SoKo Fußballfieber

  • Hoffmann & Campe
  • Erschienen: Mai 2021
  • 4

- TB, 304 Seiten

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Thomas Gisbertz
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2021

Skurril, wahnsinnig komisch, einfach Klasse!

Vier Fifa-Funktionäre sterben eines gewaltsamen Todes: in Uelzen, in Seoul, in einem argentinischen Nationalpark und in Piräus. Und das ist erst der Auftakt einer Serie grausamer Morde. In Athen tritt die internationale Sonderkommission „Fußballfieber“ zusammen, der sich auch Kommissar Gerold Gerold und Kommissarin Ute Fischer aus Uelzen anschließen. Wie sich zeigt, helfen in diesem Fall nur außergewöhnliche Methoden.

Weltweite Mördersuche

Kommissarin Fischer wird als verdeckte Ermittlerin in die Zürcher Fifa-Zentrale eingeschleust und auf Roderich Bärlapp, den Schatzmeister der FIFA, angesetzt, der die Opfer zuletzt massiv unter Druck setzte. Kommissar Gerold, der seiner Kollegin eigentlich einen Heiratsantrag machen wollte, verfolgt eine weitere Spur, die ihn nach Hannover, Greetsiel, Casablanca und immer weiter um die Welt führt - ganz zum Missfallen seines Chefs Münzenich.

Währenddessen kämpft sich der deutsche Dichter Thomas Gsella, der entführt wurde und sich auf spektakuläre Weise befreien konnte, durch den Mittleren Osten, bis sich in Asien ein mörderischer Showdown anbahnt. Können Gsella, Gerold und die Fischerin die größte Katastrophe der Fußballgeschichte verhindern?

Satiriker als Krimiautor

Gerhard Henschel, geboren 1962, war Redakteur beim Satiremagazin "Titanic" und lebt als freier Schriftsteller in der Nähe von Hamburg. Der Autor wurde unter anderem mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis, dem Nicolas-Born-Preis und dem Georg-K.-Glaser-Preis ausgezeichnet. 2020 erschien mit SOKO Heidefieber eine satirische Abrechnung mit dem Genre des Regionalkrimis, die ebenso grotesk wie wahnsinnig komisch ist. Kurz vor der Fußball-Europameisterschaft erscheint mit SOKO Fußballfieber ein zweiter Band um die Ermittler Gerold / Fischer. Auch mit diesem "Überregionalkrimi", wie der Autor seine Romanreihe nennt, unterhält Gerhard Henschel mit unzähligen skurrilen Ideen, einer scharfzüngigen Sprache und einer unfassbar komischen Geschichte.

Geniale Abrechnung

Niemand schafft es so gekonnt, dem Genre des „Regionalkrimis“ den Spiegel vorzuhalten, wie Gerhard Henschel. Alles, aber wirklich alles, was die Leser an regional verorteten Heimat- bzw. Lokalkriminalromane so sehr mögen, führt der Autor ad absurdum. Dabei arbeitet er vor allem mit dem satirischen Mittel der Übertreibung - was bezogen auf das Selbstverständnis einer Organisation wie der FIFA kaum noch möglich ist. Dennoch bekommt FIFA-Präsident Gianni Infantino ebenso sein Fett weg wie Franz Beckenbauer oder Uli Hoeneß, die allesamt als Protagonisten auftreten. Aber auch verschiedene Presseorgane und -vertreter, Mitglieder der Bundesregierung, der Sultan von Brunei (der unbedingt die WM 2034 in sein Land holen will) und selbstredend der Deutsche Fußballbund werden der Lächerlichkeit preisgegeben. Dabei fragt man sich unweigerlich, ob dies alles noch Satire ist oder mittlerweile nicht bereits traurige Realität.

Gerhard Henschel zündet ein derartiges sprachliches Feuerwerk voller derb-komischem, hintersinnigem und surrealem Humor, dass die britische Komikergruppe Monty Python ihre helle Freude daran gehabt hätte. Henschel ist ebenso ein genauer Beobachter menschlicher Schwächen und Eigenarten wie ein begnadeter Unterhalter. Kaum eine Person des öffentlichen Lebens scheint vor ihm sicher zu sein. Besonders hart trifft es diesmal im wahrsten Sinne des Wortes einen Kollegen Henschels: den Satiriker und Schriftsteller Thomas Gsella. Dieser muss im Laufe des Romans sämtliche Formen menschlichen Schmerzes erleiden, da er mehrfach entführt, misshandelt, gefoltert und verstümmelt wird. In SOKO Heidefieber traft dieses Schicksal übrigens noch den Schriftsteller Frank Schulz.

Aberwitzige Figuren

Neben dem Uelzener Ermittlerteam und dem Schriftsteller Thomas Gsella ist „taz“-Redakteur Michael Ringel eine weitere zentrale Figur des Romans. Der Journalist macht sich auf die Suche nach Gsella, wird aber ständig aufgehalten (z.B. durch eine kostenfreie Blindverkostung von Pralinen in Pakistan) und muss im Mittleren Osten Informanten und Beamte wiederholt bestechen. Da er kein Geld hat, bietet er Autogrammkarten deutscher Schlagersänger, Sportler, Schauspieler und Politiker an; so macht er unter anderen einen iranischen Privatdetektiv mit einem Autogramm des Sängers Bernd Clüver glücklich. Hauptsächlich „beglückt“ Ringel aber die weibliche Welt im Orient. Egal, ob es sich dabei um sämtliche sechsunddreißig weibliche Mitglieder des Islamabader Katja-Epstein-Fanklubs (wobei ihm seine Erfahrung im Simultanschach zugutekommt) handelt oder sein Mitwirken in einem Pornofilm eines afghanischen Undergroundfilmers betrifft: Richter steht seinen Mann.

Voller unnützem Wissen

Der Roman kennt nicht nur unzählige Schauplätze, Handlungsstränge und Figuren, sondern ist voll von Petitessen und Randnotizen aus den Bereichen Fußball, Literatur, Musik oder Geschichte. Alle sind vollkommen unwichtig und tragen kein bisschen zum Fortgang der Handlung oder zur Ermittlung des Täters bei - und doch sind gerade sie es, die den Roman zu etwas Besonderen machen. Als Thomas Gsella zum Beispiel kurz davor steht, als Selbstmordattentäter über der Stadt Medina aus dem Flugzeug geworfen zu werden, hängt dieser seinen Gedanken nach: „2004 hatte man ihm den Joachim-Ringelnatz-Preis verliehen und 2011 den Robert-Gernhardt-Preis, und das mochte ja auch lobenswert sein, aber er wollte noch mehr vom Leben. Zum Beispiel den Ernst-Jandl-Preis, den Georg-Trakl-Preis, den Leonce-und-Lena-Preis und nicht zuletzt den mit 5000 Euro dotierten Hubert-Burda-Preis für junge osteuropäische Lyrik. […] Wie aber sollte er das tun, solange er sich im Gewahrsam der al-Dschaufischen Volksfront befand?“

Fazit

Gerhard Henschels Überregionalkrimi ist alles, nur kein klassischer Kriminalroman. Die Handlung ist grotesk, überzogen, bizarr, sexistisch, aberwitzig, skurril - aber vor allem wahnsinnig komisch. Gerade weil der Autor alles ins Absurde steigert und gegen sämtliche Formen der Political Correctness verstößt, ist der Roman so lesenswert. SOKO Fußballfieberist ein vollkommen verrückter Lesespaß!

SoKo Fußballfieber

Gerhard Henschel, Hoffmann & Campe

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