Aufgeklärt:
Pulp

Let’s talk about Pulp Fiction

Nein, nicht über den gleichnamigen Film von Regisseur Quentin Tarantino. Der sich zwar der Struktur des „Pulps“ und mancher Topoi bedient wie: Harte Kerle, starke Frauen, Verführer*innen und Verführte, Gangster, Liebchen, Kanonen, wilde Stories, Sex, Gewalt und schlechte Laune, doch sich in einem wichtigen Punkt vom literarischen Vorbild unterscheidet: „Pulp“ ist nicht geschwätzig. Allein aus Platzgründen hieß es, effizient zu Werke zu gehen und die Magazingeschichten fokussiert und meist schnörkellos zu verfassen. Außerdem ist Tarantinos Film das Werk des Duos Quentin Tarantino und Roger Avary, und keine Kompilation mehrerer Geschichten unterschiedlicher Verfasser wie es in den Pulp-Magazinen üblich war.

Was ist eigentlich „Pulp“?

Die Begriffsherkunft ist einfach: „Pulp“ wurden günstige Magazine/Hefte benannt, nach der dürftigen, holzigen Papierqualität, auf der sie gedruckt wurden (englisch „wood pulp“). Jahre später wurde in Italien auf ähnliche Weise das Genre des grellen Psycho-Horrorthrillers, in Filmen oft gekennzeichnet durch schwarze Handschuhe und blitzende Messer, „Giallo“ genannt, nach den gelben Einbänden der krawalligen Crime & Sex-Fabrikationen, die an jedem Kiosk zu kaufen waren. Im Gegensatz zum „Giallo“ ist „Pulp“ aber kein eigenes Genre, sondern verweist auf die Publikationsform.

Vorläufer der Pulp-Magazine sind die sogenannten „Dime Novels“ (in England gab es die „Penny Dreadfuls), die bereits seit 1860 publiziert wurden („Beadle's Dime Novel“). Deutschland folgte erst 1905 („Buffalo Bill“) und produzierte massenhaft „Groschenhefte“, die für zunächst zwanzig Pfennig auf wenigen Seiten (ab Mitte des 20. Jahrhunderts 64)  Krimi, Horror, Liebe, Krieg, Western und manchmal alles zusammen unters Volk brachten. 

Man darf die deutsche Kioskvariante, insbesondere später erfolgreiche Reihen wie „Lassiter“, „John Sinclair“, „Jerry Cotton“ oder „Komnmissar X“ keineswegs als bundesrepublikanischen Pulp betrachten. Dafür waren bereits die inhaltlichen und formalen Grenzen der jeweiligen Reihen viel zu eng gesteckt. Wobei sich gerade als Autoren für den „G-Man Jerry Cotton“ zahlreiche bekannte Schriftsteller betätigten (Willi Voss, Uwe Erichsen, Irene Rodrian, Kai Meyer, Wolfgang Hohlbein und viele andere).

It all starts in 1896

Frank Andrew Munsey, der mit dem Magazin „The Argosy“ (1896) als Gründervater des „Pulp“ gilt, hatte keinerlei literarische Ambitionen. Seine Idee war es, die Druckkosten der Dime Novels mittels schundigem Papier zu senken und den Druckvorgang dank der raschen industriellen Entwicklung quantitativ zu optimieren. Billig, schnell und viel, die Devise des geldhungrigen Kaufmanns.

Dass aus diesen Vorgaben durchaus hervorragende Literatur entstehen kann, erscheint nur auf den ersten Blick verwunderlich. Denn es musste ein riesiger Bedarf quer durch die Genres, von Horror über Science Fiction und Fantasy, Abenteuer, Romantik bis hin zum Krimi, gedeckt werden. In den Spitzenzeiten, die bis in die Vierziger dauerten, erschienen bis zu 300 Magazine im Monats-, teilweise sogar Halbmonatsrhythmus.  Zu den bekanntesten gehörten die mittlerweile legendären „Weird Tales“, „Amazing Stories“ und das fürs Krimigenre eminent wichtige “Black Mask“ (ab 1920). Viel zu verdienen gab es nicht, dafür waren kaum inhaltliche und formale Grenzen gesetzt. Unterschiedliche Autoren wie Isaac Asimov, Ray Bradbury, Edgar Rice Burroughs, Joseph Conrad, Dashiel Hammett, Raymond Chandler, H.P. Lovecraft, Erle Stanley Gardner, Jim Thompson oder  Cornell Woolrich  (eine ausführliche Liste von Autor*innen, die für Pulp-Magazine Beiträge verfasst haben, findet sich hier: https://en.wikipedia.org/wiki/Pulp_magazine) unternahmen im Pulp ihre ersten Gehversuche oder blieben sogar, wenn sie bereits populär waren.

Pulp bot nicht nur harte, schnelle und grelle Unterhaltung,  deren Grenzen, was Gewaltdarstellungen und die Weiten der Phantastik angingen, ausgelotet wurden, sondern reagierte – gern auf die eigene plakative, scharfsichtige Weise, aber auch hintergründig -   auf gesellschaftliche Zustände und politische Veränderungen . Beleuchte dabei besonders deren Schattenseiten, stellte die Verlierer*innen des Raubtierkapitalismus in den Mittelpunkt, die bestenfalls damit punkten konnten, dass Sie Haltung im Untergang bewahrten – oder ihre Widersacher mit hineinrissen. Sarkastische und liebevolle Schlaglichter wurden ebenso auf die tagesaktuelle Populärkultur geworfen.

Ein Todesstoß in Taschenbuchform

Mit den Fünfzigern, dem Popularitätsschub für Radio und vor allem Fernsehen sowie die Produktion günstiger Taschenbücher nahm die Zahl und Bedeutung des Pulps ab. Der Einfluss auf die Populärkultur blieb bestehen, wenn auch die Begriffszuweisung im Laufe der Jahre aufgeweicht wurde. Nicht alles, was schnell, hart und preisgünstig verfasst wurde, ist automatisch Pulp. In der Tradition der Pulp-Magazine stehende Autoren beschritten andere oder neue Richtungen, eine große Zahl versank in der Bedeutungslosigkeit. Der Pulp-Begriff wurde adaptiert, verfremdet und verselbständigte sich. Es gab Filme wie „Pulp“ („Malta sehen und sterben“ – der Film mit Michael Caine als Pulp-Autor und Mickey Rooney als Gangster bot immerhin Anlass für Jarvis Cocker seine Band PULP zu nennen) oder eben „Pulp Fiction“. Der Festa-Verlag veröffentlichte in kleiner Auflage die sogenannten „Pulp Legends – »guilty pleasure« für echte Horrorfans“, harte amerikanische Horrorromane der Siebziger bis Neunziger des letzten Jahrhunderts. Hier stellt sich bereits die Frage, ob nicht – wie vielerorts anders – der hierzulande beliebte (und ebenfalls oft fälschlich gebrauchte) Begriff „Trash“ besser gepasst hätte.

Dichter dran am ursprünglichen Pulp ist Frank Nowatzki mit seinem Berliner Pulp Master-Verlag, der tatsächlich zahlreiche Autoren im Programm hat, die wunderbar ins „Black Mask“ gepasst hätten (Jim Nisbet, Buddy Giovinazzo, Rick de Marinis, Charles Willeford, David Zeltserman und zahlreiche weitere).

Pulp auf schnelllebigen Trash (siehe oben) oder die grobkörnige Tütensuppe aus der Gosse zu reduzieren, greift viel zu kurz. Pulp ist eine Art literarischer Untergrund-Guerilla. Tut so, als wäre es für den schnellen Verzehr fabriziert, schafft aber in den besten Momenten große, nachhaltig wirkende und -hallende Literatur. Verfasst von herausragenden Autoren.

"Aufgeklärt: Pulp" von Jochen König
Foto: © istock.com/peepo

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