Krimi-Hörspiele:
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"Der erste Tote"
Spannung pur in Mexiko
Der erste Tote beruht auf dem im Herbst 2021 auf Deutsch veröffentlichten, gleichlautenden Roman des Autors Tim MacGabhann, der in Irland geboren wurde und seit Jahren in Mexiko lebt. Dieser Erstlings-Roman kletterte kurz nach Erscheinen auf die Krimibestenliste des Deutschlandfunks. Der DLF hat auch die Hörspielbearbeitung (Sept. 22) übernommen und sich dabei an die sprachlich beeindruckende Übersetzung von Conny Lösch gehalten.
Inhalt
Der investigative Journalist Andrew und sein Fotograf Carlos sind auf dem Heimweg nach Mexiko City. Sie haben eine Reise nach Poza Rica, Veracruz hinter sich, um einen Bericht über die Machenschaften der Ölindustrie zu schreiben.
Auf einer kurzen Rast für eine Zigarettenpause entdecken sie eine grausam verstümmelte Leiche. Carlos macht ein Foto nach dem anderen, Andrew möchte so schnell wie möglich verschwinden. In den umherliegenden Papieren finden sie den Ausweis des Toten: Julian Gallardo. Doch plötzlich taucht die mexikanische Polizei auf. Sie bedrängen und bedrohen die Beiden, lassen sie aber letztlich laufen. Sie sehen noch, wie die Guardia Civil die Leiche beiseiteschafft.
In Mexico City angekommen, entdecken sie schnell, dass der Tote ein junger, mutiger Umweltaktivist ist. Carlos möchte an dem Thema dranbleiben, doch Andrew hat Angst. Ein paar Tage später wird Carlos brutal ermordet. Nun begibt sich Andrew auf Spurensuche bei Freunden, Verwandten Aktivisten oder Aussteigern und gerät immer mehr in ein Dickicht konkurrierender Polizeieinheiten, übermächtiger Konzerne und rücksichtsloser Narcos. Aber er vergisst nie seine Lebensaufgabe: Als Journalist berichten, was wirklich geschieht. So hart es ist.
Die Szenerie
Der Hörer taucht tief in den dunklen Teil der mexikanischen Wirklichkeit ein. Korrupte, gefährliche Polizeieinheiten, skrupellose Manager und kleine kriminelle Helfer an allen Enden, die selbst nicht wissen, wovon sie existieren sollen. Das Hörspiel hat einen gnadenlosen Blick auf die Wirklichkeit wie sie ist.
Darum macht Carlos von der verstümmelten Leiche Bilder. Es wird nicht gewertet, sondern abgebildet. Und diese Bilder, die beim Hörer entstehen, tun mehr weh, als es jede Spielszene kann. Es entsteht eine kaum aufzulösende Spannung.
Der Hörer erkennt sehr schnell, dass es in diesem Krimi nicht darum geht, den oder die Täter zu identifizieren, sondern um die Frage: Wie kann so etwas passieren? Eine Antwort dürfen wir nicht erwarten.
Aber wie im wirklichen Leben leuchten auch Lichtstrahlen ins Schattenreich. Der schwule Andrew hat eine Freundin, die ihn aufbaut, einen Redakteur, der ihn vor der Verlagsleitung schützt. Und es gibt Polizisten, die ihm helfen, weil sie mit Anderen abrechnen wollen oder sich wirklich geändert haben.
Das Hörspiel
Der Krimi wird aus der Perspektive von Andrew erzählt. Diese Monologe sind eher kurz, manchmal in den Rekorder gesprochen. Es gibt viele knappe Dialoge, die Tempo ins Hörspiel bringen. Sprachlich auf hohem, literarischem Niveau, aber auch drastisch und schockierend. Allen Sprechern gelingt es, eine ungeheure Authentizität zu vermitteln. Kein Sprecher drängt sich vor, alles klingt, als sei es auf dem Tonband mitgeschnitten. Es ist die große Kunst dieses Hörspiels Fiktion und Dokumentation zu vermischen als sei es eins. Der Hörer erlebt extrem spannende Schauplätze unterlegt mit eindrücklichem Sound und Musik. Gelegentlich direkt in die Dialoge hinein.
Wermutstropfen
Das Hörspiel ist nichts für zarte Seelen. Hier wird wörtlich beschrieben, was man sich kaum vorstellen kann. Aber auch sonst ist das Hörspiel keine leichte Kost. Viele Personen mit vielen Namen, die es nicht leicht machen zu verstehen, wen man gerade hört. Ähnlich schwierig ist die Zuordnung von Orten und Institutionen, insbesondere bei der Polizei. Da hätte die Redaktion bedenken können, dass dies beim Lesen kein Problem ist, wohl aber beim Zuhören.
Beim dramatischen Shut-Down hat der Autor es übertrieben. Tatsächlich ist die Veränderung der Wirklichkeit ein zäher Prozess.
Fazit
Tolles Ambiente, spannendes Hörspiel schnörkellos und kurzweilig inszeniert. Der Hörgenuss erfordert hohe Konzentration und sprachliche Leidensfähigkeit. Aber der Hörer wird belohnt.
Couch-Wertung: 90°
ARD Mediathek
"Ramsch"
Ein „Hör“-Spiel in der Unterschicht
Ramsch ist das dritte Kriminalhörspiel des Autors Dirk Laucke in der Radio Tatort-Reihe für den MDR(Aug.22). Der Autor verortet diese Krimis in der fiktiven Kreisstadt Lörben, irgendwo zwischen Mannsfelder Land und Saale Kreis in Sachsen-Anhalt. Im Zentrum der Ermittlungen steht die junge Polizeimeisterin Nancy Ritter, die aus dem Plattenbau-Gebiet Lörben-West stammt. Sie hat mit dem Polizeiapparat noch zu kämpfen und ständig Ärger mit ihrem vorbestraften Bruder Tommy.
Inhalt
Tommy Ritter, der Bruder der Polizeimeisterin Nancy, wird Vater. Er und seine Freundin Steffi freuen sich unbändig, ahnen aber zugleich, dass ihr Leben nun noch schwerer wird. Da trifft es sich gut, dass Tommy seinen alten Kumpel Aaron aus der Platte auf der Entbindungsstation trifft: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Vier Monate später fragt Nancy ihren Bruder bei einem Babybesuch über diesen Aaron aus. Die entstellte Leiche seiner Lebensgefährtin Katrin Fräse wurde auf dem Lörbener Recyclinghof gefunden. An der kurzen Leine ihrer Chefin vom LKA, Gesche Krause, muss sich Nancy gemeinsam mit ihrem übergriffigen Kollegen Marchlewski um diesen Fall kümmern.
Als Erster gerät Aaron in Verdacht. Er scheint zu fliehen, als das Jugendamt versucht, ihm die drei Kinder zu entziehen. Die Angaben über seinen Verbleib zur Tatzeit sind widersprüchlich.
Katrin Fräse war nach einer Entziehungskur clean und eigentlich auf einem guten Weg. Sie besuchte bei der Firma Integra regelmäßig einen Integrationskurs. Aber offenbar gab es auch noch Kontakte zu ihrem ehemaligen Dealer. Zu guter Letzt haben die kinderlosen Inhaber der Firma Integra sich um die Kinder von Katrin während ihres Entzugs gekümmert. Auch jetzt sind zwei der drei Kinder wieder bei Ihnen. Die 14-jährige Judy ist verschwunden. Haben Sie ein Interesse Katrin Fräse loszuwerden?
Die Ermittlungen sind nicht leicht. Das Polizeiteam zieht nicht an einem Strang und die geballte Ablehnung der Plattenbewohner macht die Arbeit nicht leichter.
Das „Hör“-Spiel
Das Beste an diesem Hörspiel ist das Hörvergnügen. Da wird geschimpft, gebrüllt und geweint. Der Hörer schmunzelt über den feinen, lakonischen Humor und witzige Wortspiele, über tolle Dialektszenen. Alles kurz und knapp inszeniert, keine Minute langweilig. Kläffende „Köder“, schreiende Babys und eine quietschende Papierpresse sind Beispiele für die vielseitige Geräuschkulisse.
Manche Szene wird von psychedelischen Tönen begleitet oder beglückender Ukulele-Musik. Diese Musik ist das pure Gegenstück zu der Welt der Plattenbewohner, die aus ihrem Elend kaum herauskommen, weil die Welt voller Vorurteile ist und ihre kleinen Schritte immer wieder zerstört. Der Autor steht klar auf der Seite dieser Benachteiligten, die mehr sind als nur Ramsch.
Die Story wird chronologisch sauber, gelegentlich aus der Perspektive von Tommy erzählt. Es gibt viele hörenswerte Spielorte, die Sound und Geräusche wunderbar be“ton“en (Entbindungsstation, Recycling-Hof oder ein abgefackeltes Auto). Der Hörer braucht ein wenig, um die vielen Sprecher eindeutig zuzuordnen, aber es lohnt sich. Eine der schönsten Szenen ist die Befragung des Recycling-Mitarbeiters zum Leichenfund. Die schwer sächselnde Antwort versteht Nancy Ritter erst beim Nachfragen. Oder der Dealer mit seinem Kanaken-Slang, der sich als gebürtiger Sachse aus der Platte entpuppt.
Trotz unüberhörbarer Sozialkritik bleibt das Hörspiel bis zum Schluss spannend. Ein unerwarteter Shut-Down führt zu einem dramatischen Ende.
Nancy Ritter ist der ruhende Pol der Ermittlungen, ihr Kollege Marchlewski ein wenig glaubwürdiger Abklatsch aus amerikanischen hard-boiled Krimis. Insgesamt haben die Figuren wenig persönlichen Charakter, sondern sind eher Abbild eines Typus. Die Zwischentöne und menschliche Vielfalt fehlen weitgehend und nehmen dem Hörspiel viel von seinem Anliegen. Irgendwann mag man dem Gefluche der Plattenbewohner nicht mehr zuhören, weil schon klar ist, was nun kommt.
Fazit
Ohne Frage ein spannender Hörgenuss, der viele schwache Tatort-Folgen wettmacht. Genial inszeniert und sprachlich attraktiv. Etwas weniger Plattheiten, sondern mehr Tiefe werden den nächsten Folgen guttun.
Couch-Wertung: 80°
In der ARD Mediathek oder direkt beim MDR
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 18" von Malte Stamer, 11.2022
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Fotos: istock.com / tolgart
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