Am Ende eines öden Tages

  • Tropen
  • Erschienen: Januar 2016
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  • Rom: Edizioni E/O, 2011, Titel: 'Alla fine un giorno noioso', Seiten: 177, Originalsprache
  • Stuttgart: Tropen, 2016, Seiten: 381, Übersetzt: Hinrich Schmidt-Henkel, Katharina Schmidt, Barbara Neeb
Am Ende eines öden Tages
Am Ende eines öden Tages
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Almut Oetjen
91°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2016

Alligator Society

Arrividerci Amore, Ciao

Früher gehörte Giorgio Pellegrini zu einer terroristischen Vereinigung in Italien, nach seiner Flucht ist er Teil einer Guerillatruppe in Mittelamerika. Nachdem er seinen besten Freund und Kameraden exekutiert hat, taucht er ins Nachbarland Costa Rica ab und ein Jahr später in Paris bei seinem Führungsoffizier Gianni wieder auf. Sein Ziel ist die Rückkehr nach Italien in ein bürgerliches Leben.
Da die italienische Justiz ihn in Abwesenheit wegen Mordes an einem Wachmann zu einer Haftstrafe verurteilt hat, erpresst er Gianni, indem er mit Verrat droht. Gianni sorgt dafür, dass ein Genosse, der lebenslänglich sitzt, den Mord auf sich nimmt. Pellegrini stellt sich und muss nur zwei, drei Jahre absitzen, allerdings unter vergünstigten Bedingungen, weil er einige alte Genossen an den Leiter der Mailänder Antiterror-Spezialeinheit, den korrupten Ferruccio Anedda, verrät.

Nach seiner Entlassung 1982 findet der mittlerweile 35-jährige einen Job im Blue Sky. In der Tabledancebar wird diskretes Geld mit Koks und Sex verdient. Er kümmert sich um die Tänzerinnen, die nebenher als Huren arbeiten, treibt die Kunden in die Schuldenfalle, betrügt seinen Boss, erpresst sexuelle Gefälligkeiten von einer Frau, deren Mann ihm viel Geld schuldet, und nimmt an einer Racheaktion der beiden rumänischen Gorillas seines Bosses gegen einige Albaner teil. Dabei kommt ein Mann zu Tode.
Als er achtzig Millionen Lire zusammen hat, lässt er sich mit der Witwe eines großen Mafioso aus Mailand ein, die über fünfzig ist und sich als Hure durchschlägt.

Eines Tages taucht sein alter Knastkumpel Ciccio Formaggio im Blue Sky auf und schlägt ihm einen milliardenschweren Raubüberfall auf einen Geldtransporter in der Provinz Varese vor. Pellegrini plant die Aktion wie eine militärische Operation. Er besorgt Waffen und Autos, organisiert ein Versteck und treibt die benötigten Leute auf: drei Spanier, die wegen Terrorismus und Mord gesucht werden, sowie zwei kroatische Usta¨a-Kämpfer, Kriegsverbrecher zwar, aber hervorragende Schützen. Er traut keinem von ihnen. Außerdem muss er die Witwe und seinen Boss loswerden, und er will die Tänzerinnen an die Kosovaren für die Kfor-Truppen in Pri¨tina verkaufen.

Am Ende eines öden Tages

Seit elf Jahren ist der skrupellose Verbrecher und Ex-Terrorist Giorgio Pellegrini rehabilitiert und führt ein normales Leben als ehrbarer und geschätzter Bürger in einer nicht genannten Stadt im Veneto, wo er mit Ehefrau Martina lebt und das Edelrestaurant La Nena führt. Geholfen hat ihm Rechtsanwalt Sante Brianese, ein geschickter Rechtsverdreher, der seitdem in der Politik Karriere gemacht hat und Abgeordneter der Republik ist. Aus Verbundenheit arbeitet Pellegrini als Ausputzer für Brianese, stellt ihm kostenlos das abhörsichere Hinterzimmer des La Nena als Stützpunkt für Wahlpartys, Empfänge und Geschäftsessen mit den diversen korrupten Cliquen, die der Politiker kontrolliert, zur Verfügung sowie seinen Escortservice. Die Huren bezieht er von dem Russen Michail und verkauft sie nach einiger Zeit weiter an die Maltesermafia in Genua. Gemanagt wird der Escortservice von seiner alten Freundin Nicoletta.

Pellegrini hat auf Anraten Brianeses ein Vermögen in ein Geschäft in Dubai investiert. Nun informiert ihn Brianese, dass das Geschäft schiefgelaufen ist, man ist auf das Ponzi-System (Schneeballsystem) hereingefallen. Pellegrini verliert zwei Millionen Euro plus fünfundzwanzig Prozent Zinsen. Ein harter Verlust, zumal sich auch die Wirtschaftskrise auf das La Nena auswirkt und Brianese ausgerechnet jetzt auf den Escortservice verzichten will, so dass auch noch diese Einnahmen wegfallen.

Pellegrini findet heraus, dass Brianese ihn belogen und seine Partnerin Nicoletta ihn verraten hat. Doch es kommt noch schlimmer. Eines Tages taucht Brianese mit drei kalabrischen Mafiosi auf, die das La Nena als Geldwäscherei benutzen wollen. Pellegrini wird klar, dass Brianese ihm das La Nena nehmen will, das für ihn mehr als ein Restaurant: es ist der Beweis, dass er sein Lebensziel erreicht hat, ein ehrenwerter Bürger zu sein und akzeptiert zu werden. Dafür hat er betrogen, verraten, vergewaltigt und gestohlen und ist über Leichen gegangen.

Wenn er nicht alles verlieren will, muss er sich daran erinnern, wer er einmal gewesen ist und was er getan hat, um sich seine Position in der Gesellschaft zu erkämpfen.

Er plant einen Schlag gegen die drei Mafiosi und Brianese, bei dem Michail und Hissène, ein FUC-Kämpfer aus dem Tschad, sowie Brianeses Ehefrau eine zentrale Rolle spielen.

Verbrechen als Wissenschaft und Töten als Kunst

Am Ende eines öden Tages ist, anders als die vorliegende Übersetzung wegen des Coverhinweises "Kriminalroman" vermuten lässt, kein einzelner Roman, sondern ein dreiteiliger Doppelroman über Massimo Carlottos Protagonisten Giorgio Pellegrini. Der erste, "Arrivederci amore, ciao", erschien 2001 in Italien, 2007 unter diesem Titel in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel bei Tropen und ein Jahr später als Taschenbuch bei Heyne (mit 186 Seiten Umfang). Die italienische Originalausgabe des zweiten Romans wurde 2011 unter dem Titel "Alla fine un giorno noioso" mit 177 Seiten Umfang veröffentlicht. Eine eigenständige deutsche Übersetzung liegt nicht vor. Im Jahr 2016 erschien in Italien der Doppelband "Arrivederci amore, ciao/Alla fine un giorno noioso", mit einem neu geschriebenen Mittelstück, "Con un nuovo capitolo". Diese Fassung liegt nun auf deutsch als Am Ende eines öden Tages vor. Das Mittelstück, Teil II mit dem Titel "Einige Monate später", umfasst vierzehn Seiten und schildert, wie der Protagonist und Ich-Erzähler Pellegrini ein letztes Hindernis auf dem Weg zur vollständigen gesellschaftlichen Akzeptanz aus dem Weg räumt und mit Hilfe der Medien sein Image aufpoliert. Übersetzt sind Teil II und III von Barbara Neeb und Katharina Schmidt.

Der erste Roman zeigt Pellegrinis Kampf um die Rückkehr in ein bürgerliches Leben. Dem Strafgesetzbuch gemäß kann er frühestens fünf Jahre nach Abbüßung der Strafe einen Antrag auf Rehabilitation und Streichung aus dem Vorstrafenregister stellen, vorausgesetzt er hat sich seitdem an die Gesetze gehalten und wird es voraussichtlich auch weiterhin tun. Es ist dann so, als hätte er sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Carlotto hat hier eigene Erfahrungen verarbeitet, wurde er doch in den 1970er Jahren als Sympathisant der extremen Linken zu Unrecht wegen Mordes verurteilt und nach Flucht und Gefängnis 1993 begnadigt.

Der zweite Roman setzt 2011 ein, elf Jahre nach der Rehabilitierung. Pellegrini, verheiratet, Restaurantinhaber, vierundfünfzig Jahre alt, ist im bürgerlichen Milieu fest verankert. Im Großen und Ganzen hält er sich an die Gesetze, abstrahiert man von seinem Escortservice und seinen Ausputzerjobs für Brianese. Es macht ihm nichts aus, einem Mann den Arm zu brechen oder eine Frau krankenhausreif zu schlagen. Sorgen bereitet ihm nur, dass die Behörden ihn entdecken könnten, denn dann würde er seinen Status als Rehabilitierter verlieren. Ausgerechnet Brianese, der ihm geholfen hat, fällt ihm nun in den Rücken. Pellegrini muss nicht nur um den Erhalt seiner bürgerlichen Existenz kämpen, er weiß, dass auch sein Leben in Gefahr ist.

Pellegrini ist ein eiskalter Killer und intelligenter Taktiker, brutal und korrupt, ein Verräter und Heuchler. Skrupellos misshandelt oder tötet er auch Unschuldige, wenn es der Zielerreichung dient. Er charakterisiert sich ohne Koketterie selbst als arrogantes Arschloch und fiesesten Drecksack auf Erden. Trotzdem schafft es Carlotto, den Leser für ihn zu gewinnen. Fasziniert und gespannt verfolgt man Pellegrinis raffinierten und brutalen Manöver und die immer höhere Geschwindigkeit, mit der sich die Gewaltspirale solange dreht, bis sie in einer gewaltigen Explosion mündet.

Die Gegner sind mächtiger, aber er ist der bessere Stratege und brutalere Vollstrecker.

 

"Verbrechen war meine Wissenschaft und Töten meine Kunst"

 

So lautet sein Diktum, er vertraut auf die "unbegrenzten Möglichkeiten des kreativen Verbrechens". Und so überrascht er bis zum großen Finale mit seinen kreativen, intelligenten, akkuraten Plänen und Ideen, unbelastet von Moral, Gefühl oder Gewissen. Er ist stolz auf seinen unbedingten Willen zum Erfolg und darauf, der Bessere und Brutalere zu sein. Er misstraut allen und benutzt jeden, selbst seine Frau, die er auf eine nachgerade absurde Weise unterdrückt und manipuliert.

Als skrupelloser Verbrecher und Heuchler bringt der Karrierist mit dem unbedingten Streben nach Wohlstand und Anerkennung gute Voraussetzungen für die Integration in die Gesellschaft Norditaliens mit ihren korrupten Politikern, Polizisten, Unternehmern, Kriegsverbrechern und Söldnern mit.

Zwei spannende, knallharte, fokussierte Kriminalromane, mit trockener Lakonik und ätzendem Sarkasmus erzählt, über die Abgründe eines verbrecherischen Menschen und das korrupte System Italiens.

Am Ende eines öden Tages

Massimo Carlotto, Tropen

Am Ende eines öden Tages

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