Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 27

"Vampir Haarmann"

Ein literarischer True-Crime von Jan Decker

Nichts ist seit den späten 1970-er Jahren erfolgreicher als unzählige True-Crime Podcasts. Mehr oder weniger kundige Erzähler kommentieren reale Kriminalfälle. Dabei ist dieses Genre auch auf gehobenem Niveau nicht neu. Schon Schiller schilderte 1786 im „Verbrecher aus verlorener Ehre“ einen realen Fall. Der WDR hat diese Erzählung 1979 in einem Hörspiel umgesetzt. Es gibt zahlreiche hervorragende Hörspiele, die auf realen Fällen beruhen. Dabei steht selten das Kriminalistische im Vordergrund, sondern eher die Frage, warum und wie solche Fälle entstehen konnten. Der Autor Jan Decker hat eine Neugier, sich mit Serientätern zu befassen. Er hat aber auch eine Reihe von brillanten, klassischen Kriminalhörspielen verfasst. Im Mai 2023 befasst sich Decker nun in einer Produktion des SWR/BR mit dem wohl berühmtesten Serienmörder Deutschlands: Haarmann.

Die älteren Leser kennen womöglich den schwarzen Humor des Liedes: Warte, warte nur ein Weilchen.

Inhalt

Fritz Haarmann wird im Frühjahr 1924 in Hannover verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, 27 junge Männer im Laufe der letzten Jahre brutal ermordet zu haben. Leichenteile in nahegelegenen Flüssen haben die Polizei auf die Spur dieses Serientäters gebracht. Das Hörspiel berichtet über den Gerichtsprozess gegen Haarmann. Der Philosoph und Sozialdemokrat Theodor Lessing war eine ganze Weile als Reporter Zeuge des Prozesses. Er hat als akribischer Beobachter Mängel bei der Polizeiarbeit und der Verhandlungsführung beobachtet. Er hat aber auch versucht zu verstehen, wie ein schlicht, aber durchaus sympathischer Mensch ein perfider Serienmörder wird. Wie war sein Elternhaus? Unter welchen sozialen Bedingungen hat Haarmann gelebt?

Lessing gerät bei der Beschäftigung mit diesen Themen aber auch in private Konflikte mit seiner Frau. Aber mehr noch. Er muss feststellen, dass seine Berichterstattung ihn selbst gefährdet. Schon 1933 wird Lessing von Nazi-Schergen im Exil im tschechischen Marienbad ermordet.

Das Hörspiel

Das ist kein Krimi, auch kein True-Crime, wenngleich die Geschichte auf genauer Prozessbeobachtung beruht. Es ist aber ein WHY-Dune-It. Dem Autor geht es in erster Linie darum, zu erzählen, wie ein Mensch zum Serienmörder geworden ist. Und nutzt diese Erzählung zugleich, um über Politik, Psychologie, Rassismus, unfähige Polizei und Richter zu sprechen. Dies alles geschieht unaufdringlich, aber den Hörer bewegend.

Haupterzählerin ist Ada Lessing, die mit Skepsis wahrnimmt, wie ihr Mann, der Philosoph, sich in die Niederungen des Journalismus begibt und eigentlich auch den Herausforderungen nicht gewachsen ist. Aber in einer eher komplizierten Erzähl-und Zeitstruktur gibt es auch eine Sprecherin, die zeitliche Ordnung vermittelt und immer wieder Monologe der handelnden Personen. Haarmann erzählt ganz detailliert, wie er die Toten zerlegt und entsorgt hat. Nur einem so genialen Sprecher wie Jens Wawrczek kann es gelingen, dass dieses Grauen klingt wie eine alltägliche Szene. Und das haben ja die Nachbarn auch alle so empfunden und nichts gemerkt. Kann man sich an Grauen gewöhnen?

Lessing und Decker betreiben keine psychologischen Studien, aber sie erzählen, wie ein seelisch labiler Mensch im riesigen Rotlicht-und Armeleuteviertel Hannovers nach dem ersten Weltkrieg mit Polizeiunterstützung zum Serienmörder wurde. Haarmann war Polizeispitzel! Der Jude Lessing hoffte Unterstützung beim Hannoveraner Idol und späteren Reichspräsidenten Hindenburg zu erhalten. Statt Unterstützung gab es Bedrohung.

Die Zeitspanne des Hörspiels geht dann bis zur Ermordung Lessings 1943.

Viele eher kurze Szenen, sparsame Musik-und Geräuschkulisse, immer fokussiert auf die Menschen. Sprachlich hohe Kunst des Autors. Jedes Wort sitzt. Genial folgende Szene: Neben Haarmann gab es auch den Massenmörder Denke. Der Autor lässt Hitler auf die Frage, wer der größte Massenmörder seien, antworten: Ich Denke Haarmann.

Fazit

Ein hochspannendes, hochpolitisches Kriminalstück, das auf allen Ebenen bestens gelungen ist. Eine gewisse Hörersehnsucht nach einem Thema wie Grauen wird scheinbar bedient. Aber differenziert, einfühlsam und nachdenklich hinterfragt. Das alles auch noch mit politischen und historischen Themen unterhaltsam zu verknüpfen, gelingt nur wenigen Hörspielen.

Couch-Wertung: 95°

ARD Audiothek

"Return to sender"

Teil 2 der SRF Tatort-Miniserie

Es gibt in der ARD Audiothek nicht nur ausgegrabene Konserven. Im Mai 2023 veröffentlicht der Schweizer Rundfunk den zweiten Teil seiner Mini-Serie (Teil1: Mord im Outlog, Dez.2022) um die Ex-Kommissarin Laura Martini und das Schweizer Health Institut (SWI). Auch dieser Near-Future-Krimi spielt im Jahr 2056.

Inhalt

Die Schweiz 2056 kennt keine Morde, dafür sorgt das Swiss Health Institut SHI (gesprochen Schi). Wer sich einloggt, ist im Kosmos des SHI wohlbehütet. Bei unerwarteten Zwischenfällen können die implantierten „Engel“ für Hilfe sorgen. Das SHI schützt und überwacht die Menschen KI-gestützt, also gewissenhaft und gewissenlos. Nur in dem kleinen Bergdorf Freinau leben einige wenige Outlogger, die sich diesem System entziehen. Dort, auf den kühlen Berghöhen, betreibt die Ex-Kommissarin Laura eine Lodge.

Der investigative Journalist Albedo war ermordet aufgefunden worden. Damit bricht das Gebilde zusammen, dass es in der Schweiz keine Morde mehr gibt. Emil, die Stütze von Laura Martini findet in den unerwartet aufgetauchten „Albedo files“ Hinweise auf die Machenschaften des SHI und einen Toten. Der Sonderling Stöffi starb an Genickbruch, so Kevin vom SHI. Stöffi arbeitete im Tal bei den Loggern, betreute und verteilte die Unmengen von Klimamigranten. Stöffis Hobby war die Elvis-Imitation. Das ist kein Grund zum Töten. Laura und Emil geben sich mit der offiziellen Todesversion nicht zufrieden und ermitteln undercover unter den Loggern. Da gibt es das halbseidene Leben des Stöffi, seine eifersüchtige Ehefrau, einen gefährlichen Araber und dann auch noch die Machenschaften des SHI.

Das Hörspiel

Es ist nicht einfach, dem Hörspiel zu folgen, wenn der Hörer Mord im Outlog nicht kennt, auch wenn es eine eigenständige Handlung hat. Das einführende Intro ist sehr knapp geraten. Der Krimi-Plot ist gut und spannend, der Hörer kann den Überlegungen folgen und der Shut-Down ist in dieser Form unerwartet. Die Protagonisten Laura und Emil werden vertrauter, entwickeln sich aber nicht zu Charakteren, denen man in einer Serie folgen möchte.  Laura ist eigentlich immer außer Rage und tönt schon mal: Den bring ich um. Ihr Gegenspieler Luzi Kalberer ist der menschlich sympathische Ex-Chef von Laura, der oberste SHI-Chef.

Das Ermittlungsumfeld ist eine Freude für den lauschenden Hörer: Die Lodge mit ihren vielen Tieren, die Sprachenvielfalt der Migranten, Büros, jede Menge High-Tech aber auch ein Bordell. Das Hörspiel bietet wieder ein Feuerwerk an Sound und Geräuschen. Hall, Echo, jede Menge Tiere. Der Klimawandel hat das Ausbreiten der lästigen Mücken gefördert. Dabei mindert die Geräusch-und Musikkulisse gelegentlich die Verständlichkeit. Leider gibt es viele Ärgernisse, die den Hörgenuss schmälern. Der Hörer bleibt oft im Unklaren. Eine Verdächtige hat drei verschieden Namen. Da verliert man schon mal den Überblick. Der Begriff SHIPs taucht regelmäßig auf, wird aber erst in Minute 34 erklärt. Viele Sprachspiele verlieren sich in platten Banalitäten. BBB für Bennis Bunga Bunga hat Groschenromanniveau. “Nicht verzagen, Emil fragen“ oder „Wir sind prepared“ ebenso oder S(c)HI-tstorm.

Viel zu oft wird zu laut und zu betont gesprochen. Damit wird es für den Hörer schwierig zu erkennen, was ist wichtig, wo er genau hinhören muss.

Das Bild des Jahres 2056 wird durchaus differenziert gemalt. Es gibt Überwachung, aber eben auch Schutz. Neben High-Tech gibt es auch noch Plattenspieler und Walkmen oder Wörter wie Nebenbuhler! Und es gibt Freiräume wie in Freinau. Zentrales Thema dieses Hörspiels ist der extreme Klimawandel und die damit einhergehende gewaltige Migration. Spätestens 2056 kann man diese Menschen nicht an den Absender zurücksenden, wie es Elvis mit seinem Liebesbrief erlebt. Dieses Thema geht aber unter, weil die Regie die überbordende Fantasie und Sprachlust des Autors nicht gebändigt hat, sondern immer noch einen draufsetzt. Auch was Logik angeht, sollte der Hörer nicht kleinlich sein.  Aber für Technik-und Soundfans ein Hörgenuss. Da mag sich eine kleine Fan-Gemeinde beim eher konventionellen Angebot des SRF entwickeln.

Fazit

Ansonsten: Hochgepokert und verloren. Die guten Ansätze und das inhaltliche Anliegen gehen in der Inszenierung unter. Es ist einfach anstrengend, dem Krimi zu folgen. Wie hat schon Robert Blanco gesungen: Ein bisschen Spaß muss sein.

Couch-Wertung: 60°

ARD Audiothek und SRF

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 27" von Malte Stamer, 06.2023
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Fotos: istock.com / tolgart

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