das Thema scheint der Autorin am Herzen zu liegen, wie sie im Nachwort schreibt In athmospärischem und flüssigem Schreibstil entführt sie den Leser in einen familiären Albtraum, der so schnell nicht vorbei ist, weder für die Protagonisten noch für den Leser, den sie für die geschilderte Problematik sensibilisiert.
Kleine Schwächen sind die Schilderung der finanziellen Situation der Großeltern und die NGO unter Eloise Leitung. Dass die Großeltern sehr wohlhabend und Besitzer der Insel im Mittelmeer sind, ist wohl mehr der Logik der Geschichte als der Realität geschuldet. Leider wird auch in keinem Rückblick geschildert, wie Eloise die Hilfsorganisation aufbaut, wie sie die Wandlung von der unkonventionellen Weltreisenden zur geldeintreibenden Geschäftsfrau schafft. Das wäre für den Plot zwar nicht zwingend notwendig gewesen, hätte das Bild von Eloise aber abgerundet und vervollständigt.
Wer sich von dem misslungenem Cover nicht abschrecken lässt, findet in "Broken Memory" einen Thriller, der lange nachhallt. Durchgehend spannend wird eine psychologische Ausnahmesituation geschildert, die den Leser mit immer neuen Erkenntnissen packt und die Auflösung lange hinauszögert und ihn dann nachdenklich zurück lässt. Eben ein Psychothriller der Extraklasse.
C. J. Cooke, DAV
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