Petra Würth & Jürgen Kehrer

»Hast Du Lust, etwas über SM zu machen?«

08.2005 Das Autoren-Duo Petra Würth und Jürgen Kehrer über ihren ersten gemeinsamen Roman »Blutmond«, die Tücken der Zusammenarbeit und die Bedeutung des »Syndikats«.

Mit Blutmond veröffentlichte der Grafit-Verlag im August 2005 die gemeinschaftliche Arbeit zweier Autoren, deren Serienhelden in diesem Roman durch Zufall am selben Fall arbeiten.

Petra Würth und Jürgen Kehrer schicken ihre etablierten Privatdetektive Pia Petry (zuvor in 2 Romanen aufgetreten) und Georg Wilsberg (bekannt aus 15 Romanen und diversen ZDF-Verfilmungen) in den Club Marquis, ein Pfuhl der Sado-Maso-Szene nahe dem westfälisch-friedlichen Münster. Dabei passen nicht nur die Charaktere der beiden Protagonisten wie Faust aufs Auge, auch in dem Metier, in dem sich die beiden bewegen, knistert es zwischen den Zeilen auffällig. Krimi-Couch-Redakteur Thomas Kürten nahm die Veröffentlichung des Romans zum Anlass, mit dem Autorenduo ein Interview zu führen und fand bestätigt, was der Roman erahnen lässt: Die Chemie zwischen beiden Schrifstellern stimmt einfach.

Krimi-Couch: Frau Würth, Herr Kehrer, Karten auf den Tisch: In welchem SM-Club haben Sie beide spontan entschieden, »Blutmond« zu schreiben?

Jürgen Kehrer: Wie hieß der Club noch mal, Petra? Ich weiß nur noch, dass sie so ein nettes Andreaskreuz im Keller hatten.

Petra Würth: Das dürfen wir nicht verraten. Sonst werden wir verhauen. Oder noch schlimmer: Wir werden nicht mehr verhauen.

Krimi-Couch: Was …wie...ähem, also tatsächlich …Oh ja, also dann...wie ist dann die Idee zur Handlung gereift und die Vorgehensweise, die sich vielleicht mit »Autoren-Ping-Pong« beschreiben ließe, zwischen Ihnen beiden abgestimmt worden?

Petra Würth: Also das war so: Als wir uns zufällig in diesem Club getroffen haben, ich in Dessous, Jürgen in Latex, und wir beide die Frage stellten »Was machst du denn hier?« …

Jürgen Kehrer: Das war kein Latex!

Petra Würth: Kein Latex?

Jürgen Kehrer: Nein kein Latex. Und du hattest auch keine Dessous an.

Petra Würth: Bist du sicher? Aber jetzt mal im Ernst. Eigentlich haben wir uns ja auf einem Schiff kennen gelernt.

Krimi-Couch: Aha, also doch nicht …

Petra Würth: Nein. Ich war in Jeans und Pulli und Jürgen war in Jeans und Pulli. Glaube ich wenigstens. Und dann, wie das Autoren immer gerne tun, haben wir einen Büchertausch vereinbart. So nach der Devise, schickst du mir deins, schicke ich dir meins. Und bei der Lektüre unserer Romane ist uns dann aufgefallen, dass wir stilistisch nicht so weit auseinander liegen und unsere Figuren eigentlich ein prima Team abgeben würden.

Jürgen Kehrer: Die Entwicklung der Handlung war dann tatsächlich ein Email-Ping-Pong. Wir haben gegenseitig unsere Entwürfe überarbeitet, bis wir uns auf einen gemeinsamen Plot verständigt hatten. Die Telekom hat dabei auch ganz gut verdient. Beim Schreiben der Kapitel war es ähnlich, denn oft mussten wir ja abwarten, bis das vorherige Kapitel fertig war, weil das dann folgende unmittelbar anschloss. Besonders schwierig waren übrigens die Kapitel, in der die Hauptfigur des oder der anderen auftauchte. Denn das bedeutete, sich in eine Figur zu versetzen, die bereits in früheren Büchern existierte.

Krimi-Couch: Es gab also keine Sticheleien, keine Stolpersteine für den anderen, keine gegenseitigen Quälereien? Sind Sie nicht mal in Versuchung geraten, überraschend und unabgesprochen einen der Verdächtigen vorzeitig das Zeitliche segnen zu lassen?

Jürgen Kehrer: Natürlich waren wir nicht immer einer Meinung. Auch unterscheidet sich unsere Arbeitsweise, ich bin eher faul und nicht so leicht dazu zu bewegen, etwas umzuschreiben, Petra dagegen ist spontaner und hatte zwischendurch viele Ideen, wie die Handlung noch ganz anders verlaufen könnte. Aber dafür, dass wir zwei Jahre, inklusive Recherche und Planung, an dem Projekt gearbeitet haben, verstehen wir uns immer noch erstaunlich gut.

Krimi-Couch: Als Vertreter der Pulli-und-Jeans-Fraktion kommt man aber doch nicht automatisch auf die Idee, die Wege seiner Protagonisten ausgerechnet im SM-Club kreuzen zu lassen. Welche anderen Szenarien haben Sie diskutiert und warum war dann der Club Marquis doch der beste Schauplatz? Und wie gestaltet sich dann die Recherche, um die SM-Szene im Roman möglichst authentisch rüber kommen zu lassen?

Petra Würth: Als wir anfingen, über den Plot nachzudenken, war ich gerade dabei, über Sadismus zu recherchieren, und bin im Internet auf eine Seite gestoßen, auf der die Etikette, also die Verhaltensregeln zwischen SM-lern erklärt wurde. Mir ist vorher überhaupt nicht klar gewesen, dass es Regeln und Vereinbarungen gibt, an die sich Masochisten und Sadisten bei ihren Spielen halten. Das fand ich sehr spannend. Die Seite habe ich Jürgen gemailt und ihn gefragt, ob er Lust hätte, etwas über SM zu machen. Und er antwortete, dass er sich trauen würde, wenn ich mich trauen würde. Tja, und dann haben wir uns getraut. Was am Anfang gar nicht so einfach war. Wir kannten uns ja kaum.

Krimi-Couch: Sich vertrauen, ohne sich gut zu kennen – das spricht auch für gegenseitige Sympathie. Herr Kehrer, beschreiben Sie doch mal in wenigen Sätzen, was eine Pia Petry so einzigartig macht.

Jürgen Kehrer: Nun, vertraut habe ich mehr der Autorin. Pia Petry, um auf Ihre Frage zu kommen, ist eine der wenigen Privatdetektivinnen in der deutschen Kriminalliteratur. Die Art, wie sie die Welt sieht und interpretiert und wie sie ihre Fälle angeht, schien mir ganz gut zu meinem Wilsberg zu passen. Außerdem brauchte er, glaube ich, mal wieder eine Frau, die ihn aus seiner westfälischen Sturheit reißt. Auch wenn ihre Beziehung gerade deshalb nicht ganz konfliktfrei verläuft.

Krimi-Couch: Und warum kann man einen Wilsberg einfach nur gern haben, Frau Würth?

Petra Würth: Weil er ein verdammt netter, liebenswerter und loyaler Mensch ist, dessen trockenen Humor ich ganz besonders schätze. Pia Petry sieht das allerdings etwas anders. Sie hat überhaupt kein Händchen für Männer und fällt mit Vorliebe auf die falschen, auf die schönen Männer herein. Auf die Jungs mit den gut bezahlten Jobs und den Statussymbolen, die fast jede Frau haben können und von dem Angebot dann auch reichlich Gebrauch machen. Wilsberg passt absolut nicht in ihr Beuteschema. Und anfangs reagiert sie auch eher ablehnend auf ihn. Aber das ändert sich ziemlich schnell.Krimi-Couch.de: Fünfzehn Wilsberg-Romane, dazu zahlreiche ZDF-Verfilmungen. Jürgen Kehrer scheint sich vom Erfolg seines Protagonisten seit Jahren ganz gut seine Brötchen kaufen zu können.

Jürgen Kehrer: Brötchen schon, aber zum Ferrari hat’s noch nicht ganz gereicht.

Petra Würth: Und auch noch nicht zur Segelyacht, und zum Rennpferd und zur Pferdepflegerin. Aber vielleicht kommt das ja noch.

Krimi-Couch: Von Pia Petry gibt es bislang erst zwei Romane – was macht Petra Würth eigentlich hauptberuflich und wie kamen Sie zum schreiben?

Petra Würth: Ich habe 1997 mit dem Schreiben angefangen. Zufällig, während einer Zugfahrt von Hamburg nach München. Mein Mann hatte einen Laptop gekauft, den ich völlig überflüssig fand. Im Zug habe ich mich dann aber doch damit beschäftigt und das Textprogramm gestartet. Anstatt »mein Name ist ...« oder »das ist mein erster Satz auf Peters überflüssigem Laptop«, habe ich »Der Tag fängt gut an. Der Wecker hat nicht geklingelt«, geschrieben und dann einfach weiter gemacht. Als wir in München ankamen, hatte ich sechs Seiten. Und das sind exakt die ersten sechs Seiten in meinem ersten Buch »Unter Strom«.

Krimi-Couch: Und wenn man erst mal sein erstes Buch vollendet und dann auch noch veröffentlicht hat, finden sich deutschsprachige Autoren ganz schnell im Syndikat ein, dessen Sprecher seit einiger Zeit übrigens Jürgen Kehrer heißt. Diese Vereinigung von Krimi-Autoren feiert 2005 bereits ihr 20-jähriges Bestehen. Was macht es für Schriftsteller so interessant, zum Amigo oder zur Amiga zu werden? Oder ist es nur das Gefühl, dazu zu gehören?

Jürgen Kehrer: Vorab eine kleine Korrektur: Krimiautorinnen und -autoren, die unsere Aufnahmekriterien erfüllen, sind schlicht Mitglieder. Amigas und Amigos können z.B. Verleger, Lektorinnen oder Journalisten werden, die das Syndikat unterstützen, aber auf der Vollversammlung kein Stimmrecht haben. Zur eigentlichen Frage: Das Syndikat ist ein Verein ohne Vereinscharakter, wir versuchen, alles Formelle auf das Nötigste zu beschränken. Das macht das Syndikat auch für Individualisten, wie sie Schriftsteller nun mal sind, attraktiv. Wer einmal bei einer Criminale war, wird sich für das nächste Jahr nichts anderes vornehmen. Denn die Criminale ist nicht nur eine Publikumsveranstaltung, die die Breite und Qualität des deutschen Krimispräsentiert, sondern auch ein mehrtägiges, überaus herzliches Familienfest.

Petra Würth: Und auf solchen Festen lernen sich dann auch manchmal zukünftige Co-Autoren kennen.

Krimi-Couch: Criminale und Familienfest sind gute Stichworte. Die Criminale ist doch die Zusammenkunft der deutschen Krimiautoren schlechthin, mehrtägiges Event, Glauser-Preisverleihung. Trotzdem ist die Öffentlichkeitswirkung dieser Veranstaltung eher gering, die Preisträger erscheinen in der überregionalen Presse vielleicht in einer Randnotiz und das war es dann. Ist das in dieser Form gewollt? Oder wollen die deutschen Autoren mit ihrem Sprecher Jürgen Kehrer die Criminale demnächst medienwirksamer inszenieren, um die Werbetrommel für den deutschen Krimi im Allgemeinen zu rühren?

Jürgen Kehrer: Solange die Glauser-Preisverleihung nicht zur Prime Time im Fernsehen übertragen wird, dürfte es immer wieder Menschen geben, die davon nichts mitbekommen. Die Öffentlichkeitswirksamkeit einer Criminale hängt von vielen Faktoren ab, u.a. davon, ob wir prominente Krimi-Quereinsteiger wie Uli Wickert oder Helge Schneider präsentieren können, die für die Medien interessant sind. Aber auch vom Ort selbst. Die Criminale in München wurde von den überregionalen Medien erheblich mehr wahrgenommen als die Criminale im Sauerland, ganz einfach deshalb, weil es in München mehr Journalisten gibt als im Sauerland. Trotzdem wollen wir an unserem Konzept festhalten, jedes Jahr an einen anderen Ort oder in eine andere Region zu gehen.

Krimi-Couch: Also wird die Criminale auch in Zukunft eher Familienfestcharakter behalten. Fest etabliert in den Medien sind aber die Wilsberg-Verfilmungen im ZDF. Dabei sind wichtige Nebenrollen entstanden, die in den Romanen so nicht vorkommen: Es gibt keinen Kommissar Stürzenbecher, sondern Wilsbergs Dauerkontrahent bei der Polizei ist Kommissarin Springer. In seinem Antiquariat arbeitet die Dauerstudentin Alex, die ein wenig an die junge Franka aus den Romanen erinnert. Ganz wichtig aber war stets Manni Höch, zu dem es in den Romanen keine Vorlage gibt. Nun ist Heinrich Schafmeister, der den Manni bislang wunderbar verkörperte, jedoch gerade ausgestiegen. Ist dadurch eventuell gerade Platz geworden, um einen neuen Charakter einzuführen? Etwa eine Privatdetektivin?

Jürgen Kehrer: Die Wilsberg-Crew in den Filmen hat sich aus Romanfiguren entwickelt, die jedoch stark verändert wurden. Mit dem Ausstieg von Heinrich Schafmeister als Manni ist eine Lücke entstanden, die seit den Produktionen dieses Jahres – der erste Film wird im Herbst gesendet – von Oliver Korittke als Steuerprüfer Ekki Talkötter gefüllt wird. Ob es zu einer Verfilmung von »Blutmond« kommt, ist noch nicht entschieden.

Krimi-Couch: Und haben Sie beide denn schon Pläne, ihre beiden Hauptfiguren in Form eines weiteren Romans erneut gegeneinander – pardon – miteinander ermitteln zu lassen?

Petra Würth: Von den Büchern, die ich bisher geschrieben habe, hat »Blutmond« mir am meisten Spaß gemacht. Das Thema SM war eine Herausforderung, die Zusammenarbeit mit Jürgen war auch eine …

Jürgen Kehrer: Wie meinst du das?

Petra Würth: Positiv, nur positiv. Ich denke da an die vielen anregenden Gespräche, die Inspiration, die Harmonie …

Jürgen Kehrer: Wieso klingt das so ironisch?

Petra Würth: Das klingt überhaupt nicht ironisch. Das ist mein voller Ernst. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass auch unsere Hauptfiguren ihren Spaß hatten. Daher, denke ich mal, wird es eine Fortsetzung geben. Und auch wenn es im nächsten Fall nicht mehr darum gehen wird, wer wen verhaut, wer dominant und wer devot ist, werden Pia und Wilsberg garantiert jede Menge Gründe zum Streiten finden.

Jürgen Kehrer: Und die Autoren wahrscheinlich auch.

Krimi-Couch: Liebe Petra Würth, lieber Jürgen Kehrer, die Krimi-Couch dankt Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Thomas Kürten im August 2005.

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren