Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 28

"Gift"

Der neue Radio Tatort des RBB-Teams

Gift (Juni 2023, Folge 178) ist der fünfte Radio-Tatort des RBB mit dem nicht ganz einfachen Team um den psychisch labilen Christian Wonder und der, dem Alkohol nicht abgeneigten, Kommissarin Ariane Kruse. Wie gewohnt ist Tom Peukert der bewährte Autor.

Inhalt

Leonard Löber wird erschossen auf einem Hochsitz im Berliner Grunewald aufgefunden. Alles deutet auf einen Mord hin. Löber ist passionierter Jäger, verheiratet mit erwachsenem Kind und in der Müll-Entsorgung erfolgreicher Unternehmer. Die Tatwaffe muss ein Jagdgewehr gewesen sein. Ein Jagdgenosse als Täter?  Der Vorgänger der Pacht ist ausgesprochen schlecht auf Löber zu sprechen und hat reichlich Dreck am Stecken. Sein Alibi ist mehr als zweifelhaft. Aber Löber hatte eine eigenartige toxische Schlammmischung im Mund. War er in zweifelhafte Müllgeschäfte verwickelt? Aber mit Giftmüll hatte Löber eigentlich nie etwas zu tun, wie ein eingeschalteter Privatdetektiv ermittelt.  Und dann gibt es noch den Sohn Löbers aus erster Ehe, der sich mit seinem Vater zerstritten hat. Videoaufnahmen belegen, dass er zur Tatzeit in der Nähe des Hochsitzes seines Vaters war.

Reichlich Spuren und Motive, wenig handfeste Beweise. Auf der Suche nach weiteren Beweisen begibt sich Wonder ins tiefste Brandenburg und riskiert sein Leben, um einen Mörder zu entdecken.

Das Hörspiel

Peukert ist ein solider Krimiautor. Eine überzeugende, überschaubare Anzahl von Motiven und Verdächtigen und dennoch gelingt ein überraschendes Ende. Alles nachvollziehbar und nicht abwegig. Die Suche nach der Lebensgeschichte Wonders kommt ebenso vor wie der Alkohol bei Kruse. Aber nur als kleine Randnotizen.

Eine weitere Stärke Peukerts ist die Charakterisierung von Figuren. Mit wenigen Sätzen gelingt es ihm, den Figuren Leben einzuhauchen.  Die Verdächtigen haben ihre eigene schwierige Lebensgeschichte, aber sind sie Mörder? Peukert deutet an, dass ja jeder Mensch seine Geheimnisse hat. Aber auch die Nebenfiguren werden plastisch: Der Privatdetektiv, der ein wenig an Garthmann vom NDR erinnert, der Nachrichtendienstler oder die Dame im Büro.

Der Titel erhebt einen hohen Anspruch und weckt beim Hörer entsprechende Erwartungen. Aber man darf ruhig verraten, dass es keinen Giftmord gab. Denn giftig wird es auch unter Wettbewerbern, Jägern, Familien sogar der Polizei. Der Hörer wird an wechselnden Spielorten, begleitet von hörenswerten Dialogen und passendem Sound zu einem spannenden, unerwarteten Ende geführt. Die Regie hat dafür gesorgt, dass die Menschen so sprechen wie sie sind. Ein wenig Brandenburg, ein wenig Berliner Schnauze und und. Alles fein beobachtet, geschrieben und in Töne gesetzt. Welch Widerspruch, dass der private Wonder der Wiege seines Lebens näherkommt und zugleich dem Tode nahe ist. Allerdings ist die Szene sehr abwegig und wenig glaubwürdig geraten.

Fazit

Es lohnt sich immer noch, keine Radio-Tatort-Folge zu versäumen. Wenn die Befindlichkeiten dieses Teams nur mitspielen, statt sich in den Vordergrund zu drängen, dürfen wir uns auf weitere Folgen dieses Teams freuen.

Couch-Wertung: 80°

ARD Audiothek

"Der Grosse Gatsby"

Hörspielinterpretation eines Romans der Weltliteratur

Der Grosse Gatsby vom Amerikaner F. Scott Fitzgerald gilt als Klassiker der Weltliteratur. In den 1920-er Jahren geschrieben, wurde er erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgreich. Der Autor galt als Chronist des „Jazz Age“, der Periode in der nach dem 1.Weltkrieg der amerikanische Traum von Glück und Glanz entstand. Bis heute erscheint das Buch in immer neuen Übersetzungen und wurde mit vielen Stars mehrfach kommerziell erfolgreich verfilmt. Ein deutschsprachiges Hörspiel fehlte bislang. NDR Kultur hat sich im Frühjahr 2023 daran gewagt.

Inhalt

Der junge, ziellose Nick Carraway versucht sich als Wertpapierhändler. Er zieht daher 1922 nach West Egg, Bundessstaat New York. Dort entwickeln sich Anfang der 1920-er Jahre Wirtschaft und Gesellschaft in einem rasanten Tempo. Das New York dieser Jahre verspricht exorbitanten Reichtum, Partys mit wildem Leben, übelster Kriminalität und Jazz ohne Ende. Sein persönlicher Bezug zu New York ist Daisy, eine entfernte Cousine, die in der Nähe lebt und den grobschlächtigen, aber stinkreichen Tom Buchanan geheiratet hat. Kurz nach dem ersten Treffen mit den Beiden stellt Tom ihm seine Geliebte Myrtle Wilson vor, die attraktive Frau eines erfolglosen, naiven Autohändlers.

Neben Nick wohnt in einem palastartigen Anwesen der sagenumwobene Jack Gatsby. Niemand weiß, womit er seinen teuren Lebensstil mit endlosen, lockeren Partys finanziert.  Eines Abends wird Nick überraschend persönlich von Gatsby zur Party eingeladen. Kurz darauf offenbart ihm Gatsby eine Bitte: Er möge ein Treffen mit Daisy arrangieren. Bevor sie sich für Tom entschieden hat, war sie die Geliebte von Gatsby, der immer noch dieser Liebe nachtrauert. Nach einer wilden Party entscheidet sich Daisy für Gatsby. Die beiden fahren im Auto nach Hause und töten bei einem Unfall Myrtle Wilson.

Die Ereignisse überschlagen sich: Wie wird Tom Buchanan auf den Verlust der Frau und der Geliebten reagieren? Gibt sich der Autohändler mit der Version eines Unfalls zufrieden oder sucht er Rache?

Das Hörspiel

Wie im Buch wird die Geschichte aus der Perspektive des Ich-Erzählers Nick Carraway entwickelt. Er ist zugleich der ruhende Pol in dieser von Typen und Aufregung geprägten Story. Dem Hörer bietet sich ein Panoptikum der 1920-er Jahre, der Roaring-Twenties, das zunehmend bröckelt und sich entzaubert. Autor und Regie nehmen sich die Zeit, dieses Bild zu malen und zu zerstören. Die gut 230 Minuten werden nie langweilig. Musik und Geräusche sind stimmig, untermalend, ohne sich aufzudrängen. Alte Telefone, Eisenbahnen, Fahrstühle und natürlich Charleston.  Aber auch moderne Klänge. Musikalisch drückt sich eine Zwiespältigkeit aus. Die Besetzung ist sicherlich das Beste, was der Markt in Deutschland derzeit zu bieten hat.

Buch und Hörspiel sind viel mehr als ein Abbild der Roaring-Twenties. Im Grunde handelt es sich um eine Geschichte über den amerikanischen Traum des Strebens nach Glück, wie er schon 1776 in die amerikanische Verfassung geschrieben wurden (pursuit of happiness). Gatsby strebt nicht nach Reichtum, sondern sehnt sich nach Liebe. So sehr, dass er seine Existenz gefährdet.  Tatsächlich hat die Geschichte ein krimihaftes Ende. Alle vorkommenden Kriminellen, Partylöwen – und Löwinnen, Durchschnittsmenschen sehnen sich nach einem eigenständigen, geborgenen Leben. Diese Ambivalenz drückt sich schon in der Sprache des Autors aus. Sie ist flapsig, aber auch manchmal tiefgründig.

Die große Schwäche der Inszenierung ist die hoffnungslose Überzeichnung der Figuren. Nick sagt zu Beginn des Hörspiels zum Rat seines Vaters: „Seither neige ich dazu, mich mit meinem Urteil zurückzuhalten. Sich im Urteil zurückzuhalten, heißt unbegrenzt zu hoffen“ (O-Ton Hörspiel). Stattdessen wird unendlich gegickert, gebrüllt und gefeiert. Zwischentöne haben keinen Platz. Es tut weh, eine begnadete Sprecherin wie Birgit Minichmayr als Myrtle so platt und plump pöbeln zu hören. Auch Marc Hosemann als Tom Buchanan ist kein Meister der Zwischentöne. Diese Überinszenierung überdeckt die sprachlichen Feinheiten und die Tiefe der Charaktere und ist für 230 Minuten einfach zu viel des Guten. Der Bearbeiter hat dies offenbar bemerkt und verrät den Plot, abweichend vom Buch, schon in den ersten Minuten.

Fazit

Gute solide Unterhaltung, die der anspruchsvollen Vorlage nicht gerecht wird. Für literatur-beflissene eine weitere Interpretation, für Sprecher-Liebhaber eine Enttäuschung.

Couch-Wertung: 70°

ARD Audiothek und NDR

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 28" von Malte Stamer, 07.2023
Hier findest Du noch mehr Tipps zu Krimi-Hörspiele: Mediatheken

Fotos: istock.com / tolgart

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