Krimi-Hörspiele:
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"Mia Insomnia"
Eine nostalgisch-moderne Hörspielserie (neudeutsch: Podcast)
Der Bayerische Rundfunk bietet seit Feb. 2023 einen 10-teiligen Podcast für junge und alte Hörer an. Die ARD hat ihre eigene Vorstellung von Verbreitung. Der Podcast steht nur in der ARD Audiothek zur Verfügung, nicht auf Streaming-Diensten. Download ist nicht möglich. Also nichts für Reisende in Auto, Bahn oder Flugzeug.
Ein wenig Hintergrund
Die Hörspielwelt hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Internet und Streaming-Dienste haben die CD längst verdrängt. Die vielfältige Welt der Podcasts hat gezeigt, dass die Menschen immer noch lange lauschen können und „Serien“ mit Wiedererkennungswert lieben.
Das ist den Hörspielopas und -omas vertraut. Sie kennen stundenlange Durbridges oder viele Dickie Dick Dickens Episoden aus den 1960-Jahren. In der Schweiz laufen seit 1975 ironische Kurzkrimis mit dem Titel: Schreckmümpfeli. Die Generation Kassettenkinder hält bis heute den Helden der 1970-er Jahre die Treue.
Ein ungewisser Blick in die Zukunft macht es nachvollziehbar, dass Grauen und Mystery wieder häufiger zu finden sind. Neu sind sie nicht: E.A. Poe und Arthur Conan Doyle haben sich dieser Ängste schon bedient.
Der Anspruch
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk tut sich schwer in dieser veränderten Welt. Mit seinem Podcast „Mia Insomnia“ wagt sich der BR weit nach vorn. Er legt mit dem 10-teiligen Podcast eine Serie vor, die ein übergreifendes Thema und wiederkehrende Figuren enthält. Durch das thematische Motiv sind die ehemaligen Kassettenkinder eine Zielgruppe. Modern sind hingegen die Aufnahmetechnik und Mystery-Elemente. Mit Bastian Pastewka hat der BR auch ein Zugpferd als Sprecher gewonnen, das Hörer anlocken wird.
Der Inhalt
Mia (32 J.) ist eine aktive, quasselnde Podcasterin. Sie ist als Kassettenkind mit den Detektivgeschichten um TKKG oder den ??? Fragezeichen groß geworden. Nun hat sie die Gelegenheit, einen Helden ihrer Jugend in ihrem Podcast zu interviewen: Gerold Bode, die Stimme ihrer Lieblingsserie Geisterjagd. Sie kennt jedes Detail und erkennt jede Stimme. Doch als sie ihn nach der Folge Insomnia (so viel wie: Schlaflosigkeit) fragt, zögert Bode. Die Folge gab es doch nie. Mia stutzt und befragt ihre Erinnerung. Doch, sie sieht die Kassette vor sich. Aber auch die Produzentin der Serie kennt diese Folge nicht. Sie berät sich mit ihrer Freundin Maren, gemeinsam blättern sie in alten Alben. Mia springt hoch: Sie sieht ein Bild von sich als Kind mit der Insomnia-Kassette in der Hand. Zu der Zeit waren sie in einer Ferienwohnung in einem Bergdorf. Jetzt wird sie zur Detektivin und begibt sich auf eine Reise in das einsam gelegene Dorf und in zunehmend mysteriöse Gegebenheiten. Gibt es wie in den Detektivgeschichten am Ende eine überzeugende, einfache Erklärung oder ist sie in eine andere Welt geraten? Gibt es mehr als eine Welt? Eine Gute und eine Böse? Um dies zu erfahren, macht sie sich auf die Reise in eine unbekannte Welt.
Die Wirklichkeit
Mia Insomnia ist ein 10-teiliges Hörspiel in Form eines Podcast. Die einzelnen Episoden bauen aufeinander auf. Es gibt jeweils einen kurzen Einstieg und nach ca. 15 Min eine ruhige Zwischensequenz. Es spielen nur wenige Personen mit. Hauptsprecherin ist Mia. In jeder Episode kommen dann wenige Andere dazu.
Sehr geschickt verbindet der Autor im Grunde drei verschiedene Geschichten: Die Detektivgeschichte der Mia, eine Geschichte über die langanhaltende Liebe zu Detektivgeschichten und eine leicht ironische Geschichte über plaudernde Podcaster. Erzählt werden diese Geschichten in der Ich-Form von Mia, die immer ihr Mikrofon dabeihat und aufnimmt, was sie gerade erwischt. Der Hörer erkennt dabei nicht, ob diese Aufnahmen gestellt oder echt sind.
Und das ist schon eines der zentralen Themen: Was ist echt, wirklich? Welche Welt ist die Richtige? Kann man einer Welt entfliehen? Zweifel durchziehen den Podcast. Ist die Gegenwart schlechter als die Vergangenheit? Ist Kindheit besser als Altsein? Die Antwort ist eindeutig: Es gibt nicht die eine Wahrheit. Wie Mia muss sich jeder auf seine Suche nach dem richtigen Weg machen.
Jede Episode endet mit der Neugier auf die nächsten Geschehnisse. Der Inhalt ist selten spannend, nie gruselig, aber immer mystisch. Gelegentlich etwas langatmig.
Beeindruckend wie der Autor die Sprachwelten der unterschiedlichen Menschen trifft. Viele klug formulierte Sätze, aber auch Geniestreiche. Wo hört man heute noch einen Satz wie: Ach du lieber Herr Gesangsverein. Man muss nicht alles im Podcast mögen, aber es entstehen unheimlich viele Bilder im Kopf, die mit passender Musik unterlegt werden.
Julia Gruber trifft den Ton einer jugendlich-naiven Podcasterin mit überschwänglichen Betonungen auf jeder dritten Silbe sehr gut. Da sie sehr viel zu hören ist, ist es zu viel des Guten. Sie kann oder darf offenbar auch nicht anders sprechen. In manchen Szenen wäre ein ängstlicher oder energischer Ton passender. Alle anderen Sprecher machen einen hervorragenden Job, allen voran der unverwüstliche Bastian Pastewka.
Hörtechnisch gesehen ist der Podcast ein Kabinettstückchen. Alte Kassetten, neue wackelige Podcastaufnahmen, Knacken, Knistern, tosender Wind, selbst wabernden Nebel glaubt man zu hören.
Fazit
Ein eindrücklicher Podcast, der Spaß bringt zu hören, Bilder im Kopf erzeugt und wirklich für alte und junge Hörspielfans ein Hörgenuss ist. Die Bearbeitung hätte der Fabulier-und Sprachkunst des Autors allerdings ein paar Kürzungen zumuten können.
Couch-Wertung: 80°
ARD Audiothek
"Russische Botschaften"
Spionage Thriller eines Investigativ-Journalisten
Russische Botschaften ist ein zwei-oder vierteiliges Hörspiel nach dem gleichnamigen Buch des Autors Yashin Musharbash, der als Investigativ-Journalist arbeitet und Recherchen für John le Carré durchgeführt hat. Russische Botschaften ist das dritte Buch des Autors und bereits im August 2021 veröffentlicht worden. Das Hörspiel hat Deutschlandfunk Kultur produziert. Regie hat der bewährte Wolfgang Seesko.
Der Inhalt
Merle Schwalb sitzt mit dem Chef des Investigativ-Team im Außenbereich eines Berliner Lokals. Wird er ihr die heißersehnte Stelle im Team des Globus anbieten? Plötzlich fällt einen Meter von ihnen entfernt jemand vom Balkon auf die Straße. Tot, jedenfalls denkt Merle es. Doch die Polizei ruft den Notarzt und bringt ihn ins Krankenhaus. Die journalistische Neugier lässt Merle im Krankenhaus anrufen. Nein, der Mann sei schon tot eingeliefert worden. Merle wird neugierig und beginnt auf eigene Faust zu erkunden. Der Tote war Russe und in der russischen Botschaft beschäftigt, allerdings gleichzeitig ein V-Mann des deutschen Verfassungsschutzes und damit ein wichtiger Informant. Als Merle eine Nacht mit einem Kollegen des Konkurrenzblattes NZ verbringt, erfährt sie, mehr zufällig, dass ihm ein russischer Informant eine Liste mit 25 Persönlichkeiten übergeben hat, die seit Jahren vom russischen Geheimdienst finanziert werden. Leider sei der Gute gerade tot vom Balkon gestürzt! Die Beiden wittern eine große Story und boxen durch, dass die Konkurrenten NZ und Globus ein gemeinsames Investigativ-Team bilden. Das Team kämpft sich durch Lügen, Verleumdungen Fake-News und droht selbst Opfer zu werden. Gegenseite sind vor allem die mächtigen, skrupellosen Geheimdienste Russlands.
Das Hörspiel
Das Hörspiel wird aus der Sicht der jungen Merle erzählt, die damit dem hochpolitischen Thema auch immer wieder eine persönliche Note gibt. Die Episoden hängen eng zusammen. Hörplätze sind Berlin mit dem politischen Zentrum, eine Wohnung in der Uckermark, in der sich das Team verschanzt hat und Osteuropa, wo die Gegner aber auch einige Helfer zu Hause sind.
Sehr geschickt verknüpft das Hörspiel dabei die verschiedenen „Betroffenheitsebenen“. Merle ist Mitarbeiterin des Globus und dem Druck ihrer Chefin ausgesetzt. Sie fängt etwas mit dem Kollegen von der Konkurrenz an. Sie verzweifelt, als ihre junge Kollegin mit Sexvideos attackiert wird. Merle ist eben Mensch. Aber ein politischer Mensch. Als überzeugte Journalisten zählt für sie nur die Wahrheit und sie kämpft gegen falsche Botschaften. Das Hörspiel ist also auch eine Erzählung über investigativen Journalismus und hilft dem Hörer, wenigstens ansatzweise, falsche Botschaften zu erkennen. Und das Hörspiel ist hochpolitisch, weil der russische Staat unentwegt falsche Botschaften verbreitet, um Verunsicherung auszulösen.
Die brisante Story spielt sich in nur wenigen Tagen ab. Die Erzählweise folgt dem chronologischen Verlauf. Die Meetings in der Uckermark geben jeweils eine Zusammenfassung der bisherigen Rechercheergebnisse.
Der Hörer folgt der Erzählung Merles eher mit zunehmender Neugier als mit Spannung. Eine Verfolgungsjagd wird abgebrochen. Aber der Hörer hält gelegentlich den Atem an, weil die Wahrheit so unglaublich ist.
Leider halten Vorlage und Regie diesen hohen Anspruch im Hörspiel nicht ein. Außer Merle bleiben alle Figuren blass.
Der Stoff lebt sehr stark von Zufällen in der Handlung. Fragt eine gelernte Investivjournalistin wirklich ihre Helfer: „Darf ich euch vertrauen?“ oder klickt in der Phase höchster Geheimhaltung einen Link an, der die ganze Arbeit gefährdet? Und es gibt viel zu viele Klischees, die eher an Hera Lind als an Le Carré erinnern. Die adlige Chefin heißt beständig „Das dritte Geschlecht“, weil für sie nur der Adel zählt. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum Investigativ-Profis gefühlten 20-mal erklärt werden muss, dass GRU der russische Militärgeheimdienst ist.
Der Text ist mit seinen Anglizismen anbiedernd auf Groschenromanniveau. Da fährt Merle in einem „pornofarbenen Tschechenexpress“ nach Prag oder es beginnt das „Rattenrennen“ als die investigative Arbeit startet.
Die Regie verstärkt die Schwächen der Vorlage, anstatt sie auszugleichen. Natürlich muss die toughe Merle eine herbe Stimme haben. Russen haben eine tiefe Stimme und einen starken Akzent. Die Dialoge klingen nicht ansatzweise so, wie Menschen miteinander reden. Das geht bis zu falschen Betonungen. Da wundert es nicht, dass die Musik düster wabert, wenn schlechte Nachrichten kommen. Kein Raum für Imagination des Hörers.
Fazit
Das Hörspiel greift ein hochaktuelles Thema mit vielen Facetten auf. Eigentlich jedem zu empfehlen. Es zeigt die schwierige, wichtige Arbeit von Investigativ-Journalisten. Es ist nicht langweilig zuzuhören, aber der geübte Hörer wird von der Umsetzung enttäuscht sein.
Couch-Wertung: 65°
ARD Audiothek
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 25" von Malte Stamer, 05.2023
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Fotos: istock.com / tolgart
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