Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 30

"Liebe minus Null"

Ein neuer Dreiteiler von Friedrich Ani

Ani ist in einem Alter und auf einer Ruhmeshöhe, dass er nur noch schreibt, wenn es ihm ein Anliegen ist. Daher kommen wir Hörer in den Genuss einer neuen dreiteiligen Krimipackung, produziert wie üblich vom BR im Sommer 2023 und mit dem pensionierten Kommissar Jacob Franck als Übermittler von Todesnachrichten.

Inhalt

Jakob Franck überbringt der Witwe die Nachricht: Ihr Mann Gerhardt Roberts wurde in der Nacht brutal ermordet. Er war seit vielen Jahren Stadtrat in München und eine wichtige Figur in der Politik. Wenngleich nicht unumstritten: Roberts war ein Hardliner. Ging gegen Obdachlose, Schwarzfahrer und alles, was irgendwie die heilige Ordnung störte, radikal vor. Aber Roberts war auch kein Mensch von Traurigkeit. Seine Frau wusste über Affären Bescheid.

Natürlich schlägt ein solcher Fall Wellen. Der Polizeipräsident schaltet sich ein, die Chefin will permanent informiert sein, die Presse drängelt. Eine Herausforderung für das Team um Nasri Fariza. Besaß der Obdachlose, dessen Stuhlbein Roberts tötete, genug Hass für einen brutalen Mord? Die Ermittler wenden sich eher dem Umfeld des Toten zu. Die Auswertung der Handydaten führt zu vielen Verdächtigen ohne Alibi. Der Besitzer der Lucy Bar, Hanno Graf, in dem der Stadtrat regelmäßig „verkehrte“. Seine Fußballkumpel: Den Pfarrer Frank Seitz und Roberts verbindet eine Neigung zu Liebesabenteuer. Der eine mit Frauen, der andere mit jungen Männern. Oder der um seine Existenz kämpfende Catering-Unternehmer Michael Bechtold. Seine Ex-Frau Viola hatte wohl was mit Roberts. Seine neue Partnerin Anne Jeremies scheint sich auch nicht nur um seinen Sohn Luis zu kümmern. Und was bedeutet es, dass Roberts Ehefrau ihn in der Tatnacht offenbar verfolgt hat. Gut, dass der Ex-Kommissar Jacob Franck auch heikle Gespräche führen kann. Er genießt ungestört und ruhig die Abende mit seiner Ex-Frau.

Das Hörspiel

Das Hörspiel ist unendlich spannend und es ist langatmig. Der Hörer lauscht klugen Lebensweisheiten und nervigen Banalitäten. Nicht leicht, eine faire Beurteilung zu formulieren. 

Die Konstruktion des Hörspiels ist nicht ganz einfach, aber genial: Es reiht sich Szene an Szene, immer wieder unterbrochen durch Monologe von Nasri, die sich sehr persönlich zu den Ermittlungen äußert. Diese Monologe fassen den Stand der Ermittlungen zusammen und helfen dem Hörer den etwas schwierigen Überblick zu behalten. Nun lösen aber die Ermittlungen der Polizei Telefonate, Gespräche etc. bei den Befragten aus, die die Ermittler nicht kennen, aber der Hörer. Damit ist der Hörer der Polizei immer einen Schritt voraus. Spannend.

Die eher kurzen Szenen bieten eine akustische Reise durch großstädtische Vielfalt: Nachtclubs, Polizeirevier, Kirche, Fußballplatz, Isarufer, häusliches Umfeld, Schlafplätze für Obdachlose. Dort leben die unterschiedlichsten Charaktere: der verschwiegene Pfarrer und sein Schützling, der insolvenz-gefährdete Catering-Unternehmer mit seiner Ex-Frau und dem gemeinsamen Sohn sowie seine schwierige, neue Partnerin, der Club-Besitzer und seine Damen. Sie alle sehnen sich in irgendeiner Form nach Liebe und bekommen sie nicht. Darunter leiden sie. Daher wohl der Titel: Liebe minus null.

Und damit beginnt auch das Problem des Hörspiels. Der Autor hat im Grunde für alles und für jeden Verständnis. Unter dieser verständlichen Sozialromantik- und auch Sozialkritik leidet die Spannung. Es sind auch zu viele Themenkomplexe, die angesprochen werden. Die Krise der Gastronomie kommt gerade in jedem Ani-Hörspiel vor. Der Text erinnert an literarische Zeiten, die schon längst passe sind. Ist es ein Zufall, dass alte Songs wie Smooth Operator oder Take Five im Hintergrund erklingen? Meist ist die Begleitmusik melodiös, immer stimmig. Und es lohnt, jederzeit die Ohren zu spitzen, um z.B. die Isar während des Telefonats fließen zu hören. Oder andere Kabinettklänge. Alle Rollen sind bestens besetzt. Sie treffen die feinen Nuancen und sind doch immer klar zu unterscheiden. Autor oder Regie gönnen den Sprechern auch die Läßlichkeiten des Alltags wie „Sa ma“ oder eine lange Pause nach „weil“.

Fazit

Ein perfekt inszeniertes Hörspiel, dem eine Kürzung gutgetan hätte. Weniger Sozialkritik und weniger handelnde Personen ergeben mehr Spannung und Unterhaltung.

Couch-Wertung: 90°

ARD Audiothek und BR

"Der nette Herr Heinlein und die Leiche im Keller"

Eine Kriminalgroteske

Im Juni 23 sendet der MDR als fünfteilige Mini-Reihe eine Kriminalgroteske des Autors Stephan Ludwig. Ludwig ist vor allem durch seine in Halle spielende Krimi-Reihe um den Kommissar Zorn bekannt geworden. Zwischen 2014 und 2017 wurden vier Fernsehfilme für die ARD produziert, von denen zwei im Sommer 23 wiederholt werden. Das Hörspiel basiert auf dem im März 2023 bei Fischer/Scherz erschienen gleichnamigen Buch.

Inhalt

Norbert Heinlein betriebt einen Delikatessenladen in dritter Generation. Doch leider wirft dieser Laden nicht mehr viel ab. Als Hilfe hat er nur den stillen Autisten Marvin. Zum Glück hat er noch einige ruhige Mieter in seinem Elternhaus. Allerdings macht ihm sein dementer Vater mehr und mehr Sorgen. Im Übrigen führt Heinlein in netter Umgebung tapfer seinen Deliktessenladen mit ausgewählten Angeboten. Der dunkle Nebel lichtet sich, als der Geschäftsmann Adam Morlok Stammkunde wird und Heinleins hausgemachten Pasteten zu schätzen weiß. Doch Morlok fällt nach dem Verzehr einer Pastete tot um. Da ist es doch eine große Hilfe, dass sich im Keller des Hauses noch ein Kühlraum befindet. Damit beginnt eine Reihe weiterer Un- und Zufälle, die dem armen Heinlein das Leben schwer machen. Schön, dass er noch seiner Adoptivtochter in Afrika Lebensweisheiten vermitteln kann.

Das Hörspiel

Die Reihe bietet dem Hörer das klassische Podcast-Zeitfenster: Eine halbe Stunde, das ist die durchschnittliche Dauer einer Fahrt zur Arbeit. Gelegentlich endet die Episode dann mit einem schönen Cliffhanger. Es gibt eine Erzählerin (Leslie Malton at it´s best), die die Ereignisse eher als teilnehmende Beobachterin schildert. Dazu viele kluge, absurde, witzige, spitzfindige Dialoge. Und es gibt die Monologe des Vaters Heinlein. Er liest seine Briefe an die Adoptivtochter im fernen Afrika laut vor.

Die Sprechrollen sind hochkarätig besetzt und der Vielsprecher Matthias Bundschuh passt diesmal bestens zur Figur des netten, unentschlossenen Heinlein.

Die Episoden-Reihe ist eine absurd-komische Kriminalgroteske. Immer einfallsreich, nie langweilig. Wenn erzählt wird, wie der Genießer Morlok stirbt, wirkt die detailreiche Schilderung schon gruselig. Schwarzer Humor, ganz beiläufig erzählt, wie es eher österreichische Autoren (neben Kai Magnus Sting) vormachen.

Es gibt aber nicht nur diese grotesken Szenen voller Nonsens, sondern auch etliche Nebenthemen wie Bürokratie, nervige Nachbarn und vieles mehr, in denen der Hörer einen beachtlichen Teil seiner eigenen Lebenswelt wiederfindet. Herr Heinlein öffnet uns ein kleines Türlein in unsere eigenen absurden Fantasien jenseits von Grauen und Dystopien.

Die Episoden werden intensiv von Musik, überwiegend an die 1920/30-er Jahre anklingend, begleitet, mal lauter, mal leiser, nie übertrieben. Swingende Musik zu den übelsten Gedanken.  In den Sprechpausen wird dem Hörer eine kleine Tanzcombo gegönnt.

Der Bearbeiterin Anja Herrenbrück ist es gelungen, das dialogarme, gelegentlich langatmige Buch in ein flottes, kurzweiliges Hörspiel zu verwandeln. Ach ja: Immerhin taucht noch Schröder aus der Zorn-Krimireihe auf. Ein bisschen Marketing muss sein.

Kriminalgrotesken sind eher bei österreichischen Autoren mit ihrem schwarzen Humor zu finden. Nun steht Kai Magnus Sting nicht mehr alleine auf weiter Hörspielflur.

Fazit

Die Episodenreihe macht vor, dass eine gut gemachte Kriminalgroteske ein Hörgenuss sein kann: Sprachlich erstklassig, unterhaltsam, lehrreich und gruselig. Auch für Freunde düsterer Hörspiele, die noch lachen können.

Couch-Wertung: 80°

MDR und ARD Audiothek

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 30" von Malte Stamer, 08.2023
Hier findest Du noch mehr Tipps zu Krimi-Hörspiele: Mediatheken

Fotos: istock.com / tolgart

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