Jan-Erik Fjell

In Norwegen ist Jan-Erik Fjell einer der erfolgreichsten Thrillerautoren, in Deutschland dagegen kennen den 40-jährigen Autor bislang die wenigsten. Seine Reihe um den in Fredrikstad ermittelnden Kommissar Anton Brekke stürmt in Norwegen nicht nur regelmäßig die Bestsellerlisten, sondern wurde auch mehrfach ausgezeichnet.

Nachdem bei Rowohlt 2011 bereits die ersten beiden Bände als eBook erschienen, veröffentlicht der Goldmann Verlag nun den sechsten Band der Anton-Brekke-Reihe als Paperback. Krimi-Couch-Redakteur Thomas Gisbertz sprach mit Autor Jan-Erik Fjell über dessen Motivation, Schriftsteller zu werden, seine Arbeit und über die Faszination am Bösen.

"Als Neuling ist es unglaublich schwer, einen Fuß in diese massive Tür zu kriegen. In der Presse Erwähnung zu finden. Eine breite Leserschaft zu erreichen. Gehört zu werden. Es ist beinahe unmöglich."

Krimi-Couch:

Norwegen ist in Deutschland bekannt für seine herausragenden Thrillerautoren wie Jo Nesbø, Jørn Lier Horst oder Ingar Johnsrud, die vor ihrer schriftstellerischen Tätigkeit als Journalist oder wie Lier Horst sogar als Hauptkommissar tätig waren. Sie hatten mit Mitte zwanzig bereits mehrere Ausbildungen, u.a. ein Lehramtsstudium, begonnen und wieder abgebrochen. Wie kommt man dann auf die Idee, es als Thrillerautor zu versuchen?

Jan-Erik Fjell:

So wirklich gekommen ist mir die Idee gar nicht! Um ehrlich zu sein: Als ich mit der Arbeit an dem anfing, was schließlich mein erster Kriminalroman werden sollte, hatte ich keinen Plan. Ich wusste bloß, dass ich einen Thriller schreiben wollte. Ich war jung und hatte null Erfahrung, hatte bis dato nichts geschrieben außer SMS. Also setzte ich mich einfach hin und fing an, über einen betagten Herrn, Mitglied einer berüchtigten New Yorker Mafiafamilie, zu schreiben, der aufgrund eines vergangenen Ereignisses nach Norwegen reist. Es hat nicht allzu viele Seiten gebraucht, bis ich dachte: “Vielleicht sollte auch ein Ermittler mitspielen …” – so ward Anton Brekke geboren. Und mit dem Ermittler folgten Ermittlungen … Plötzlich war das Buch beides: Thriller und Krimi! Es gab zwei parallele Handlungsstränge: In einem ging es um den alten Mafioso und seine Vergangenheit, während er in den Rängen der Unterwelt aufsteigt; in dem anderen verfolgte man das Ermittlungsgeschehen unter der Leitung von Brekke.

Sehr lange Rede, kurzer Sinn: Ich beendete das Buch, und bei meinem ersten Treffen mit Arve Juritzen – dem Mann, der mein Verleger werden würde – fragte der mich: “Und was hast du als nächstes vor?” Ich antwortete: “Ich habe da eine vielversprechende Thriller-Idee ...” Arve schüttelte den Kopf und sagte: “Du solltest bei der Figur bleiben, die du geschaffen hast. Mach eine Reihe mit ihm.”

Das war der vermutlich beste Rat, den mir je wer gegeben hat.

Krimi-Couch:

Gleich ihr Debütroman „Der stumme Besucher“ (OT: Tysteren) wurde 2010 mit dem Preis des Norwegischen Buchhandels ausgezeichnet. Wie hat sich ihr Leben seitdem verändert?

Jan-Erik Fjell:

Ich weiß noch, wie ich vor der Veröffentlichung des Buches mit meiner damaligen Lektorin (und das ist sie noch) Anne-Kristin Strøm telefonierte und sagte, ich hätte vollstes Verständnis dafür, wenn der Verlag aus dem Vertrag aussteigen und ich den gewährten Vorschuss zurück überweisen würde, denn sie würden einen Riesenfehler machen und eine Stange Geld verlieren. Niemand würde das Buch lesen wollen, es würde sich nicht verkaufen. (Ich war sehr aufgewühlt, aber ich meinte das alles ernst.) 

Anne-Kristin lachte bloß und meinte, ich solle mich beruhigen.

Einige Wochen später hat man mich dann darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich für den “Bokhandlerprisen” nominiert worden war, sozusagen das Norwegische Buch des Jahres, und als ich hörte, wer die weiteren Nominierten waren (echte Größen!), dachte ich: “Ich werde zwar nicht gewinnen, aber nominiert zu sein ist ja auch ein Erfolg.”

Wiederum einige Wochen später wurde ich nach Oslo geladen und der Kulturminister übergab mir den Preis. Mein Leben veränderte sich über Nacht: Plötzlich war ich ein Bestsellerautor! Als Neuling ist es unglaublich schwer, einen Fuß in diese massive Tür zu kriegen. In der Presse Erwähnung zu finden. Eine breite Leserschaft zu erreichen. Gehört zu werden. Es ist beinahe unmöglich. Der “Bokhandlerprisen” eröffnete mir die Möglickeit, in Vollzeit zu schreiben. Ich habe mittlerweile neun Bücher über Anton Brekke verfasst, und alle sind zu Bestsellern geworden. Das hat mich dazu befähigt, meinen Liebsten viel Gutes zu tun – und dafür werde ich ewig dankbar sein. 

Krimi-Couch:
Beim Goldmann-Verlag erscheint in Deutschland nun mit „Nachtjagd“ (OT: Gjemsel) der sechste Band Ihrer Thrillerreihe. Erzählen Sie uns doch, was das Besondere an Ihrem Ermittler Anton Brekke ist.

Jan-Erik Fjell:

Ich bin mir nicht sicher, ob ich der richtige bin, diese Frage zu beantworten. (Schade, dass meine Lektorin nicht zum Händchenhalten hier ist, ha ha.) Ich würde sagen, sein Humor macht ihn besonders. Ich schreibe keine Comedy, aber Anton hat viel Sinn für Humor. Übrigens denselben wie ich, ha!

Er ist sich nicht zu fein, auch mal unlautere Wege zu gehen und die Grenzen dessen, was erlaubt ist, etwas zu dehnen – solange es der Gerechtigkeit dient. Und ja … tatsächlich hat er auch eine etwas große Klappe.

Krimi-Couch:
In „Nachtjagd“ geht es um den Serienmörder Stig Hellum. Was fasziniert sie als Autor an solchen Figuren?

Jan-Erik Fjell:

Für solche Figuren schreibe ich! Die Gegenspieler machen am meisten Spaß, und Stig Hellum ist definitiv einer meiner Lieblinge. Mich fasziniert an den wirklich fiesen Figuren am meisten, dass sie häufig auch etwas Gutes in sich tragen. Wir waren alle mal unschuldige Babies und wurden von unseren Umständen geprägt, denke ich. Die Genetik spielt natürlich eine Rolle, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand böse geboren ist. Man wird es. Und darauf will ich hinaus, wenn ich Figuren wie Stig Hellum kreiere. In Nachtjagd gibt es eine Szene zwischen den beiden Protagonisten: Magnus Torp und Anton Brekke unterhalten sich über das Schicksal. Brekke glaubt nicht an das Schicksal und sagt zu Torp:

"Du solltest nicht an etwas glauben, was niemand gesehen hat. Gott. Schicksal. Karma", worauf Torp erwidert: "Ans Karma glaubst du also auch nicht? [...] Und woran glaubst du?" Und Brekke sagt: "Ich glaube an die Existenz des Bösen."

Genau das verkörpert Stig Hellum. Deshalb ist es so spannend, sich Charaktere wie ihn auszudenken. In den Abgrund zu tauchen und jemanden zu verstehen versuchen, der das – fast – pure Böse darstellt.

Krimi-Couch:
Ihr Roman spielt auf mehreren Zeitebenen und verbindet unterschiedliche Erzählstränge am Ende miteinander. Dennoch ist der Thriller wunderbar leicht zu lesen und extrem spannend. Wie geht man als Autor an einen derart komplexen Plot heran?

Jan-Erik Fjell:
Puh, Nachtjagd war ein harter Brocken. Der härteste bisher. Ich glaube, der hat mich fast 3 Jahre gekostet. Für jemanden, der sonst ein Buch pro Jahr produziert, ist das sehr viel Zeit. Es ist sicher das komplexeste all meiner Bücher. Wie geht man da heran? Mit Planung. Bei meinem ersten Buch habe ich, wie bereits erwähnt, gar nichts geplant. Es grenzt an ein kleines Wunder, dass es trotzdem so geraten ist. Nachtjagd erzählt 3 verschiedene, parallel verlaufende Stories. All meine Bücher beinhalten solche Parallelgeschichten, die auf verschiedenen Zeitebenen spielen, aber ich habe sie sonst immer chronologisch geschrieben. Nicht so bei Nachtjagd! Ich wusste sehr früh, wie sich die verschiedenen Handlungsstränge abspielen würden, also habe ich sie jeweils getrennt voneinander ausgearbeitet. Das war extrem fordernd, aber die richtige Herangehensweise für diesen Roman.

Krimi-Couch:
In Norwegen ist 2022 bereits der neunte Band Ihrer Reihe erschienen. Verspüren Sie nach über zehn Jahren, in denen Sie Anton Brekke begleiten, nicht auch Lust auf eine neue Figur? Oder planen Sie weitere Folgen der Reihe?

Jan-Erik Fjell:
Das zehnte Brekke-Buch stelle ich demnächst fertig. Wenn alles nach Plan verläuft, wird es in Norwegen im August veröffentlicht. Ich werde sicher noch mehr über ihn schreiben, aber nach diesem Teil nehme ich mir eine kleine Auszeit. Nicht vom Schreiben, aber von Anton. Der Grund dafür ist ein neues Projekt. Ein großes. Mehr kann ich darüber leider noch nicht verraten!

Krimi-Couch:
Letzte Frage: Welchen Thrillerautor lesen Sie persönlich gerne? Oder verzichtet man, wenn man sich täglich mit Verbrechen und Mördern beschäftigt, auf Spannungsliteratur?

Jan-Erik Fjell:
Mein absoluter Favorit ist ganz klar Harlan Coben. Bei seinen Büchern konnte ich eine ganze Menge mitnehmen. Wenn wir schon bei Thrillern sind, muss ich auch John Grisham erwähnen. Und natürlich meinen norwegischen Landsmann Jørn Lier Horst. Als ehemaliger Ermittler (ein waschechter!) schreibt er sehr realistisch über diesen Prozess. Auch davon habe ich viel gelernt. Tatsächlich lese ich, seitdem ich selbst zu schreiben angefangen habe, Bücher anders als vorher: natürlich immer noch zur Unterhaltung, aber auch, um zu lernen. Denn es liegt definitiv mehr als ein Körnchen Wahrheit in dem, was sowohl Grisham als auch Stephen King einmal festgestellt haben: Willst du ein guter Schriftsteller werden, musst du viel lesen. 

Das Interview führte Thomas Gisbertz im April 2023.
Übersetzt von Yannic Niehr.
Foto: © Magne Risnes

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