John Marrs

03.2019 Annette Wolter im Gespräch mit John Marrs, dem Autor von "Die gute Seele".

Krimi-Couch:
Das Buch Die gute Seele hat mich wirklich fasziniert. Was hat Sie zu dieser Story inspiriert?

John Marrs:
Danke, das freut mich. Es ist mein erstes Buch, das ins Deutsche übersetzt wird, und das bedeutet mir viel. Ich wurde inspiriert durch eine befreundete Person, die mit jemandem ausgegangen ist, der ehrenamtlich bei einer Seelsorgehotline für Suizidgefährdete gearbeitet hat. Derjenige hat beschrieben, wie hart es ist, wenn sich (was allerdings selten vorkam) Anrufer noch während des Gesprächs das Leben nehmen. Ich dachte, wenn einer dieser Helfer versuchen würde, einen der Anrufer ausfindig zu machen, könnte das eine spannende Story abgeben. Dann kam mir aber in den Sinn, dass es noch viel interessanter wäre, wenn der Helfer zu seiner eigenen, perversen Befriedigung die Leute tatsächlich dazu treiben will, ihr Leben zu beenden.  

Krimi-Couch:
Die Story fängt eher behäbig an, ist dann aber an Morbidität und Düsterness nicht mehr zu übertreffen. Sind sie eher ein morbider Mensch oder haben Sie etwas mit einem der Protagonisten gemeinsam?

John Marrs:
Um Gottes willen, ich hoffe nicht! Ich bin ein umgänglicher Typ. Ich habe keine Feinde und bin weder nachtragend, noch gemein oder rachsüchtig. Solche Leute kenne ich nicht einmal. Ich habe einfach versucht, Figuren zu schreiben, die das genaue Gegenteil von mir und von den Menschen sind, mit denen ich mich umgebe. Außerdem macht es viel mehr Spaß, über jemanden zu schreiben, der einem selbst total unähnlich ist. Da kann man seine Fantasie spielen lassen. 

Krimi-Couch:
Haben Sie ein bestimmtes Schreibritual? Einen Platz, eine bestimmte Atmosphäre, oder hören Sie vielleicht mitten im Satz auf wie seinerzeit Hemingway?

John Marrs:
Meine ersten vier Bücher habe ich im Zug verfasst. Von mir zuhause bis zur Redaktion der Londoner Zeitung, für die ich damals als Journalist gearbeitet habe, bin ich anderthalb Stunden gependelt. Also drei Stunden täglich, die ich durchgeschrieben habe. In diesem unruhigen Umfeld mit all seinen Ablenkungen habe ich gelernt, die Welt um mich herum auszublenden. Seitdem ich in Vollzeit Romane schreibe, arbeite ich entweder in meinem Büro bei mir zuhause oder im Restaurant des Fitnessstudios, wo ich meine morgendlichen Trainingseinheiten absolviere. Aber mit einem Laptop kann ich überall schreiben, und beschränke mich da auch nicht gern.  

Krimi-Couch:
Wie planen Sie die Story? Machen Sie das strukturiert und mit Plan oder schreiben Sie einfach drauf los?

John Marrs:
Die Handlung meines nächsten Buches wird sehr komplex sein, da plane ich jedes Kapitel vor. Aber bei Die gute Seele hatte ich schon eine grobe Idee, wo es mit der Story langgehen soll, also habe ich einfach zu tippen angefangen und gehofft, dass das, was dabei rumkommt, Sinn ergibt. Für die erste Rohfassung eines Romans brauche ich meistens etwa vier Monate. Danach, wenn ich den Text wieder anpacke, um ihn zu kürzen, zu schärfen, zu straffen und nach Möglichkeit in etwas gut Lesbares zu verwandeln, macht es erst richtig Spaß. 

Krimi-Couch:
Ihre Werke wurden jahrelang abgelehnt, und sie haben irgendwann auf Self-Publishing zurückgegriffen. Dann kam der Erfolg. Was raten Sie einem potentiellen Schreiber, der mit Misserfolgen zu kämpfen hat?

John Marrs:
Wenn du glaubst, ein gutes Produkt an der Hand zu haben, gibt nicht direkt auf, nur weil Literaturagenten der Meinung sind, es gäbe keinen Markt für deine Arbeit. Die Möglichkeit, sich selbst zu verlegen, hat für Schriftsteller alles verändert. Mein erstes Buch wurde achtzigmal abgelehnt. Also habe ich es selbst verlegt. Zwei Jahre später hat ein Verlag das Buch dann doch genommen, und seitdem hat es sich über dreihunderttausendmal verkauft. Jetzt habe ich zwei miteinander konkurrierende Verträge mit zwei Verlagen sehr unterschiedlicher Beschaffenheit, alles weil ich mich selbst verlegt und eine so große Leserschaft aufgebaut habe, dass mein Werk auch gedownloadet wird. Wenn deine Story gut ist, dann geh hinaus in die Welt und finde dein Publikum. Vertrau nicht darauf, dass dein Publikum dich findet – es gibt Millionen von Büchern da draußen, also musst du selbst die Leute überzeugen, dass du es wert bist, gelesen zu werden.   

Krimi-Couch:
Ich habe ein wenig recherchiert und bin darauf gestoßen, dass Sie 2004 ein Interview mit Amy Winehouse geführt haben. Es wurde abgelehnt. Amy wurde berühmt, ist aber mit 27 gestorben, und sie sind ein bekannter Autor. Ist das Leben fair?

John Marrs:
Zu mir war das Leben mehr als fair, aber ich weiß mein Glück auch zu schätzen. Viele Leute haben weitaus weniger Glück, ob sie nun etwas dafürkönnen oder nicht, und müssen sich durchschlagen. Wer sich gegen widrige Umstände zu behaupten weiß, hat meinen Respekt. Amy war faszinierend. Sie war intelligent, interessant und sehr selbstbewusst – der perfekte Interview-Partner. Damals war gerade ihr erstes Album herausgekommen, und sie steckte voller Tatendrang. Vier Jahre später habe ich sie wieder getroffen, da hatte sie bereits Probleme und kaum noch etwas gemeinsam mit der Frau, die ich vorher kennengelernt hatte. Oft bekommen Menschen von Geburt an ein schlechtes Blatt ausgeteilt und müssen aus eigener Kraft versuchen, der Situation zu entkommen. Bei Amy war das anders – ihre eigenen Entscheidungen haben zu ihrem Untergang geführt.

Krimi-Couch:
In Deutschland liebt man seit Agatha Christie britische Krimis. Können ihrer Meinung nach auch die Deutschen gute Thriller schreiben? Wenn die Antwort ja ist: wen lesen Sie gerne? Wenn nein, warum nicht?

John Marrs:
Ich fürchte, ich habe noch nicht genug von deutschen Krimiautoren gelesen, um die Fragen beantworten zu können. Der Tag hat einfach zu wenig Stunden, als dass ich alles lesen könnte, was ich gern lesen würde. Aber ich wüsste nicht, warum deutsche Autoren unserer Agatha in irgendetwas nachstehen sollten!

Krimi-Couch:
Haben Sie ein Vorbild?

John Marrs:
Ich lese viele Romane ganz unterschiedlicher Stile. Zu den Schriftstellern, die mich inspirieren, gehören John Boyne, Peter Swanson, Patricia Highsmith, John Niven, Stephen King und Tom Rob Smith. Genauso inspirieren mich aber auch Regisseure, denn ich betrachte meine Bücher während des Schreibprozesses gerne als kleine Filme. Das hilft dabei, mir Figuren und Setting plastisch vorstellen zu können. Ich bin u.a. großer Fan von Quentin Tarantino, Paul Greengrass, Wim Wenders und Martin Scorsese.

Krimi-Couch:
Was kommt als nächstes?

John Marrs:
Ich habe gerade mit meinem achten Buch angefangen, das hoffentlich bis Ende des Jahres fertig wird. Vier meiner bisherigen Bücher – The One, The Passengers, Her Last Move und When You Disappeared – werden gerade übersetzt und sollen in Deutschland im Laufe der nächsten zwei Jahre erscheinen. Ich bin schon sehr gespannt auf die Meinungen der deutschen Leser. Auch wenn ich da wohl Google Translate zur Hilfe nehmen muss …

Krimi-Couch:
Sind Sie ein Hunde- oder ein Katzenmensch oder keines von beiden?

John Marrs:
Definitiv ein Hundemensch. Mein Border Terrier Oscar hatte bisher in jedem meiner Romane einen Gastauftritt, auch wenn ich ihm hin und wieder eine andere Rasse angedichtet habe. Gegen Katzen habe ich allerdings auch nichts. Mein Hund schon.

Das Interview führte Annette Wolterz im März 2019.
Übersetzt aus dem Englischen von Yannic Niehr.
Foto: © Robert Gershinson

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