Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 16

"Hamm Special"

Drei Preziosen als Hommage an die Looser aus Hamm

Außerhalb der regulären Tatort-Folgen veröffentlicht der WDR im Sommer 2022 drei Kurzkrimis (je 15 Min), in deren Mittelpunkt nicht der kriminalistische Plot steht, sondern die Besonderheiten eines Teammitglieds: Lenz, Ditters, Latotzke.

Es hatte sich schon angedeutet, dass der Autor Dirk Schmidt noch Lust auf Neues hat. Die Freunde des Hammer Teams werden es ihm danken.

Jede Episode ist in sich abgeschlossen, aber es gibt einen losen Zusammenhang und der Hörer sollte die vorgeschlagene Reihenfolge einhalten.

Quick and Dirty (24 min)

Ditters und Lenz müssen einem mutmaßlichen Mörder in seiner Verhörzelle auf den Zahn fühlen. Ditters begibt sich in die Zelle und gibt sich als Reinemachefrau aus. Der mögliche Täter ahnt nichts davon und lässt sich auf ein Gespräch mit der Putzfrau ein, die ihm schmeichelt, Limo besorgt und ihn immer mehr zum Reden bringt.  Das ist schon die inhaltliche Zusammenfassung.

Christine Prayon, als Ditters, und Thomas Anzhofer, als einsitzender Täter, führen hier ihre beeindruckende Sprechkunst vor. Der Text des Autors könnte glatt als Demonstration in Schulungen für Gesprächsführung genutzt werden, jenseits von typischen Polizeiverhören.

Am Ende ist der Fall geklärt und alle wollen sich auf die von Lenz bestellte Pizza stürzen.

Pizza Connection (20 min)

Die Pizza war ein Reinfall. Irgendein Fäkalfreund hat die Pizza ungenießbar gemacht. Lenz, wieder wunderbar gesprochen von Matthias Leja, begibt sich auf private Spurensuche und fordert Hilfe bei Ditters und Latotzke ein. Sie beobachten die Pizzeria und vor allem die unterschiedlichsten Kuriere. Wie jede Ermittlung zieht sich die Beobachtung ohne spürbare Ergebnisse in die Länge und die drei konzentrieren sich mehr und mehr auf eine Homestory von Lenz´ Kegelabend.

Auch in dieser Ermittlung steht ein Gespräch im Vordergrund. Am Ende stellt sich heraus, dass der Kegelabend und die Gefängnis-Pizza einen Zusammenhang haben. Ein Kammerspiel für drei, weil Lenz mit seinem Alkoholproblem am meisten auf Unterstützung angewiesen ist.

Nightfly (17 min)

Latotzke bekommt eine einmalige Chance. Er darf bei einem lokalen Radiosender eine neue Nacht-Sendung begleiten. Latotzke/DJ Latte legt auf und die Hörer dürfen ihn anrufen.

Doch schon der erste Anruf wirft den aufgeregten Latotzke aus der Bahn.  Eine stille Verehrerin aus den Disco-Abenden erklärt ihm ihre Liebe und erweist sich als Stalkerin. Die Situation spitzt sich nach mehreren Anrufen zu. Am Ende muss Latotzke seine Kollegen vom Polizeirevier zum Einsatz rufen: Die Frau droht mit Selbstmord.

Diese Episode ist als Söhnke Möhrung als Latotze auf den Leib geschrieben. Aber auch der lakonische, maulfaule Nachtredakteur Thiemo Schwartz und die beiden schwierigen Damen, gesprochen von Anja Herden und Leonie Renée Klein, halten den Hörer mit ihrer Sprechkunst wach. Ja und dann wird auch noch schöne Musik gespielt und zu guter Letzt ist dieses Minihörspiel eine ironische Auseinandersetzung mit Format „Höreranrufe“.

Fazit

Ein echter Hammer. Großen Dank an Autor, Sprecher und Bearbeiter für diesen Mut zu diesen kleinen Kunstwerken in ungewöhnlichem Format. Ein Muss für die Freunde des Hammer Teams. Eine dringende Empfehlung für alle anderen. Ob dies ein Abschiedsgeschenk ist oder Aufbruch auf neuen Pfaden, bleibt offen.

Couch-Wertung: 90°

In der ARD Mediathek oder direkt beim WDR

"Sakari"

Viel Kunst, etwas Genuss

„Sakari lernt, durch die Wände zu gehen“ ist die aktuelle (29.08.22) Hörspieladaption eines Buches des renommierten, literarisch ehrgeizigen Autors Jan Costin Wagner. Das Buch wurde bereits 2017 als sechster und letzter Fall um den finnischen Kommissar Kimmo Joentaa veröffentlicht. Produziert wurde diese Bearbeitung vom Deutschlandradio Kultur. Schon 2008 hat der WDR ein erstes Hörspiel von Wagner adaptiert: „Das Schweigen“. Seine Bücher werden häufig dem Genre Skandinavien-Krimi zugeordnet, da sie in Finnland spielen und den typischen leicht melancholischen Tonfall haben.

Inhalt

Der junge finnische Polizist Petri beobachtet von seiner Wohnung aus, wie ein nackter Mensch mitten im Ortszentrum mit einem Messer fuchtelt und sich selbst verletzt. Er läuft hinunter und sieht, wie dieser Mensch in einen Brunnen klettert. Drumherum steht ein kleiner Junge der Eis isst. Er fordert den Mann auf, das Messer abzugeben und herauszuklettern. Die Situation eskaliert. Petri schießt. Das Kind ist gerettet, aber ein Mann tot. Es ist noch ein Halbwüchsiger.

Petri ist verzweifelt, er wird vom Dienst suspendiert und vertraut sich seinem Kollegen Kimmo an. Sie schauen sich das Facebook-Profil des Toten an: Es ist seltsam und verwirrend. Der junge Mann muss psychische Probleme gehabt haben. Er wohnte in einer Betreuungs-WG. Während sie die Familie des toten Sakari besuchen, bricht im Nachbarhaus ein Brand aus. Zufall oder Absicht? Gibt es einen Zusammenhang zum Tod Sakaris? Tatsächlich ist Sakari am Tod der Nachbarstochter schuld. Vor einigen Jahren hat ist sie bei einem Motorradunfall durch sein Verschulden ums Leben gekommen. Petri und Kimmo tauchen tief in die Welt dieser beiden zutiefst verletzten Familien ein.

Skandinavien-Krimi?

Die Handlung spielt in Finnland und tatsächlich herrscht eine eher etwas melancholische Stimmung. Der filmkundige Hörer wird schnell an den finnischen Regisseur Akis Kaurismäki erinnert. Allerdings gibt es nicht nur eine düstere Welt voller Rätsel und Lebensweisheiten, sondern auch die dem Leben zugewandte Seite. Der alleinerziehende Kimmo hat eine schwere Lebenskrise unüberhörbar überwunden und hilft seinem Kollegen zugewandt und empathisch.

Die noch zehnjährige Tochter Sanna ist lebenslustig und „schmeißt“ den Haushalt. Die vielen mitspielenden Kinder heitern die deprimierende Szenerie immer wieder auf.

Die Inszenierung

Die Bearbeitung hat es nicht leicht mit der Vorlage. Das Hörspiel ist eine Ansammlung von beglückenden und verwirrenden Hörstückchen. Viele Figuren berichten gelegentlich von ihren Befindlichkeiten in inneren Monologen. Dann folgen in hohem Tempo Dialoge oder kleine Szenen. Es gibt reichlich Rückblenden. Und die vielen mitspielenden Personen haben meist nur Vornamen, die sich der Hörer alle merken muss, um dem Stoff zu folgen. Zumal die sprachliche Vorlage höchsten literarischen Ansprüchen genügt und sich jeder Satz ins Ohr schleicht.

Die Sprecher

Die beiden Hauptpersonen Kimmo und Petri sind überzeugend gesprochen. Kimmo ist bodenständig, aber auch sensibel. Petri ist der junge, unsichere Polizist, der noch Unterstützung benötigt. Die Mutter des toten Sakari hört sich betroffen an. Es klingt aber auch eine Gleichgültigkeit durch, weil sie es nicht geschafft hat, Sakari aus seiner Lebenskrise zu führen.

Es ist nie ganz einfach Kinderstimmen zu finden, die realistisch klingen. Hier ist der Regie eine Glanzleistung gelungen. Die vielen Kinderstimmen klingen wie in der wirklichen Welt. Insbesondere Kimmos Tochter sieht der Hörer vor sich: Wie sie ihren Vater be“muttert“, ihr Leben und das Leben ihres Vaters in die Hand nimmt.

Die Handlung

Die Story wird zügig und abwechslungsreich erzählt. Das Ende bleibt lange offen. Das Hörspiel ist nicht frei von inhaltlichen Schwächen. Erschießt ein Polizist tatsächlich einen nackten Jungen im Brunnen? Brennt gerade ein Haus ab, während die Polizei nebenan verhört?

Aber Handlung ist nicht alles. Der Krimi erzählt eine Geschichte von Familien, die schweres Leid erfahren haben und deren Handeln Außenstehende kaum verstehen. Bei aller Empathie seinen Figuren gegenüber bewahrt der Autor eine distanzierte, aber verständnisvolle Haltung. Der Vater von Emma, die beim Motorradunfall ums Leben gekommen ist, verlässt die Familie, weil er die Trauer nicht mehr aushalten kann. Im Hörspiel klingt viel Verständnis für diesen Schritt durch. Ein wenig erinnert Kimmos Vorgehen an Maigret, der den Menschen zuhört und versucht ihre Situation und möglichen Motive zu verstehen. Maigret ist die Lösung des Falles wichtig, nicht die Bestrafung der Täter.

Die sparsam instrumentierte Musik fängt die jeweilige Stimmung ein und betont sie, lädt aber   nicht zum Gedankenschweifen ein.

Fazit

Ein spannender Krimi mit etwas Skandinavien, ein wenig Melancholie und viel Psychologie sowie Lebensweisheiten auf hohem, literarischem Niveau. Etwas zu viel Kunst und zu wenig Genuss.

Couch-Wertung: 75°

In der ARD Mediathek  als Download

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 16" von Malte Stamer, 09.2022
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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