Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 37

"Die gläserne Zelle"

Ein neues Highsmith - Highlight

Der NDR kümmert sich achtsam und beachtenswert um die menschlich schwierige, literarisch erfolgreiche Suspense-Autorin Patricia Highsmith, die bereits 1995 verstorben ist. Aktuell wurde im Herbst 2023 „Die gläserne Zelle“ gemeinsam mit dem Schweizer Rundfunk als Hörspiel bearbeitet. Die Romanvorlage wurde 1964 abgeschlossen und 1966 erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Ein typischer Highsmith-Roman, der seine Reize auch dadurch hat, dass die Autorin in ihrem „Handwerksbuch“ Suspense einiges über ihre Arbeitsweise verraten hat.

Drinnen

Philipp Carter sitzt ein. Der Ingenieur und liebenswerte Familienvater wurde wegen Unterschlagung zu 6 Jahren Haft verurteilt. Zu Unrecht. Er wurde Opfer eines firmeninternen Komplotts. Carter fühlt sich allein gelassen. Alle Versuche, das Verfahren neu aufzurollen scheitern. Die Anwälte haben mäßiges Interesse an seinem Fall. Nur der schmierige Ex-Kollege Gawill steht ihm bei. Die Besuche seiner Frau werden immer seltener. Carter muss die brutale Welt des Knasts durchstehen. Die demütigende Behandlung durch die Aufseher, die ihn brutal verletzen. Er wird Morphium abhängig. Aber unter all den Mördern und Schwerverbrechern baut er eine vertrauliche Beziehung zu einem Mitgefangenen auf. Als dieser bei einem Gefangenen-Aufstand getötet wird, wird Carter zum unerkannten Mörder an diesem Täter. Noch 6 Jahre im Knast.

Draußen

Die 6 Jahre sind vorbei. Carter zieht zu seiner Frau Hazel und dem Sohn Timmie, sucht Arbeit und ein neues Leben. Das ist nicht einfach. Hazel hat neue Kontakte, neue Freunde. Z.B. den eleganten Anwalt Sullivan. Gawill taucht wieder auf und redet Carter ein, dass Hazel eine Beziehung mit Sullivan habe. Er hasst Sullivan. Carter weiß nicht, was er glauben soll, bis er Hazel abends zufällig vor dem Haus von Sullivan trifft. Als er ihn zur Rede stellen will, wird Sullivan gerade überfallen. Sullivan ist tot und ein paar Tage später auch der, der ihn überfallen hat. Die Polizei ermittelt und prüft Fingerabdrücke und Alibis. Aber Carter oder Gawill können es nicht gewesen sein, sie waren zum fraglichen Zeitpunkt in einer Bar zusammen.

Das Hörspiel

Eine Erzählerin begleitet durch die Handlung. Ihre Stimme ist immer sachlich und emotionslos. Gelegentlich ergänzt durch innere Monologe von Philipp Carter. Die vielen dramatisch zugespitzten Szenen verweisen zunehmend auf den tatsächlichen Sachverhalt und animieren den Hörer zu eigenen Spekulationen. Gelegentlich gefriert dem Hörer das Blut in den Adern, so hart geht es zu. Teil 1 spielt im Knast, Teil 2 in der Freiheit, die eigentlich keine mehr ist. Carter ist ein anderer Mensch geworden. Kann er noch zwischen Recht und Unrecht unterscheiden?

Die Regie folgt der Autorin, die nie wertet, sondern nur schildert. Trotz der vielen psychologischen Aspekte ist es ein spannender Krimi, an manchen Stellen leicht angestaubt. Die Bearbeitung hat die Übersetzung sehr frei interpretiert, zeitliche Veränderungen vorgenommen und sprachlich aktualisiert. Die Sprecher erledigen die von der Regie übernommen Aufgaben vorzüglich. Und damit beginnt ein leichtes Bedauern. Die Autorin Highsmith ist neutral, aber nicht emotionslos. Im Buch gibt es viele wunderschöne Szenen voller Freude und Emotion. Davon ist zu wenig zu hören. Der Grundton der Sprecher ist eher unbeteiligt. Die leicht esoterisch angehauchte Musik verstärkt diesen Eindruck.  Dennoch gelingt es dem Hörspiel zu vermitteln, dass die dramatischen Themen, die Highsmith vor gut 60 Jahren aufgegriffen hat, den Menschen heute noch unter den Nägeln brennen: Eifersucht, Neid, Drogen, Betrug und manches mehr.

Fazit

Spannend, tiefgründig. Kein Grauen im modernen Sinn, sondern psychologischer Suspense. Etwas frei interpretiert, aber bestens inszeniert. Vielleicht gibt es noch mehr bei Highsmith auszugraben.

Couch-Wertung: 85°

ARD Audiothek

"Verfluchter Krieg"

Eine neue „Glut“-Episode des SRF

Der Schweizer Rundfunk legt im Winter 2023 eine vierte Episode des Autors Holliger um den ehemaligen Kommissär Glut vor. Glut ist ein ausgesprochener Charakterkopf und hat zudem noch eine Lichtallergie, kann als nur nachts arbeiten. Er sucht Katzen. Eine kleine Fangemeinde freut sich auf die anspruchsvollen, nie ganz einfachen Hörspiele. Der Intellektuellenkrimi hat Lokalkolorit, ist aber kein Mundartkrimi.

Inhalt

Winter 1992.Eines Nachts läuft Heiner Glut sein ehemaliger Kollege, der Kriminaltechniker Simon Isler, über den Weg und schleppt ihn mit auf die Spitze des Münsters. Per Laser will ihm ein Informant aus der Bank für internationale Zusammenarbeit Insider-Geheimnisse zukommen lassen. Daraus wird nichts. Sie befinden sich aber plötzlich im Visier von Scharf-Schützen und fliehen. Auf dem Heimweg wird Glut Zeuge eines Überfalls auf ein Auto und er meldet dies seinen ehemaligen Kollegen. Die sind nicht überrascht. Es müssen Kroaten gewesen sein, die seit einiger Zeit versuchen, eine serbische Hauptfigur des jugoslawischen Bürgerkrieges zu töten. Unversehens wird Glut gebeten, sich in die Ermittlungen einzuschalten. Zögernd sagt er zu und befindet sich bald darauf, im ruhigen Basel, in einem Kampf um Geld, Informationen und Menschen. Basel steckt mitten im Geschehen des Jugoslawien-Krieges. Und dann wird es auch noch persönlich: Das Haus, in dem er lebt, soll Unterschlupf eines serbischen Kriegsverbrechers sein.

Das Hörspiel

Der Autor bezeichnet sein Hörspiel völlig zu Recht als einen „albtraumhaften Mystery-Krimi und Polit-Thriller“. Damit bedient er den Zeitgeist, der Mystery und Grauen liebt, den klassischen Krimifreund und zugleich die Liebhaber von Politkrimis.

Den vielen politischen Verästelungen und Verfeindungen zu folgen, wird nur wenigen Hörern gelingen. Spannend, aber extrem kompliziert. Glut ist nicht nur Ermittler, sondern offenbart auch seine komplexe Innenwelt. Er sieht seine toten ehemaligen Kollegen, hat Albträume und verliert oft genug die Bodenhaftung. Der Autor liebt den Spagat zwischen Irrealem und präzisen realistischen Beschreibungen. Es gibt das Große und Ganze und dann wieder die Kleinigkeiten. Die literarisch anspruchsvolle Sprache und viel Sprachwitz gehen etwas unter.

Der Hörer sollte bereit sein, in diese Welt einzutauchen. Wenn er wieder auftaucht, wird er möglicherweise nicht genau wissen, wo er sich gerade befindet. Der Zugang zum Hörspiel fällt leichter, wenn man die vorhergehenden Episoden gehört hat.

Das Alles wird ausgesprochen unterhaltsam, spannend und hörenswert inszeniert. Es gibt wunderschöne zärtliche Szenen, eklige und grausige. Der zeitliche Ablauf ist nicht immer einfach zu verstehen. Wie häufig bei den Hörspielen des SRF sind Sound und Geräusche Erste Sahne. Hier knarrt noch die Treppe zum Münster und Glut hechelt die letzten Stufen. Ein Highlight ist eine Verfolgung im Abwasserkanal, in der es hallt und gurgelt. Die Musik ist eher experimentell.

Die brillante Regie lässt allen Sprechern den Raum, die Figuren mit Leben zu füllen. Als Episodenreihe würde man sagen. Gelungenes Ende, aber nun sollte es auch genug sein. Der Autor möchte einfach zu viel des Guten.

Fazit

Das Hörspiel ist wie ein mehrgängiges Viersterne-Menü in einem angesagten Restaurant. Für Genießer und Gourmets ein Genuss. Der Durchschnittsesser wird nicht satt und spart sich das Geld. Der SRF ist aber zu loben, dass er nicht nur die Tagesessen im Angebot hat.

Couch-Wertung: 70°

SRF Krimi Homepage

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 37" von Malte Stamer, 02.2024
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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