Wolfsnächte

  • Hoffmann und Campe
  • Erschienen: Januar 2016
  • 3
  • New York: Liverlight Publishing, 2014, Titel: 'Hold the Dark', Originalsprache
  • Hamburg: Hoffmann und Campe, 2016, Seiten: 224, Übersetzt: Nicolai von Schweder-Schreiner
Wolfsnächte
Wolfsnächte
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Jörg Kijanski
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2016

Ein Country-Noir aus Alaska

Das Volk der Yupik bewohnt in einfachen Hütten ein kleines Dorf namens Keelut am Rande Alaskas. Dort hat man schon viele harte Winter erlebt, doch in diesem Jahr ist es besonders schlimm. Zwanzig bis vierzig Grad minus, zur Wintersonnenwende gibt es nur fünfeinhalb Stunden Tageslicht und die Tiere finden kaum Nahrung. Bereits zwei Dorfkinder wurden von Wölfen geholt, ein für diese Tierart völlig untypisches Verhalten. Als mit dem sechsjährigen Bailey ein weiteres Kind verschwindet, wendet sich dessen Mutter Medora Slone an den Naturschriftsteller Russell Core, der auch Bücher über Wölfe geschrieben hat. Core, aufgrund privater Probleme völlig ausgebrannt, nimmt die Herausforderung an und fährt nach Keelut.

 

"Canis lupus."
"Richtig. Ma'am."
"Spitzenprädator. Überlebender der Eiszeit aus dem späten Pleistozän. Was bedeutet das?"
"Das bedeutet, dass es sie schon lange gibt und dass sie bessere Jäger sind als wir."
"Das scheint ... Sie zu freuen."
"Das mit ihrem Sohn tut mir leid, Mrs. Slone."

 

Dort macht er sich am nächsten Tag auf die Suche nach dem Wolfsrudel, um nach seiner Rückkehr eine schreckliche Entdeckung zu machen. Er findet die Leiche des ermordeten Bailey - in einem Erdkeller von Medoras Hütte. Von der Mutter fehlt fortan jede Spur. Als Vernon, ihr Mann, zwei Wochen später aus dem Krieg zurückkehrt und von den Geschehnissen erfährt, entschließt er sich, mit allen Mitteln Medora zu finden. Eine blutige Jagd nimmt ihren Anfang ...

Ein verstörendes, düsteres Abenteuer am Ende der Zivilisation.

Wolfsnächte heißt der zweite Roman von William Giraldi und führt seine Leser in die Wildnis Alaskas. Keelut liegt irgendwo im Nichts, die wenigen Dorfbewohner sind eine ebenso verschworene wie verschwiegene Gemeinschaft, Fremde haben dort keine Aussichten Kontakte zu knüpfen. So gelingt es weder Russell Core noch den ermittelnden Polizisten herauszufinden, wo sich Medora versteckt halten könnte.

 

"Ich weiß, dass deine Tochter von einem Wolf geholt wurde. Ich weiß, dass du sie nicht begraben kannst und dass es nichts Schlimmeres gibt als das."
"Das weißt du also, ja? Für jemanden, der das weiß, warst du wirklich eine große Hilfe. Du fährst wegen einem Kerl wie mir eine Stunde durch diesen gottverdammten Schnee, aber wenn ein paar Kinder tot in den Hügeln liegen, kommt keiner."
"Wir sind gekommen."
"Ihr seid gekommen, und dann seid ihr wieder weggefahren und nicht mehr wiedergekommen. Ihr Jungs aus der Stadt seid ungefähr so nützlich wie ein Stück Scheiße. Wobei man mit Scheiße immer noch düngen kann, stimmt's? Was könnt ihr?"

 

Auch ihr Mann Vernon tippt zunächst im Dunkeln, während dem Leser dieses anfangs gewöhnungsbedürftig konstruierten Thrillers zunehmend klar wird, in welche Richtung sich die Handlung entwickelt. Vermutet man zunächst einen Mordfall, den es aufzuklären gilt, ist schnell geklärt, dass Medora ihren Sohn ermordet hat. Doch warum bat sie dann den Wolfsexperten Core um Hilfe? Und wer findet Medora zuerst: Die Polizei oder ihr Mann Vernon, der im Krieg das Töten perfektioniert hat?

 

"Was in Gottes Namen ist da bei euch im Dorf los?"
"In seinem Namen gar nichts. Eher im Namen des anderen."

 

Bevor die Leiche des Jungen gefunden wird und noch die Aussicht besteht, dass er das dritte Opfer eines hungrigen Wolfsrudels geworden sein könnte, erfahren wir interessante Dinge über das Leben der Wölfe, ihr Jagdverhalten und ihre Beziehung zum Menschen. Umso überraschender verschwindet Core plötzlich aus der Handlung, denn nach der Rückkehr von Vernon Slone ist dieser plötzlich der Protagonist. Und wie schon im Krieg neigt er nicht dazu Gefangene zu machen.

Neben Einblicken in das Leben der Wölfe spielt die Landschaft Alaskas eine tragende Rolle. Eiskalt ist es zum Jahresende und wer nicht aufpasst, droht beim Eisstechen zu erfrieren. Knietief waten die Menschen durch den Schnee, weit abgeschnitten von der Zivilisation. Entsprechend karg und einfach sind ihre Gedanken und ihre Sprache, was sich auch auf die Dialoge dieses Romans durchschlägt. Die Coen-Brüder hätten sicher ihre Freude bei einer Verfilmung. Schräg, düster, archaisch und gewalttätig, dazu eine trotz allem beeindruckende Natur sowie ein ungewöhnliches Ende sorgen für ein überraschendes Leseerlebnis. Wer ausgefallene Thriller sucht, greift zu.

Wolfsnächte

William Giraldi, Hoffmann und Campe

Wolfsnächte

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