Krimi-Hörspiele:
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"Der süße Wahn"
Ein Blick in die Untiefen der Liebe
Obwohl gut 30 Jahre verstorben, ist die Amerikanerin Patricia Highsmith immer noch für neue Hörspiele gut. „Der süße Wahn“, produziert vom NDR und SRF in zwei Teilen, basiert auf dem gleichnamigen Roman von 1960 (!! dt. 1964) und ist eine echte Neuproduktion. Das Buch ist, immer in der Übersetzung von Christa E. Seibicke, mehrfach neu veröffentlicht worden.
Inhalt
Der junge Chemiker David Kelsey führt ein einsames, stetes Leben als Chemiker in einer amerikanischen Kleinstadt. Er lebt in einer schlichten Pension, besucht am Wochenende regelmäßig seine Mutter im Pflegeheim und geht gelegentlich mit seinem Kollegen Wes ein Bierchen trinken. Unruhe kommt auf, als Effie neu in die Pension einzieht. Sie stürzt sich in ihrer jugendlichen Unbekümmertheit kontaktfreudig auf David. Der flieht in sein eigenes Haus, keine Stunde entfernt von seinem Arbeitsplatz. Das Haus hat er auf den Namen Bill Neumann gekauft. David führt heimlich ein Doppelleben. Seine Mutter ist längst verstorben und er führt jedes Wochenende in dem Haus ein Leben mit seiner Geliebten. Aber diese Annabelle ist gar nicht anwesend, weil sie längst mit jemand anderem verheiratet ist und ein Kind hat. Aber David gibt nicht auf, schreibt ihr Briefe, sucht sie schließlich auf. Doch sie weist ihn wie immer freundlich, aber bestimmt ab. Ihr Ehemann sucht die Aussprache und entdeckt David in seinem Haus. Es kommt zu einem gewalttätigen Kampf, bei dem der Ehemann tödlich verletzt wird. David meldet den Unfall ordentlich unter dem Namen Bill Neumann der Polizei. Die Fassade bröckelt und die Wahrheit kommt zunehmend ins Licht. Wes wird skeptisch, die in ihn verliebte Effie durchschaut die Lügen und dann hat Annabelle noch einen neuen Partner. David/Bill muss handeln, um Annabelle endgültig an sich zu binden.
Das Hörspiel
Wie kaum anders zu erwarten hat Patricia Highsmith hier wieder einen feinen, kammerpsychologischen Krimi vorgelegt. Das Zuhören erfordert Konzentration, weil es aus inneren Monologen und vielen Dialogen besteht. Aber es lohnt sich, weil jedes Wort und jeder Satz nachklingen, die brillanten Sprecher treffen immer genau den passenden Tonfall. Eine Effie hat wohl jeder Erwachsene schon mal erlebt. Es braucht schon die zwei Hörstunden, weil keine große Dynamik besteht. Aber am Ende der Episode 1 ist überhaupt nicht abzusehen, wie und ob sich David der Schlinge um seinen Hals entziehen kann.
Highsmith erzählt eine Geschichte von grenzenloser Liebe, die man heute vielleicht als Stalking bezeichnen würde. Dabei geht es nicht nur um David, der für seine Liebe bereit ist, zu töten, sondern auch um Effie, die getötet wird, weil sie grenzenlos liebt. Es ist fast beängstigend zu hören, wie gnadenlos nüchtern Highsmith ihre Protagonisten zeichnet. Annabelle ist empathisch und weist David nicht nur ab, aber was sie zu ihren Männern zieht, bleibt völlig im Dunklen. Es ist also auch eine Geschichte von der Unfähigkeit, Beziehungen aufzubauen und Nähe zuzulassen. Geschicktes Timing und clevere Handlungswendungen garantieren dennoch hohe Spannung. Wie ein Gegensatz dazu klingt die unterlegte Klaviermusik. Meist unterlegt, gelegentlich ruhig. Wenn nötig schnell oder langsam. Der Protagonist David hört an seinen Abenden mit der erträumten Annabelle am liebsten die Goldberg-Variationen. Bach soll sie geschrieben haben, damit der Cembalist Goldberg „dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte“. Also die passende Musik, um nach dem Hörspiel mit wohligen Tönen eine wonnige Welt zu malen.
Fazit
Für Liebhaber psychologischer Krimis ein perfektes Hörspiel, mit gutem Timing, spannenden Wendungen, viel Emotion und brillanten Sprechern.
Couch-Wertung: 90°
ARD Audiothek und beim SRF
"Hunkelers Geheimnis"
Warming-up für ein neues Hunkeler Hörspiel
Der SFR wiederholt aktuell die vierteilige Version eines Hörspiels des Schweizer Autors Hansjörg Schneider um den inzwischen pensionierten Kommissär Hunkeler. Die 9 bisher erschienenen Bücher waren allesamt außerordentlich erfolgreich und sind fast alle für das Hörspiel bearbeitet worden. Ende März 2023 wird der SRF das bisher letzte Buch „Hunkeler in der Wildnis“ von 2021 zu Gehör bringen.
Inhalt
Der pensionierte Hunkeler liegt nach einem Eingriff im Spital. Neben ihm liegt der ehemalige Studienfreund und zwischenzeitlich reich gewordene Bankier Fankhauser. Gemeinsam haben sie die „Revoluzzerjahre“ verbracht. Anders als Hunkeler ist Fankhauser sterbenskrank und möchte mit sich ins Reine kommen, während Hunkeler froh über eine gute Prognose ist und in Ruhe schlafen will. In einer Art Traum sieht Hunkeler mitten in der Nacht eine Schwester, die Fankhauser eine Spritze verpasst. Der ist am nächsten Morgen tot. Herzversagen. Hunkeler zweifelt, hat er halluziniert oder einen Mord gesehen? Aber in der Nase hat er den Zimtduft der Krankenschwester. Zurück in seinem Refugium im Elsass verdrängt er diese Gedanken. Doch als im Nachbarort ein Banker tot aufgefunden wird und seine ehemaligen Kollegen ermitteln, wird Hunkeler aktiv und mischt mit, wie immer auf eigene Faust und auf eigenen Wegen. Er begegnet heruntergekommen Künstlern, seiner wiederaufgetauchten Enkelin, vielen schrägen Typen und Beizen, aber auch Alten, deren Erinnerungen und Privatarchive ihn tief in die Schweizer Vergangenheit führen: Was hat der Fall Fankhauser mit der Schweizer Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg zu tun?
Das Hörspiel
Ein Erzähler führt durch das Hörspiel und begleitet Hunkeler auf seinen Wegen und Abwegen. Das braucht seine Zeit. Aber neugierig lauscht der Hörer den immer wieder überraschenden Szenen und den eigenwilligen Menschen. Die Texte sind immer literarisch und die Sprecher auch in den Nebenrollen bestens besetzt. Viel Sprachspaß, aber das vorsichtige Schwyzer-Dütsch ist gut zu verstehen. Aber diesen entspannenden Szenen folgen immer wieder Spannungsmomente. Unüberhörbar gibt es eine Sympathie für Outcasts und Sozialkritik.
Die saxophon-betonte Musik von Martin Bezzola ist ein integraler Bestandteil des Hörspiels. Sie begleitet, schweift ab und nervt gelegentlich mit zu viel Blue-Notes. Die professionelle Regie von Reto Ott spielt wie gewohnt alle Register. Da kann man sich nur auf die nächste Bearbeitung freuen. Es gibt viele Pfade zum möglichen Plot, aber es kommt dann doch ganz anders.
Hunkeler
Ein Erfolgsgarant ist der Ueli Jäggi als Sprecher von Hunkeler, dem es gelingt, dem alternden Mann eine entsprechende Stimme und Stimmung zu verleihen. Jäggi dürfte vielen Hörer als Franz Musil oder Finkbeiner aus dem SWR-Radiotatort bekannt sein. Hunkelers Sidekick ist die Freundin Hedwig, die ihn immer wieder erdet. Die Ermittlungsseite wird ebenso beständig vom Staatsanwalt Suter sowie dem Kollegen Madörin oder dem schwulen Lüdi vertreten. Also ein hoher Wert von Vertrautheit und Wiedererkennung. Aber Hunkeler ist ein Wanderer zwischen den Welten. Er pendelt zwischen Basel, dem Elsass und Deutschland hin und her. Er kennt die Schönen und Reichen und die ganz schön Reichen. Aber er kennt auch die Penner, die sich Winters ins Gefängnis begeben. Die Geschichten um Hunkeler sind voller schräger, wundersamer Typen.
Hunkeler ist kein Schnelldenker oder Schnellmerker. Wie sein Körperbau ist alles etwas behäbig und langsam. Daher brauchen die Krimis auch mehrere Stunden. Gelegentlich hat der Hörer den Eindruck, der Autor hat den Plot des Krimis vergessen. Aber dann gibt es diese wunderschönen Szenen, in denen Hunkeler im Rhein badet oder in einer urigen Beiz isst und der Hörer googelt mal, wie lange die Anreise dorthin eigentlich dauert. Schneider ist es gelungen mit Hunkeler eine Schweizer Synthese zwischen Wachtmeister Studer von Glauser und Maigret vom großen Simenon zu entwickeln.
Fazit
Hunkeler hat eine Hörergemeinde. Jenseits aller Platteinheiten bietet der Autor dem Hörer ein Panoptikum von hoher sprachlicher Qualität, zeitgemäßen Themen und Typen, Lebensweisheiten und etwas Spannung. Er erwartet dabei Geduld.
Couch-Wertung: 85°
SFR Krimi zum Downloaden und Anhören
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 24" von Malte Stamer, 04.2023
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Fotos: istock.com / tolgart
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