Krimi-Hörspiele:
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"Wo du hingehst"

Frankenkrimi mit Niveau

Der Bayerische Rundfunk startet mit diesem Hörspiel einen neuen Krimipodcast mit Melitta und Stern, die im Fränkischen zu Hause sind und sich auf weniger spektakuläre Fälle stürzen. Der BR ist nicht unerfahren mit Regionalkrimis. Die Tatort-Folgen mit der Polizeiinspektion Bruck am Inn waren bei den Hörern außerordentlich beliebt. Die Autorin Katja Röder hat für den Radio-Tatort eine Reihe von Krimis geschrieben, die hörbar im Schwäbischen beheimatet waren, allerdings eher etwas behäbig daherkamen. Also lassen wir uns überraschen.

Der Inhalt

Melitta ist eine junge Frau mit Asperger-Syndrom, die ihr Kloster verlässt, um ihren Vater, dem Baron in Franken auf seinem Landgut zu helfen. Sie war im Kloster, um innere Ruhe zu finden und verlässt ihre Ruhebasis mit gemischten Gefühlen. Ihr engster Freund im Kloster war der Gärtner Anton Stern. Sie verbindet die Liebe zur Natur und zur Heimat. Auch Anton ist nicht „normal“. Er hat im Kloster Obhut gefunden, weil er gerne mal vergisst, beim Tanken zu zahlen.

Kaum auf dem Gutshof angekommen, wird Melitta mit der wirklichen Welt konfrontiert. Die Gegend wird von einer Diebesbande unsicher gemacht, das landwirtschaftliche Großgeräte wie Mähdrescher oder Traktoren stiehlt. Auch ihr Vater ist betroffen: Ihm wurde ein Baum-Harvester gestohlen, der nicht versichert ist.

Der Weg zur Polizei ist ernüchternd. Melitta wird unlustig mitgeteilt, dass man sich bemühe und sie Geduld haben müsse. Diese Geduld hat Melitta nicht. Sie begibt sich auf die Suche nach den Dieben und bittet Anton, den Kleinkriminellen, um Unterstützung.

Die Beiden starten nun grundsolide Detektivarbeit: Entwickeln Hypothesen, verfolgen Verdächtige, befragen Opfer. Melitta treibt die Suche immer wieder mit blitzgescheiten Ideen, Anton mit Mut und viel Fleiß voran. Je näher sie den Tätern kommen, umso gefährlicher wird die Situation für die Amateurdetektive.

Ein paar Grundmotive

Der Anspruch ist hoch. Die Autorin deutet am Ende selber auf eine gewisse Nähe zu Sherlock und Watson hin. Melitta arbeitet stark deduktiv und systematisch. Dennoch blitzen immer wieder neue, mutige Ideen auf. Anton ist der solide Partner, ohne den es nicht geht. Die Polizei gibt sich Mühe, kommt aber nicht voran. Die beiden Amateurdetektive sind ein sympathisches Paar, dass kongenial zusammenarbeitet. Wenngleich Anton ein wenig in Melitta verliebt erscheint, spielt dieses Thema, wie überhaupt Befindlichkeiten, keine Rolle.

Wo du hingehst ist ein Regionalkrimi. Im Mittelpunkt dieses Hörspiels stehen das Leben und die Nöte der Landwirte in der Region. Dies alles wirkt nicht platt, sondern ehrlich und mitfühlend. Die Befragung der betroffenen Landwirte ist ein tolles Panoptikum fränkischen Lebens.

In diesem Hörspiel geht es nicht um Mord und Todschlag, sondern um schwerkriminelle Alltagsdelikte. Dies soll wohl auch in den folgenden Episoden so sein. Dennoch gelingt es der Autorin eine spannende Geschichte zu erzählen, in der man als Hörer immer mal wieder überlegt: Wie kommen die beiden da wieder raus?

Der Hörgenuss

Die Regie nutzt wirklich alle Register, um das Lauschen zu einem Hörfest zu machen. Die Vielfalt der tollen Stimmen ist beeindruckend. Den Sprechern von Melitta und Stern gelingt es, Charaktere erscheinen zu lassen, so vielfältig ist ihre Bandbreite an Ausdruck. Und natürlich die vielen fränkischen Bauern, die man bei der Befragung hört und sich im Kopf ein Bild macht.

Die Regie nutzt die Geräuschkulisse, die die Autorin angelegt hat, weidlich. Man hört Mähdrescher, Hundegekläff, flüsterleise Handygespräche, Glocken und, und, und. Das liegt auch an den vielen, eher ungewöhnlichen Hörplätzen: Kloster, Schloss, Bauerhöfe, Autobahnrastplatz usw.

Die Szenen und Spielorte sind überschaubar. Der Hörer kann immer gut folgen, selbst wenn er/sie mal eine Hörpause einlegt. Mal geht es beschaulich zu, dann wieder wird es hektisch. Es bleibt spannend bis zum Schluss.

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Die Handlung wirkt manchmal doch sehr konstruiert, da wünscht man sich für weitere Folgen etwas mehr Logik und Wirklichkeitsnähe. Die Polizei schneidet schlecht ab. Wie in vielen Filmen wirkt sie etwas naiv, überfordert, überheblich und dumm. Das ist nicht stimmig, in dem sonst differenziert vorgehenden Stück.

Warum im öffentlich – rechtlichen Rundfunk neuerdings immer mehr oder weniger Kriminelle zur Lösung des Falles beitragen, erschließt sich mir nicht wirklich.

Fazit

Trotz kleiner Schwächen kann man dieses Hörspiel uneingeschränkt empfehlen. Weit entfernt von hard-boiled Stories wird hier eine spannend inszenierte, im wahrsten Sinne des Wortes hörenswerte Episode geboten. Ich freue mich auf weitere Folgen.

Couch-Wertung: 90°

In der ARD Audiothek oder im BR Hörspielpool.

"Brexit Blues"

Ein Abschiedsfeuerwerk im Nebel

Mit Brexit Blues legt der Autor Jan Decker die offenbar (Klappentext NDR) letzte Folge einer Krimitrilogie vor, die im niedersächsischen Osnabrück spielt. Alle Fälle beziehen sich auf besondere, wohl typische Situationen für die Stadt und schildern eher bizarre Mordfälle. Im Mittelpunkt der kriminalistischen Aktivitäten steht ein eigenwilliges Kommissaren-Trio. Der Erstling Fado Fatal (2017) spielt in einem portugiesischen Kulturverein und beleuchtet auch die schwierige Situation der „Gastarbeiter“. Die Kalte Sophie (2019) hat die Machenschaften der Atom-Mafia zum Hintergrund. Auch die älteren Episoden stehen derzeit zum Download zur Verfügung. Jede Episode ist eigenständig.

Die Story

In Osnabrück wird an einem frühen Abend 2021 eine Tagesmutter erstochen. Die Tür zu ihrer Wohnung stand offen, es gibt aber keine weiteren Zeugen. Der Fall kommt in die Zuständigkeit es kurz vor der Pension stehenden Kommissars, seinem vermutlichen Nachfolger und einer neuen Assistentin. Jeder von Ihnen nimmt sich des Mordes mit unterschiedlichem Ehrgeiz an. Sehr schnell gerät der ewig bettelnde Sohn der Mutter in Verdacht. Sein Vater und der Ex-Ehemann war jahrelang für die britische Armee in Osnabrück tätig und in den 80-er Jahren lebensgefährliches Opfer eines IRA-Anschlages. Dieser Anschlag wurde nie aufgeklärt. Gibt es Verbindungen zu diesem Cold Case? Welche Rolle spielen Liebesgeschichten? Lebt die IRA nach dem Brexit wieder auf? Hat der alternde Kommissar Leichen im Keller?

Die Suche nach dem Täter ist das Wühlen in der Vergangenheit mit immer neuen Verbindungen und Verwicklungen. Das beschauliche Osnabrück scheint in die große Weltpolitik geraten zu sein.

Das Feuerwerk

Osnabrück war tatsächlich über Jahrzehnte von der Anwesenheit einer britischen Garnison mit mehr als 14.000 Militärs geprägt. Ihre Aufgabe war es, für Sicherheit zu sorgen. Damit war Osnabrück aber auch Teil der innerbritischen Konflikte, insbesondere des brandgefährlichen Nordirlandkonfliktes. Diese Konflikte zogen und ziehen sich bis heute mitten durch Familien, wie das Hörspiel sehr schön zeigt. Die Story drückt auch die Sorge vor einem Wiederaufleben dieser Konflikte durch den Brexit aus, die ja nicht unbegründet ist, wie aktuellen Nachrichten zeigen. Der Song „It´s all over now“ in der Version von van Morrison wird immer wieder angespielt und ist für die Lösung des Falles wichtig. Als Blues spricht der Song die Trauer und den Verlust, aber auch die Hoffnung auf bessere Zeiten an.

Die Handlung ist nicht im engeren Sinne spannend. Aber der Hörer verfolgt neugierig die tiefen Verästelungen der als Täter in Frage kommenden Personen. Da geht es um Politik, Familien-und Liebesbeziehungen, Zuständigkeiten. Der Hörer muss seine Ohren spitzen, um den vielen kleinen Szenen zu folgen, die nicht immer durch die Zwischenmusik zu erkennen sind.

Der pensionsnahe Kommissar Wittkowski erteilt Befehle an sein Team, scheint aber durchaus verwickelt! Der Assistent und mögliche Nachfolger Srockhövel entwickelt fleißig Motive und Theorien, während seine Assistentin die Basisarbeit erledigt. Die drei sind ein liebenswertes Team und werden toll gesprochen. Überhaupt gehören die Sprecher zu den Highlights dieses Feuerwerks.

Das Hörspiel hätte das Zeug zu einer sehr schönen Milieu-Studie gehabt.

Der Nebel

Es kommt selten vor, dass ein Rezensent zugeben muss, trotz mehrmaligen Hörens nicht alles verstanden zu haben. Die Familienbande entwirren sich nur bei höchster Konzentration, die zeitlichen Zusammenhänge kann man sich wirklich nicht merken und nachvollziehen.

Am bedauerlichsten ist aber der immer wieder auftauchende ironische Ton, der für dieses ernste Thema überhaupt nicht angemessen ist. Mit vibrierender Stimme sagt John Miller, Opfer von drei Anschlägen: „Too much blood !“. Darauf der Spockhövel: „Ja, ja das böseste Blut gibt es in Familien.“ Leider schlägt manchmal selbst die Musik die falschen Töne an. Beim Kino im Kopf möchte man nicht schon die Interpretation vorgespielt bekommen.

Ärgerlich sind auch die vielen Nachlässigkeiten und Ungenauigkeiten. Die Chronologie der Ereignisse scheint mir an einigen Stellen fehlerhaft. Ist Paddy nun ein Dackel oder einer der irischen Verdächtigen? Der immer wieder gespielte Song wurde schon 1966 von van Morrison eingespielt und hat wenig mit dem Nord-Irland-Konflikt zu tun. Es ist auch eher Folkrock statt Blues. Gibt ein Kommissar seinem Team wirklich den Auftrag ein Attentat nach 40 Jahren aufzuklären, obwohl weiterhin das britische Militär allein dafür zuständig ist und er offensichtlich verwickelt war?

Gelegentlich hat man den Eindruck dem Hammer Radiotatort nahe zu sein. Wittkowski erinnert an Vorderbäumen in seiner Rolle als Chef, spricht aber wie Latotzke.

Fazit

Die Idee und die Story sind toll, die Sprecher hörenswert. Es wurde aber eine Chance vertan und nur wenig Hörer machen sich auf den mühsamen Weg durch die verwirrenden Szenen. Vielleicht ist es gut so, dass die Episodenfolge damit zu Ende geht, denn die beiden Vorläufer sind auf jeden Fall deutlich besser.

Couch-Wertung: 70°

In der Audiothek und beim NDR einschließlich der älteren Episoden.

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 3" von Malte Stamer, 11.2021
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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