Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 36

"Geschlossene Gesellschaft"

Ein Radio Tatort Filetstück

Im Herbst 2022 hat das Team des NDR um Bettina Breuer seine Dienstzeit mit einem Rekord beendet: 24 Episoden im Zeitraum von 14 Jahren. Immer auf einem hohen Niveau und einem wenig aufdringlichen, lokalen Hintergrund. Geschrieben von renommierten Autoren und von einer überschaubaren Reihe von Regisseuren produziert. Hier hat sich Sven Stricker ins Gedächtnis geschrieben, bevor er mit Sörensen den ganz großen Erfolg errang. Die Krimiautorin Simone Buchholz soll im Herbst 2023 Neuland erobern und der Hörer ist gespannt.

Inhalt

Eine Spezialeinheit soll in Verden an der Aller mit der örtlichen Dienststelle zusammenarbeiten. Dabei ruckelt es heftig. Gina Scarafino ist eine erfahrene Extremismusexpertin. Die sportliche Jules Dombrowski liebt es, unerkannt zu ermitteln und der ehrgeizige Philipp von Treuenfels ist Mädchen für alles. Die anthroposophische Schule in Verden ist während der Pandemie durch einige Aktionen ins Visier der örtlichen Polizei geraten. Als auf den Bürgermeister, die Schulaufsicht und den Leiter der Grundschule ein Attentat mit Tollkirschenkuchen versucht wird, wurde die Spezialeinheit angefordert.

Jules wird als Erzieherin in die Schule eingeschleust. Gina und Philipp analysieren das Umfeld. Noch bevor erste Ermittlungsergebnisse vorliegen, wird die Leiterin der Schulaufsicht tödlich überfahren aufgefunden. Sie hatte wenige Tage zuvor der Leiterin der anthroposophischen Schule mitgeteilt, dass sie ihres Amtes enthoben wird und die Schulaufsicht die Leitung übernimmt. Spinnt die Schulleiterin oder hat sich das ganze Kollegium zusammengetan? Jules will helfen, doch sie kommt nicht aus der Schule heraus. Alle Türen und Tore sind geschlossen. Was bahnt sich da an? Gina ordert auf jeden Fall schon mal die SEK.

Das Hörspiel

Vorab: Hier steht eindeutig das Hören im Mittelpunkt. Gespielt wird auch: Das Team untereinander, das Team mit der örtlichen Polizei (Bjarne Mädel) und der Staatsanwältin. Es gibt auch schöne Running Gags.

Die Story wird konventionell ohne Erzähler gespielt. Allerdings stellen sich die Hauptpersonen selbst vor. Der Einstieg ist eine längere Passage, in der die Szenen ineinander übergehen. Das Team besteht aus drei sympathischen Individualisten, von denen man gerne mehr hören möchte. Reizvoll, dass die klassische Krimikonstellation hier auf den Kopf gestellt wird. Gina ist die bestimmende Person, Jules die Alleskönnerin und Philipp eben das Mädchen für alles. Eine Konstellation von zwei Frauen und einem Mann hat Sartre ja schon in seinem gleichnamigen Schau-/Hörspiel gewählt.

Ein ganz wenig Psycho gibt es auch: Philipp hängt noch an der Mutter. Die toughe Gina hat ein Problem mit ihrem italienischen Ledermantel aus alten Zeiten. Ohne zu spoilern, kann man den Plot nicht beschreiben. Er ist die einzige Schwäche des Hörspiels. Die Spannung entsteht aus der Sprache und den Dialogen sowie wunderbaren Lauschangriffen.

Philipp ruft seine Eltern an: „Hallo Papa“. „Schön, dass du anrufst, ich hol schnell Mama.“ Eine knapp formulierte Lebenserfahrung aller Erwachsenen. Die Mama nennt ihn übrigens Muggelchen! Oder Jules: „Ich steh auf Frauen, also meistens, ich hab ADHS, ich hab Tabletten, und ich kann mich unsichtbar machen“. Die Sprache ist immer knapp und präzise. Oft witzig und frotzelnd.

Das Hörspiel nimmt sich Zeit für eine Vielfalt von Alltagsgeräuschen, die spürbar die Spannung erhöhen und gelegentlich in die beeindruckende Begleitmusik übergehen. In diesen Momenten ist die Musik elektronisch, aber meist melodiös und mit passender Dynamik.  Ab und an werden dem Hörer Klassiker gegönnt, nie zweckfrei (Spiel mir das Lied vom Tod!).

Eines der seltenen Kriminalhörspiele, die man gerne zweimal hört, obwohl man die Handlung schon kennt. Diese Qualität nimmt der Hörer wahr, weil jede Figur bestens besetzt ist. Wenig verbrauchte Sprecher, die den jeweiligen Typ glaubhaft darstellen. Bjarne Mädel muss natürlich so sprechen, wie wir ihn alle erwarten.

Inhaltlich weist die Autorin auf ein wachsendes Problem hin: In sich abgeschlossene Gesellschaften, die die Außenwelt nicht mehr wahrhaben wollen und in eine eigene Welt abdriften, die auch extrem gefährlich sein kann.

Fazit

Sprachlich erste Sahne, Regie geht kaum besser. Ein Gaumenschmaus für die Ohren. An den Plots sollte die Autorin noch arbeiten.

Couch-Wertung: 90°

ARD Audiothek

"Dein Freund und Helfer"

Ein Schockanruf im Tatort

Seit 2008 erfreuen uns die Radio Tatorte um den Kommissar Paquet, seit 2013 mit Amelie Gentner als Partnerin, aus Saarlouis. Sie haben immer ein besonderes Flair, weil sie einerseits sehr regional, fast dörflich, verankert sind, aber mit der Nähe zu Frankreich doch auch etwas Weltläufiges haben. Die Themen sind zumeist dem Alltag entnommen, lediglich kriminalistisch zugespitzt. Als Autoren wechseln sich Erhard Schmied und Madeleine Giese ab. Beide kennen sich in ihrer Heimat bestens aus.

Inhalt

Die alleinlebende Witwe Winter erhält den Anruf, den alle Alten fürchten:“ "Ihre Tochter hat in Metz einen Unfall mit Todesfolge verursacht." Die französische Polizei droht und beruhigt zugleich. Wenn sie so schnell wie möglich die Kaution zahlt, komme ihre Tochter frei. Ein Polizist aus Saarlouis wird das Geld persönlich holen. Winter kramt ihre Wertsachen zusammen und geht zur Bank, das geforderte Geld abzuheben. Doch der Schalterangestellte ist skeptisch und holt die zufällig anwesende Polizistin Gentner hinzu. Sie überzeugen Frau Winter, die Geldübergabe unter Polizeischutz durchzuführen. Vor kurzem ist eine ebenfalls ältere Frau bei so einer Geldübergabe ums Leben gekommen. Doch die Aktion scheitert kläglich. Der Abholer entdeckt ein Gesicht und flieht. Verliert in der Hektik aber das Geld. Das Gesicht war der pensionierte Lokaljournalist Ehrenfeld, der einen Insidertipp erhalten hatte und eine Story witterte. Immerhin kommt der Täter Amelie Gentner irgendwie bekannt vor: Ein junger Mann, der als Kleinganove seine Drogensucht finanziert. Für wen arbeitet er? Ist der Kneipenbesitzer der Kontaktmann für die in der Türkei lebenden Strippenzieher? Bevor der junge Mann aussagen kann, wird er in einer Schrebergartensiedlung tot aufgefunden.

Das Hörspiel

Das Ermittlertrio ist sympathisch und schlüssig, aber schlicht. Der ältere Paquet verbreitet Weisheiten, Gentner ist die Fleißige und der junge Waller macht einen Fehler nach dem anderen. Das Hörspiel bringt alles für einen guten Krimi mit. Eigentlich. Zwei Tote, zwei Schussverletzte und vielfältige Spuren. Aber im Grunde mäandern die Ermittler durch die Geschehnisse und arbeiten sich von einem Zufall zum Nächsten. Gentner ist zufällig in der Bank als Fr. Winter Geld abheben will. Gentner erkennt zufällig bei der Geldübergabe den Täter. Der Rest wird vergeigt: Der Täter entwischt bei der Geldübergabe, eine angeordnete Überwachung scheitert kläglich und ansonsten kommen die Kollegen zu spät. Kein Freund und Helfer als Ordnungsmacht.

Aber im Privaten. Gentner kümmert sich mehr oder weniger liebevoll um ihren dementen Vater. Und das Team soll zarte Bande bei Ehrenfeld und Winter knüpfen. Neben dem großen Thema Schockanrufe mit ihren Hintermännern und die ausgenutzten Kleinkriminellen tauchen immer wieder Lebensthemen auf wie Demenz, Einsamkeit und geringe Wertschätzung Älterer oder wilder Sex mit 75 auf. Die Dialoge sind nicht immer stilsicher. Ein Satz wie: „Die Kollegen in Istanbul müssen auch von was leben“ dient nicht wirklich dazu, einen Kleindealer zum Weitermachen zu überreden.

Trotz der Schwächen der Vorlage ist der Regie ein hörenswerter Krimi gelungen. Ein angenehmer, ruhiger Rhythmus, beeindruckende Sprecher und bemerkenswerte Szenen wie box-in-the box: Frau Winter hört im Radio ein Interview mit Gentner, die wiederum ein Telefonat einspielt. Tolle Idee. Die nicht-melodiöse musikalische Begleitung fördert Spannung, baut sie ab und lässt dem Hörer Raum zum Nachdenken. Die Geräusche in der Bar oder am Imbiss sind stimmig. Wenn die beiden Älteren zarte Bande knüpfen, muss die laut tickende Uhr (Gibt es sowas noch?) nicht daran erinnern, dass die Lebenszeit abläuft.

Der Hörer kann der Handlung gut folgen und wird dennoch vom Plot überrascht.

Fazit

Ein hörenswerter Durchschnittstatort mit dem sympathischen frankreich-nahen Saarland-Flair, hörenswerten Sprechern und einer einfallsreichen Regie, aber schwachem Skript.

Couch-Wertung: 65°

ARD Audiothek

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 36" von Malte Stamer, 02.2024
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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