Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 35

"Sie finden dich nie"

Schauer und Spannung aus England

Im Herbst 2023 hat der Deutschlandfunk Kultur die erste Episode der britischen Erfolgsautorin Cara Hunter um den DI Adam Fawley als Hörspielbearbeitung veröffentlicht. Das Buch wurde 2018 in UK veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung umfasst ca. 360 Seiten und wurde schon im gleichen Jahr veröffentlicht. Auf Englisch sind inzwischen 6 Fawley-Romane erschienen.

Inhalt

Stress im Haus der Familie Masons. Heute Abend steigt die große Grillparty mit Nachbarn im Garten. Das bedeutet Vorbereitungsstress und viel Chaos. Doch am Ende wird alles gut. Die Party ist gelungen, alles hat geklappt, die Besucher hatten gute Laune und die Kinder haben sich unters Volk gemischt. Aber die müssen auch mal ins Bett. Doch wo steckt die achtjährige Daisy? Ihr Bruder Leo hat sie nicht gesehen. Ihre Mutter Sharon und der Vater Baron sind sich sicher, dass sie auf der Party war. Panik. Die Oxforder Polizei unter der Leitung von DI Adam Fawley wird eingeschaltet. Die ersten 24 Stunden vergehen quälend langsam. Von Daisy keine Spur. Nun sucht die Polizei nicht mehr nur ein Opfer, sondern auch einen Täter. Die akribische Analyse von Daisys letztem Tag erweist, dass sie nie zu Hause angekommen ist. Tatsächlich ist nichts so, wie es auf den ersten Blick schien, wie die sorgfältige Ermittlungsarbeit zeigt. Daisy ist schon auf dem Schulweg verschwunden. Sie war an dem Nachmittag nie zuhause. Daisy und Leo sind nicht die leiblichen Kinder. Sharon ist nicht die sorgende Mutter, sondern ein Nervenbündel mit schwerer Kindheit. Der Vater Baron ist kein Kostverächter und hatte Liebschaften und war möglicherweise ein Konsument von Kinderpornos. Unter den Augen des wütenden Mobs brennt dann auch noch das Haus der Masons lichterloh. Daisys Leiche wird nicht gefunden. Kann der Staatsanwalt einen Täter gerichtsfest zur Strecke bringen?

Das Hörspiel

Das Hörspiel ist ein klassischer Ermittlungskrimi. Das Team um den detailbesessenen DI Fawley geht vorurteilsfrei jeder Spur nach. Das Hörspiel folgt den einzelnen Schritten mit wenigen zeitlichen Rückblenden und inneren Monologen von Fawley. Die innere Verfasstheit der Ermittler spielt keine Rolle. Wir erfahren lediglich von Fawley, dass sein Sohn Selbstmord begangen hat. Immer tiefer dringt die Polizei in die tatsächlichen Gegebenheiten ein und deckt ein Meer von Lügen und Selbsttäuschungen auf. Insbesondere Fawley greift jeden Zweifel auf. Der Hörer kann dem gut folgen und jedes neue Detail macht das Hörspiel spannender, auch wenn die Autorin viele brisante Themen aufgreift: Kindesmissbrauch, Adoptivkinder, soziale Verelendung, schwierige Kindheit, eheliche Lügen, aufgebrachter Mob. Es ist also ein politisches Hörspiel mit moralischem Anspruch.

Die Regie hat diese Vorlage zu einem hörenswerten Stück montiert. Beeindruckende Charaktere, abwechslungsreiche Spielorte in dem beschaulichen Oxford und immer neue Aspekte, die den Fall kniffliger machen und die Chance Daisy lebend zu finden, reduziert.  Die Ohren finden keine Ruhe. Die Sprecher sind erstklassig, sie finden die passenden Töne für die Typen, ohne zu übertreiben und machen auch ihre innere Entwicklung hörbar. Auch die nie einfachen Kinderstimmen klingen überzeugend. Mutig ist die Entscheidung der Autorin, die Anklage dem Staatsanwalt zu überlassen. So wird der Krimi in den letzten Minuten noch zu einem Gerichtsdrama. Insgesamt wird alles eher ruhig erzählt und von stimmungsbetonender Musik begleitet. Pausenlärm, aufgebrachter Mob und vieles mehr bieten eine schöne Kulisse für passende Sounds und Geräusche.

Wie in britischen Krimis üblich, kommen by the way gruselige Details zu Gehör, die Mitteleuropäer nicht gewohnt sind, aber offenbar gerne mitnehmen. Auch wenn es manchmal des gut Gemeinten zu viel ist, betritt hier doch ein neues Ermittlerteam die Welt, von dem man gerne mehr hören möchte. Der deutsche Titel fordert den Zuhörer ständig heraus, seine Konzentration sollte bis zu den letzten überraschenden Minuten bestehen.

Fazit

Zwei gut investierte Stunden. Sozialkritisch, extrem spannend und ein methodisches Gerüst, welches Lust auf mehr macht.

Couch-Wertung: 85°

ARD Audiothek

"Auserwählt"

Viel Politik, wenig Krimi

Auserwählt ist das 4. Hörspiel um das MDR-Ermittlerteam Gesche Kraus vom LKA Magdeburg, die junge Polizisten Nancy Ritter und ihren schwierigen Bruder Tommy aus dem fiktiven Ort Lörben in Sachsen-Anhalt. Zum Konzept gehört auch, dass dies an jeder Stelle zu hören ist. Neu ist die Regisseurin Anne Osterloh.

Inhalt

Nancy Ritter wird leicht verletzt, als sie und ihr vorgesetzter Kollege Marchlewski den Rädelsführer einer Querdenker-Demo vor der Kirche zum Verhör aufs Revier bitten. Es handelt sich um den Pfarrer Martin Hoffmann, den die evangelische Kirche vor ein paar Tagen wegen seiner queren Ansichten entlassen hat. Nicht nur diese neue Szene beunruhigt die Lörbener Polizei. Die verschnupfte Gesche Kraus vom LKA Magdeburg sucht einen Toten. In einem Telegram -Post wurde verkündet, dass CRSDR vor drei Tagen einen Verräter ermordet hat. Auch Sprengstoff wird erwähnt. Es gibt keinen Toten in Lörben, allerdings wird Rochlitz vermisst. Er war Händler für so harmlose Dekoware wie Metallschwerter oder polnische Böller und gehörte bis vor kurzem zur Gruppe um den Pfarrer. Gilt als herzensgute Seele. Als Nancy in seine Wohnung eindringt, findet sie ihn mit einem Schwert geköpft. Nun gibt es eine Leiche. Gibt es auch einen Zusammenhang zur Szene um den Pfarrer? Gesche Kraus, Nancy Ritter und Tommy ermitteln nun in dem schwierigen Umfeld von evangelikalen Christen, Neonazis und Queeren-Hasser, in dem Wut schon mal in blanke Gewalt umschlagen kann.

Das Hörspiel

Das Hörspiel klingt, als sei es eine Auftragsarbeit der Bundeszentrale für politische Bildung. Im Osten Deutschlands sitzen die Hassprediger, die Incels, die Querdenker und und. Das sind die Bösen. Die Polizisten sind die Guten, aber machtlos. So ein Ansatz macht jeden Plot kaputt.

Das LKA sucht einen Mörder, Nancy schlägt sich mit den örtlichen Querdenkern herum und Tommi ist der Spezialist für alle Grenzbereiche. Für den Verlauf der Handlung wird er zur zentralen Figur und denkt gelegentlich in der Ich-Form laut. Alle drei Figuren bestens besetzt. Sie wären auch überzeugend, wenn der Autor ihnen nicht permanent aggressive, laute Sätze in den Mund gelegt hätte, die zumindest eine gute Verhörarbeit unmöglich machen.

Die Handlung wird in sehr vielen kurzen Szenen mit hohem Tempo erzählt. Sympathisch ist das intensive Lokalkolorit mit charakterstarken Typen wie der Erzieherin oder Tommys Chef. Eingespielte Original-Musik belegt die vom Autor gewünschte Aussage.  Da wird dann schon mal das gute alte Gospel „Down in the river to pray“ als Evangelikalen-Hymne missbraucht. Im Übrigen ist das Hörspiel ein Bombardement an Sound und Geräuschen, wie man es nur selten hört. Da braucht die Regisseurin noch die Erfahrung, dass weniger manchmal mehr sein kann. Das gilt auch für die bereits beim Autor hoffnungslos überzeichneten Typen. Welchen erzählerischen Wert hat die Schniefnase von Gesche Kraus? Tommy kennt sich bestens aus in alten germanischen Bräuchen und im Internet, weiß aber nicht, was ein Manifest ist. Damit der Plot funktioniert, muss Nancy lesbisch sein. So gibt es eine Reihe von Merkwürdigkeiten. Der Autor hat das Bedürfnis, seine Belesenheit dem Hörer mitzuteilen und erfährt etwas über die dunklen Seiten von Martin Luther.

Das Ende im einzigen queeren Café in Lörben ist hochdramatisch, allerdings erweist sich der Plot letztlich als ziemlich schlicht. Es ist zu befürchten, dass die aufklärerische Absicht des Autors ins Gegenteil führt.

Fazit

Hier treffen ein schwaches Skript und eine wenig erfahrene Regisseurin aufeinander. Wer Spaß am Lokalkolorit und Geräuschvielfalt hat, wird trotzdem seine Freude haben. Ein schwacher Tatort mit viel Luft nach oben.

Couch-Wertung: 60°

ARD Audiothek

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 35" von Malte Stamer, 01.2024
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Fotos: istock.com / tolgart

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