Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 32
"Caro ermittelt – Fall 3"
Ein neuer Genie-Streich
Der Einfallsreichtum, die Unverfrorenheit und die Humorbesessenheit haben den RBB gezwungen, ein eigenes Genre für die Autorin Caroline Labusch und ihre Regisseurin Marion Pfaus zu erfinden: True-Crime-Comedy-Radioserie.
Wie in den ersten beiden Staffeln handelt es sich um reale, aktuelle Geschehnisse. Nicht um nacherzählte Mordgeschichten. Diese Geschichten sind spannend wie die Wirklichkeit. Denn alles, was man sich ausdenken kann, kommt in Wirklichkeit vor. Es ist Comedy, denn die Handlung wird locker flockig (Berlin!) und mit viel Augenzwinkern erzählt. Und es ist keiner dieser endlos langweiligen Podcasts, in denen zwei schlecht vorbereitete B-Promis erzählen, was ihnen so einfällt. Eine Radioserie also. Schön, dass es dich gibt.
Inhalt
Caro ist genervt von den vielen Telefonaten mit fremd klingender Stimme, die ihr Geldanlagen schmackhaft machen wollen. Gemeinsam beschließt das Team, dem ein Ende zu setzen und diesen Gaunern das Handwerk zu legen. Aus Spiel wird Ernst und Caro lässt sich auf Verhandlungen mit einem dieser Berater ein.
In sieben Episoden wird nun Stück für Stück verfolgt, wie solche Betrüger arbeiten und wie man sie „kriegen“ kann. Caroline Labusch verwandelt sich in die Haushaltshelferin Balusch, die ihre Chefin Erika Mittel dabei unterstützt, Schwarzgeld beim Herrn Wolf anzulegen. Doch als Caro/Balusch den guten Wolf überreden will, halbe/halbe zu machen und das Geld von Erika Mittel einzusacken, steigt Wolf aus. Doch schnell meldet sich eine neuer Telefonbetrüger, André Getty. Das Team baut sogar im Internet eine gefakte Bankhomepage auf, die nun dem Herrn Ernsthaftigkeit suggerieren soll. Angesiedelt auf den Cayman Islands. Er fällt darauf rein. Er will unbedingt den Deal und gibt bedenkenlos seine persönlichen Daten in einer Art Post-Ident mit Video preis. Die Daten sind nachvollziehbar. Der echte André Getty ist enttarnt. Das Video zeigt aber keine Goldkettchenumgebung, sondern eine eher ärmliche Wohnung.
Doch was macht man nun mit dem Gauner? Er sitzt in Albanien und hat noch nicht wirklich betrogen. Ist aber Teil einer üblen Geschäftswelt. Caro und ihr Team holen sich externen Rat.
Hörspiel
Alles, was der Hörer hört, hat sich exakt so abgespielt. Da wurde nichts ausgedacht oder gefakt. Das hört sich dennoch manchmal seltsam an. Diese Authentizität wird vertieft, indem immer wieder Dialoge aus der Produktionsarbeit eingeblendet werden. Und Caro, ihre Regisseurin Marion Pfaus und alle die anderen sprechen so, wie Menschen sprechen. Sie sprechen nicht als Schauspieler. True Crime eben. Und natürlich ist es spannend zu hören, ob und wie sie den bösen Wolf und Getty auf die Schliche kommen. Da gibt es Umwege und falsche Pfade. Das Meiste was man hört, ist unglaublich und immer witzig.
Letztlich wird deutlich, wie das System dieser Betrüger funktioniert, aber auch wie schwer es ist, sie dingfest zu machen.
Die Episoden sind unterschiedlich lang, um die 25 Minuten. Jede Episode beginnt mit einer kleinen Rückblende, die den Einstieg erleichtert. Es gibt keine Spielszenen, sondern nur die Studiosituation oder Telefonate. Sachlich nüchtern ist nur das Gruppengespräch in Episode 7 und ein Telefonat mit der Polizei. Immer wieder werden Selbstgespräche oder kleinere Diskussionen im Team eingespielt. Es hört sich dabei an, als wäre es Echtzeit.
Technisch natürlich vom Feinsten. Caro muss verschiedene Figuren sprechen, nutzt technische Hilfsmittel zum Verzerren und dann die Auslandstelefonate mit dem gebrochenen Deutsch.
Aus dem Rahmen fällt wieder Episode 7 mit der Gruppendiskussion unter Fachleuten. Wer hört, welche Promis eingeladen wurden, hat schon eine Vorstellung vom Ergebnis der Diskussion. Die einzige Schwachstelle dieser Episode. Die Bestrafung ist dann wieder ein Geniestreich von Caro.
Fazit
Ein hochattraktiver Hörgenuss. Die Machart ist gewöhnungsbedürftig und wird nicht jedem gefallen. Witzig, informativ und lehrreich, ungewöhnlich. Eine Hör-Bar mit vielseitigen Angeboten.
Couch-Wertung: 90°
ARD Audiothek und RBB
"Mein Lieblingstier heißt Winter"
Ein Hörstück für die Bionade-Bourgeoisie?
Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz war 2021 mit seinem gleichnamigen Debütroman der Shooting-Star der Literaturszene. Der NDR hat sich im Sommer 2023 an eine Hörspielfassung gewagt, die vom Autor selbst formuliert wurde. Noch bevor dies Hörspiel veröffentlicht wurde, hat der Autor eine dramatische Fassung als Schauspiel erarbeitet, die im Frühjahr 2023 in Frankfurt Premiere hatte.
Inhalt
Der Wiener Vertreter für Tiefkühlkost Franz Schlicht hat ein Problem. Er findet die Leiche nicht.
Schlicht hatte einen älteren Stammkunden, der sich nur von tiefgefrorenem Rehragout ernährte. Nun wollte sich der demente Dr. Schauer zum Sterben in seine Tiefkühltruhe legen. Der Familie wegen mochte er dort aber nicht aufgefunden werden. Schlicht solle ihn nach ein paar Tagen rausholen und den gefrorenen Leichnam irgendwo auf einer Lichtung auftauen lassen. Diesen Gefallen wollte der schlichte Vertreter dem honorigen Manne gerne tun. Allerdings war Dr. Schauer weder in der Truhe noch sonst wo zu finden. Also ermittelt der Schlicht in eigener Sache. Dabei trifft er auf schräge Verwandte, illustre Freunde und die Chefin des Reinigungsunternehmens Schimmelteufel und viele andere.
Das Hörspiel
Abgesehen von der Tatsache, dass der Franz Schlicht ermittelt und es einen Toten gibt, handelt es sich hier nicht ansatzweise um einen Krimi oder eines seiner Untergenres. Offenbar möchten die Kuratoren der Audiothek die Hörerzahl eines artifiziellen Hörspiels erhöhen, indem sie es dem beliebten Genre Krimi zuordnen. Bei den Ermittlungen trifft Schlicht auf die unterschiedlichsten Typen, die in all ihrer Be-oder Absonderheit gespielt werden: einem Ingenieur, der sich selbst eingemauert hat; einem Ministerialrat, der Nazi-Weihnachtsschmuck sammelt und der ehemaligen Putzfrau Teufel. Das alles geschieht in einer dialektgefärbten, Wiener Kunstsprache mit vielen klugen Weisheiten und ebenso vielem Blödsinn. Das weckt eine gewisse Neugier, ist aber nicht spannend.
Ist eine Formulierung wie „Bewusstsein ist Pistazieneis“ nun ein Geniestreich oder Schwachsinn? Wer den schwarzen Humor österreichischer Autoren wie Haderer und Co. kennt, hat dies alles auch irgendwie schon gehört. Die Regie hat wahrgenommen, dass das Zuhören mit der Zeit anstrengend wird und bietet ein wahres Feuerwerk akustischer Reize: viel Stimmkunst, beeindruckende technische Spielereien wie Echo, Hall, versetzte Wiederholungen etc. Dem Hörer wird damit jede Chance genommen, sich ein eigenes akustisches Bild dieser absurden Welt zu machen. Und dieser Blick auf eine absurde Welt und die Menschen, die in ihr zurechtkommen (müssen), löst Nach – und Bedenken aus. Aber selbst für den gutwilligen Hörer ist es anstrengend, dem überladenen Text, den vielen Menschen und Szenen zu folgen. Das Buch selbst umfasst gerade mal 192 Seiten, die Bühnenfassung wird in 90 Minuten ohne Pause runtergespielt. In der Kürze liegt die Würze.
Fazit
Dieser literarisch erfolgreiche Stoff ist sicher nicht leicht umzusetzen. In der Schule würde unter dem Aufsatz wohl stehen: Er/Sie hat sich redlich bemüht. Kein Krimi und selbst unter den Freunden der Literatur wird es nur eine gewisse Minderheit gefallen. Soundfans reicht auch, die erste halbe Stunde zu hören.
Couch-Wertung: 60°
ARD Audiothek und NDR
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 32" von Malte Stamer, 11.2023
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Fotos: istock.com / tolgart
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