Ich töte lieber sanft

  • Kunstmann
  • Erschienen: Januar 2013
  • 1
  • New York: Knopf, 1974, Titel: 'Cogan´s trade', Seiten: 216, Originalsprache
  • München: Kunstmann, 2013, Seiten: 192, Übersetzt: Dirk van Gunsteren
Ich töte lieber sanft
Ich töte lieber sanft
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Jochen König
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2013

Talk Show mit gelegentlichen Gewaltausbrüchen

Es dauert 67 Seiten bis der titelgebende Protagonist (des Originals) seinen ersten Auftritt hat. Bis dahin hat ein unheiliges Triumvirat, bestehend aus den beiden Handlangern Frankie und Richie sowie Kopf Amato, Markie Trattmanns illegale Pokerrunde überfallen und ausgeraubt. Darauf bauend, dass Trattmann selbst in Verdacht gerät, der wenige Monate zuvor seine eigene Spielgesellschaft ausplündern ließ. Doch Jackie Cogan, der vom namenlosen "Fahrer", der ihn durch die Gegend kutschiert, auf das Überfallkommando angesetzt wird, ist ein ausgeschlafener Bursche. Ein wahrer Aktivposten in einer Gesellschaft, die sich mitunter lieber zu Tode redet als zu handeln. Entgegen des unsinnigen deutschen Titels, augenscheinlich der "Killing Them Softly"-Verfilmung mit Brad Pitt als Cogan geschuldet, tritt die Gewalt in George V. Higgins Buch kurz, ruppig und brutal auf, keineswegs "sanft". Wie ein Schuss mitten ins Gesicht.

Doch bis es soweit ist, wird geredet. Viel geredet. Ich töte lieber sanft besteht zu gut siebzig Prozent aus Dialogen. Es werden Pläne geschmiedet, über die Pläne anderer palavert, Maßnahmen getroffen, wieder verworfen, gezögert, abgelenkt, nüchtern und betrunken gejammert, über eingebildete und reale Krankheiten gestöhnt und der Gesundheitszustand nicht Anwesender in Frage gestellt. Und immer wieder Frauengeschichten.

Higgins Personal schwätzt, quasselt, beflissen scheinbar Bedeutungsvolles mitzuteilen, das meist nur von Banalität und Angst zeugt und die Leere übertüncht, die im Leben fast aller Anwesenden herrscht. Keine gewieften Gangster, geschweige denn kriminelle Profis, sondern Amateure des Lebens, immer auf der Suche nach dem einen Deal, dem großen Coup, doch meist umständehalber zufrieden mit einem Bruchteil davon, unter Anstrengung ergaunert und schneller wieder verloren als in Besitz genommen. Kleinbürger mit beschränktem Horizont, die vom Alltag eines Spießers nur die unregelmäßigen Arbeitszeiten und die illegalen Methoden der Geldbeschaffung unterscheidet. Sowie die Risiken, die natürlich keiner wahrhaben will oder kann.

Hier tritt Jackie Cogan auf den Plan. Der zwar auch alles andere als ein vor sich hin schweigender Clint Eastwood ist, aber gemessen an seiner Umgebung, eher einen räsonierenden Gesprächspartner mit guter Beobachtungsgabe darstellt. Der sich anpasst, geradezu darum bettelt, handeln zu dürfen, um an entscheidenden Stellen zum skrupellosen Vollstrecker zu werden. Diese Momante sind zwar rar gesät, dafür umso eindrücklicher. Mögen sogar beinahe mythische Gangster an Herzinfarkt sterben, ist das Ende ambitionierter Loser doch meist ein gewalttätiges.

Higgins ist Lehrmeister jener Schule, die Quentin Tarantino, nicht immer aufmerksam, doch erfolgreich besucht hat, während die Sopranos als Jahrgangsbeste abschnitten. Higgins zeigt auf höchst eloquente Weise wie banal Verbrechen und deren Urheber sind, ohne die bitteren und oft tödlichen Auswüchse zu verharmlosen oder seine Protagonisten zu reinen Spottfiguren werden zu lassen. Er weckt eher Mitleid als Sympathie für seine Verlierertypen, die sich den Konsequenzen ihres Handelns nicht stellen können, und alleine dadurch rationalen Geschäftsmännern wie Jackie Cogan hoffnungslos unterlegen sind. Nicht anders als im richtigen, gesellschaftlich und politisch sanktionierten Leben. Kaum vermeidbare (bewusste) Redundanzen inklusive.

Ich töte lieber sanft tarnt sich hinter scheinbar harmloser Redseligkeit, doch entlarvt auf hintersinnige und düster-komische Weise die Mechanismen einer Gesellschaft, die ständig Absprachen trifft, diese jedoch selten einhält. Dafür sorgen alleine schon obsessives Verhalten und Dummheit. Die, das ist vielleicht der größte und fieseste Witz des Romans, ganz nebenbei Leben retten kann.

Für Freunde aktionsreicher Krimiunterhaltung, die das vielbeschworene Kopfkino mit ständigen Attraktionen befeuert sehen wollen, ist Ich töte lieber sanft denkbar ungeeignet. Mehr Vergnügen findet der Lauscher an der Wand jenes Hotelzimmers, das Tony Soprano Jahrzehnte später mit einer namenlosen Geliebten für ein paar Stunden beziehen wird. Und in dem 1974 ungenannte Fußsoldaten wortreich Pläne schmieden. Die Jackie Cogan zunichtemachen wird.

Ich töte lieber sanft

George V. Higgins, Kunstmann

Ich töte lieber sanft

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