Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 22
"Corpus delicti"
Eine Würdigung von Bastians Pastewkas „Kein Mucks!“
An dieser Stelle soll eines der Fundstücke von Bastian Pastewka besprochen werden: Corpus delicti, ein Kriminalhörspiel des französischen Autors Charles Maître aus dem Jahr 1970, das Pastewka vor allem wegen der beeindruckenden Sprecher ausgewählt hat.
Corpus delicti
Die Handlung ist schnell erzählt. Mutter und Tochter wohnen bei der Tante und deren Ehemann. Die Tante ist eine gemeine, zynische Alte. Als sie erfährt, dass die junge Tochter heiraten will, stellt sie sich quer und droht mit Rausschmiss und Enterbung. Wenige Tage später ist sie verschwunden. Da sie einen Notartermin nicht wahrgenommen hat, meldet sich kurz darauf die Polizei. Die Polizei ist hilflos, ihr fehlt der corpus delicti, jenes Beweisstück für eine Straftat.
Es ist ein kriminalistisches Kammerspiel. Wenige Figuren, die Handlung spielt überwiegend im Haus der Familie, die Geräusche reduzieren sich auf knarrende Türen oder Fußtritte. Ein Klavier begleitet in wenigen Passagen. Es bleibt bis kurz vor Schluss unklar, ob und wie die Tante verschwunden ist. Maître macht also aus einer Studie über eine schwierige Familiensituation ein Kriminalhörspiel. Um den Hörer bei Laune zu halten, braucht es dazu schon begnadete Sprecher. Tatsächlich wird die Generation Ü60 alle Sprecher kennen. Allen voran Rene Deltgen,
aber auch so bekannte Namen wie Rosemarie Fendel, Monika Peitsch, Gerd Verspermann oder Klaus Höhne. Alles erfolgreiche Theater- und Fernsehschauspieler. Anders als bei den heute beliebten Synchronsprechern drängt sich keiner mit seiner Stimme in den Vordergrund und ist extrem vielseitig bei der Nuancierung von Stimmungen. Ein Theaterschauspieler muss mit seiner Stimme auch den Zuschauer in der letzten Reihe erreichen, der nicht viel sieht und auch nicht viel hört.
„Kein Mucks“
Bastian Pastewka ist nicht nur ein bekannter und erfolgreicher Comedian, sondern auch ein leidenschaftlicher Hörspielfreund. Er entstammt der Generation Kassette. Gut vernetzt mit dem ÖRR hat er Radio Bremen dazu bewegt, olle Kamellen aus der Krimiwelt erneut zu Gehör zu bringen. In den ersten drei Staffel sind 69 Krimis vorgestellt worden, die insgesamt 11,9 Mio. mal bei bremenzwei.de, bei Spotify und Apple und der Audiothek bis Aug. 22 wiedergegeben wurden. In der vierten Staffel seit Sept. 22 folgen 40 weitere, nicht nur von Radio Bremen, sondern von allen ARD Anstalten.
Wer sich ein wenig auskennt, weiß, dass dies nicht nur eine enorme Fleißarbeit in den Archiven bedeutet, sondern auch, dass die Abspielrechte jedes Mal aufwändig zu klären sind. Gelegentlich leidet die Musik darunter.
Das bisher älteste gespielte Hörspiel ist „Der Mann im Fahrstuhl“ von Lucille Fletcher ist aus dem Jahr 1949. Pastewka wählt nicht als Archivar oder Historiker aus, sondern als jemand den vor allem die Sprechkunst und manch einprägsame Idee faszinieren. In seinem Podcast kommentiert er regelmäßig seine Auswahl, stellt die Sprecher auch mit Hörproben aus Funk und Fernsehen vor. Er identifiziert stereotypen Szenen und erinnert an die Bedeutung der Musik. Wir hören gedrechselte Dialoge, treffen auf trinkende Sexisten und erleiden viele Wendungen, bis etwas wirklich geschieht. Für den treuen Hörer ergibt sich dann mit der Zeit doch ein wenig eine Geschichte des Kriminalhörspiels und der Hörspieltechnologie. Für den Sammler wäre es nett, wenn es die Hörspiele auch unkommentiert gibt.
Fazit
Ein Muss für jeden Hörspielliebhaber. Lauschen und Genießen und keinen Mucks sagen! Aber Achtung: Kein Mucks ist ansteckend: Auf den Podcast Charts der ARD Audiothek stehen die Krimis regelmäßig ganz weit vorn.
Couch-Wertung: 95°
ARD Audiothek oder direkt bei Radio Bremen
"Mord im Outlog"
Ein schräger Near-Future Radio Tatort des SRF
Der Schweizer Rundfunk ist inzwischen regelmäßig im Radio Tatort vertreten. Nach Abschluss der Meiringer Trilogie um Sherlock, startet nun ein neues, eindeutig der Zukunft zugewandtes Team. Mord im Outlog steht seit Dez 22 zum Anhören und Download zur Verfügung.
Inhalt
Freinau, Schweiz, 1.500 m hoch, im Jahr 2056
Laura Martini, ehemalige Hauptkommissarin, führt eine kleine eigenwillige Lodge, die nur mit Kamelen oder Eseln zu erreichen ist. Die Lodge arbeitet klimaneutral und ist vollständig autark. Klar, dass Gäste ihr elektronisches persönliches Terminal abgeben müssen. Sie haben ja immer noch ihren implantierten „Engel“, der sie vor allen großen und kleinen Problemen des Daseins warnt. Aber es gibt nicht mehr viele Probleme, seit die Polizei abgeschafft wurde, weil es in der Schweiz keine Morde mehr gibt. Stattdessen schützt das Swiss Health Institute die Schweizer.
Freinau und die Pension von Laura werden zur Zufluchtsstätte der Outlaws, Querdenker und Outlogger. Ein kleines Idyll, in dem plötzlich in den Fäkalien des Elefantenstalls ein investigativer Journalist ermordet aufgefunden wird. Sofort sind die Drohnen des SHI zur Stelle und wollen die Leiche beseitigen.
Hat das SHI einen Outlogger beseitigt? Oder will das SHI den Ruf des Dorfes für immer ruinieren? Oder war es ein Anhänger der geplanten Seilbahn, der einen prominenten Gegner beseitigen wollte? Selbst der Elefantenpfleger gerät in Verdacht.
Bei Laura erwacht der Ermittlerinneninstinkt.
Das Hörspiel
Dem Hörspiel ist nicht leicht zu folgen, obwohl es kein Schwyzer-Dütsch ist. Aber es gibt viele kleine Rollen, Zeitsprünge und Rückblenden sowie eine abwechslungsreiche, aber anstrengende, gelegentlich übertönende Tonkulisse.
Ein kurzes Intro führt den Hörer in die Welt dieses Mikrokosmos im Outlog des Jahres 2056 ein. Auf einen Erzähler wird verzichtet. Im Mittelpunkt stehen Laura, die ausgestiegene Kommissarin und ihr Antipode, der Leiter des SHI, ihr ehemaliger Chef bei der Polizei. Sie will aufklären, er vertuschen. Außer Laura sind in diesem closed-area eigentlich alle verdächtig. Lauras Spurensuche ist eine Mischung aus guten alten Befragungen und High-Tech Methoden. Laura nutzt High-Tech, um eine Audio-Aufnahme der Tatnacht hören zu können. Aber ihr ehemaliger Chef attestiert ihr ein Gespür für Gefahr.
Wie überhaupt das Hörspiel die Alte Welt und die Neue Welt beständig mischt. Schön zu hören, dass Zukunft immer aus der Vergangenheit kommt. Als Krimi ist das Hörspiel mäßig spannend, weil es einfach hoffnungslos überladen ist: Gesundheit durch High-Tech, Überwachungsstaat, Pro und Contra Seilbahn, Verliebtheit und Sex, Drohnen und Kamele, halluzinogene Pilze usw. Da verliert offenbar selbst der Autor den Überblick. Auf ein Dorf in 1.500 m Höhe kommt jeder Wanderer locker zu Fuß. Da baut nicht einmal ein Großinvestor eine Seilbahn.
Dem Hörspiel hätte eine Fokussierung auf wenige Themen gutgetan.
Die Inszenierung
Das Hörspiel ist ein akustischer Genuss ersten Ranges. Elefant, Kamele, Insekten alles ist gut und oft zu hören, selbst der Elefantendurchfall. Wie so oft ist in Krimis das Wetter schlecht. Also Gewitter, Donner, Sturm. Auch High-Tech fehlt nicht: große und kleine Drohnen, Speaker, personal terminals, aber auch ein guter alter Trafo. Sound und Musik gehen ineinander über und drängen sich stark in den Vordergrund. Der Hörer darf eher schmalzigen Tönen von Elvis und Tom Waits lauschen. Wenn der Italiener Vito spricht, klingt ein wenig Paolo Conte durch.
Überhaupt die Sprache. Die Hochsprache ist ständig von englischen Modewörtern durchsetzt. Es gibt einen Inder (Pfleger), einen Österreicher, eine Italienerin, Dialektschweizer und hochsprachliche Schweizer. Alles vorzüglich gesprochen, aber wieder zu viel des Guten.
Der Autor neigt offenbar dazu, seine Bildung dem Hörer angedeihen zu lassen. belesene Film-und Musikzitate (Humphrey Bogart, Singing in the rain) mischen sich mit platter, teils ordinärer Sprache. Wie im Kindermund spielt Elefantenkacka eine große Rolle im Hörspiel. Bei einer Darmspiegelung wird heimlich ein Überwachungschip eingeführt! Vielleicht ist es ja als „dem Volk aufs Maul schauen“ gemeint. Die Abkürzung des Schweizer Health Institut (SHI), muss dann auch für einige Wortspielereien herhalten z.B. Ski oder Qi.
Der Tonfall ist über weitere Strecken ironisch, was die Orientierung nicht erleichtert.
Wolfram Höll macht im Nachspann beim SFR darauf aufmerksam, dass man die Feinheiten erst beim zweiten Hören wahrnimmt.
Fazit
Gut gemeint, sicher mit hohem Aufwand und Liebe zum Detail gemacht, dennoch nicht gelungen, weil der Autor sich verzettelt hat. Viele akustische Highlights allein machen keinen spannenden Near-Future-Krimi aus.
Couch-Wertung: 60°
ARD Audiothek und direkt beim SRF
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 22" von Malte Stamer, 02.2023
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Fotos: istock.com / tolgart
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