Die Attentäterin

  • HarperCollins
  • Erschienen: Januar 2017
  • 2
  • New York: Harper, 2016, Titel: 'The black widow', Seiten: 528, Originalsprache
  • Hamburg: HarperCollins, 2017, Seiten: 512, Übersetzt: Wulf Bergner
Die Attentäterin
Die Attentäterin
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Andreas Kurth
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2017

Eine Reise in das Kalifat des Schreckens

Bei einer Tagung im jüdischen Isaac-Weinberg-Zentrum im Pariser Marais-Viertel wird die Enkelin des Namensgebers durch die Explosion einer 500-Kilo-Bombe getötet, und mit ihr zahlreiche Juden, unter ihnen auch israelische Staatsbürger. Die Terroristen des so genannten Islamischen Staates (IS) reklamieren für sich, den mörderischen Anschlag verübt zu haben. Viele Jahre zuvor hat Gabriel Allon ein der Öffentlichkeit unbekanntes Gemälde von Vincent van Gogh aus dem Besitz der Familie Weinberg restauriert.

Das soll er nun erhalten, wenn er den französischen Behörden bei der Suche nach den Attentätern hilft. Eigentlich soll Allon längst an den Schreibtisch des Mossad-Direktors wechseln und zum Memuneh, zum Verantwortlichen werden.

Aber das Bild und seine Freundschaft zu der getöteten Hannah Weinberg bringen ihn dazu, sein Team abermals zu versammeln, um einen spektakulären Coup zu landen. Allon will eine israelische Agentin in das IS-Netzwerk einschleusen. Nur so scheint es möglich, den Chefplaner, von dem nur dessen Deckname Saladin bekannt ist, zu finden und seine weiteren Pläne zu vereiteln.

Für Silva ist klar, wer die Guten und wer die Bösen sind

Die jüngste Folge aus der Gabriel-Allon-Reihe von Daniel Silva - ob es möglicherweise die letzte ist, kann nur der Autor beantworten - ist anders strukturiert als die meisten der Vorgänger-Bände. Es gibt dazu verschiedene Aspekte zu beleuchten, vorab sei schon mal gesagt, dass es ein ebenso interessantes wie spannendes Buch ist. Ein Agenten- und Polit-Thriller, der zudem ein aktuelles Stück Zeitgeschichte verarbeitet - wie immer bei Silva aus der subjektiven Sicht der jüdischen Bevölkerung von Israel und der Juden in anderen Staaten.

Der Autor hat in seinen Bücher noch nie Zweifel daran gelassen, wer für ihn die Guten und wer die Bösen sind. Israel-kritische Töne gibt es hier nur in Spurenelementen, das sieht Daniel Silva offenbar nicht als seine Aufgabe an. Mich stört das nicht, man sollte sich bei der Lektüre aber über die Grundhaltung des Autors im Klaren sein.

Umfangreiche Vorarbeiten für den Gegenangriff auf das Netzwerk

Krieg und Frieden im nahen Osten gibt es seit Jahrzehnten, in immer wieder neuen Facetten, und mit immer neuen Koalitionen, sowie mit immer neuen Interventionen aus dem Westen. Eine Konstante ist seit 1949, dass immer der Fortbestand des Staates Israel direkt oder indirekt von den Entwicklungen betroffen ist. Für eine Thriller-Reihe um einen israelischen Geheimagenten - und seine Kollegen - gibt es also immer neuen Stoff. Das gilt vor allem, wenn dieser Agent zuweilen von befreundeten Geheimdiensten um Hilfestellung gebeten wird.

Silva beginnt sein neues Buch wie so oft mit einem richtigen Knall-Effekt, doch nach dem Attentat in Paris nimmt er sich Zeit, um die Gegenaktionen von Mossad und weiteren Geheimdiensten in aller Ruhe zu schildern. Das mag mancher Leser als zäh und zu ausführlich empfinden. Ich würde es eher realistisch nennen, denn die Vorarbeiten, um eine Agentin in das Netz des IS einzuschleusen, dürften eher noch umfangreicher und komplizierter sein, als hier im Buch geschildert.

Frage nach dem Realitätsgehalt ist eine rein akademische

In diesem Teil des Romans wird Spannung vor allem durch die Frage aufgebaut, ob die ausgewählte Rekrutin die richtige für den Job ist. Es erfordert schon einiges an Nerven und Mut, sich dafür ausbilden zu lassen nach Syrien zu reisen, um dort den IS auszukundschaften. Natalie ist dabei durchaus nicht frei von Selbstzweifeln, führt viele Gespräche mit ihren Ausbildern und auch mit Gabriel Allon. Als sie dann in Paris als Ärztin in eine neue Klinik kommt, der Köder also ausgelegt wird, steigt die Spannung ansatzlos auf das bei Silva üblich Niveau an.

Die Frage, ob es überhaupt möglich sein könnte, das IS-Netzwerk in irgendeiner Form zu unterwandern, werde ich hier nicht weiter erörtern. Teilweise gibt der Thriller von Daniel Silva eine Antwort auf diese schwierige Frage. Und zugleich ist es im Grunde müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sollte es dem Mossad oder westlichen Geheimdiensten wirklich gelingen, Agenten in das Terrornetzwerk einzuschleusen, wird darüber nichts an die Öffentlichkeit dringen - oder erst in einigen Jahrzehnten. Insofern ist die Frage nach dem Realitätsgehalt eine rein akademische.

Als der Köder ausgelegt ist, wird es irre spannend

Der Leser begleitet Natalie in ihrer Rolle als Leila bis in das Herz des IS und zu Saladin. Es passt zum Größenwahn des IS, dass einer seiner führenden Terrorplaner in diesem Thriller als Nickname den Namen von Salah ad-Din Yusuf ibn Ayyub ad-Daw+n+ annimmt. Unter dem Namen "Sultan Saladin" wurde dieser Herrscher von Ägypten und Syrien zu einem Mythos der muslimischen Welt, der bis in die heutige Zeit für einen grandiosen Sieg über die Heere des Christentums bei den Hörnern von Hattin steht - und der aktuelle Saladin soll eben auch die Vernichtung der modernen "Kreuzfahrer" und ihrer Verbündeten in Israel organisieren.

Natalie soll diesen Saladin nun aufspüren - und lebt zugleich in der permanenten Angst, dass sie auffliegt und enttarnt wird. Dieser Teil, vom ersten Auftreten Leilas als Ärztin bis zu ihrem Eintreffen in Rakka, und ihrer anschließenden Rückkehr, ist so irre spannend, dass man für die langen Schilderungen ihrer Ausbildung entschädigt wird. Über den weiteren Verlauf werde ich mich nicht weiter äußern, um nicht zu viel zu verraten - aber es geht unglaublich spannend weiter bis zum dynamischen Finale.

Personen, Dialoge und Handlungen wirken komplett authentisch

Daniel Silva schreibt in seinem Vorwort, er habe den Roman konzipiert und angefangen, bevor die tatsächlichen Anschläge in Paris verübt wurden. Und auch seine Einbeziehung des Brüsseler Stadtteils Molenbeek sei Zufall. Da der Autor sich seit vielen Jahren mit dem Thema islamistischer und sonstiger Terror auseinander setzt, halte ich diese Aussage von Silva für durchaus glaubwürdig. Und selbst wenn er von den Anschlägen in Paris beim weiteren Schreiben beeinflusst wurde, ändert das nichts, denn die Verarbeitung in diesem Thriller ist in meinen Augen bestens gelungen. 

Personen, Dialoge und Handlungen wirken komplett authentisch - und das ist man von Daniel Silva so gewohnt. Auf manchen Büchern steht nur Thriller drauf - hier ist Spannung auch wirklich drin. Ob Gabriel Allon den Lesern auch als Direktor des Geheimdienstes erhalten bleibt, wird sich zeigen. Die Fans von Daniel Silva würde es mit Sicherheit freuen.

Die Attentäterin

Daniel Silva, HarperCollins

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