Aufgeklärt:
Hard-boiled

Hard-boiled oder Hartgesotten. Nicht wie ein Ei, sondern wie ein Knochen, den der Hund nicht zerbeißen kann.

1922 publizierte Carroll John Daly im „Black Mask Magazin“ (1920 erstmalig erschienen) eine Kurzgeschichte mit dem Titel „The False Burton Combs". Der namenlose Protagonist bezeichnet sich selbst als „gentleman adventurer“, agiert aber bereits mittelnd zwischen Polizisten und Gangstern. Diese Story gilt als Prototyp des Hard-boiled. Der erste maßgebliche längere Text war wenige Jahre später Dashiell Hammetts Roman „Red Harvest“, „Rote Ernte“ (1927 ebenfalls im Black Mask Magazine als Fortsetzungsroman unter dem Titel„The Cleansing Of Peaceville“ erschienen, 1928 in Buchform).  Hauptfigur war der Continental Op, erneut ein Mann ohne Namen, der für die Continental Privatdetektiv-Agentur tätig ist. „Rote Ernte“ ist leichenreich, dezidiert politisch und besaß mit Dashiell Hammett, der als Pinkerton-Detektiv gearbeitet hatte, einen Mann vom Fach als Autor, der seine Hauptfigur auf ein Ermittlungs-Schlachtfeld schickt, auf dem Gangster und Politiker kaum zu unterscheiden sind. Nicht nur bedingt durch die Prohibition ist das Verbrechen längst gesellschaftsimmanent und kein Fall für den abgeschlossenen Salon mehr.

Ich bin ein einsamer Wolf, unverheiratet, in mittleren Jahren und nicht reich. Ich war mehr als einmal im Gefängnis und bearbeite keine Scheidungsfälle. (Raymond Chandler „Der lange Abschied“)

Doch was bedeutet eigentlich „Hard-boiled“? Im Deutschen gibt es ein passendes Äquivalent: „Hartgesotten“.  Nach dem deduktiven Knobelmeister, der die Verdächtigen in einem Raum versammelt, um ausschweifend zu erklären, wie meisterlich er herausgefunden hat, wer Oberst Flatow im Salon mit dem Kerzenleuchter erschlagen hat, ist die Wachablösung ein Mann (vorerst, später bekommt er weibliche Konkurrenz), für den man hierzulande den schönen Begriff „Plattfuß“ erfunden hat. Er ermittelt (meist) nicht mehr im Pfarrhaus oder heimeligen Cottage, sondern geht hinaus auf die Straße, in die schmutzigen Winkel der Städte, dorthin wo Kriminalität wuchert und Polizisten eher korrupt als Freunde und Helfer sind.

Raymond Chandler, der Schöpfer des neben Hammetts Sam Spade („The Maltese Falcon“, „Der Malteser Falke“) wohl maßgeblichsten und bekanntesten frühen Privatdetektivs Philip Marlowe, postulierte es in seinem Essay „The Simple Art Of Murder“ („Die simple Kunst des Mordes“, 1944) so: 

"Der Realist der Mord-Geschichte beschreibt eine Welt, in der Gangster ganze Nationen regieren können und Städte sogar manchmal regieren, […] in der kein Mensch mehr sicher durch eine dunkle Straße gehen kann, weil Recht ein Ding ist, das wir zwar dauernd im Munde führen, aber in der Praxis nicht einführen wollen […].

Aber durch die schäbigen Straßen muss ein Mann gehen, der selbst nicht schäbig ist, der eine reine Weste hat und keine Angst. Er muss der beste Mensch auf der Welt sein und ein Mensch, der gut genug ist für jede Welt."

Das mag etwas pathetisch klingen, trifft den Kern des Hard-boiled aber ziemlich gut. Der Detektiv ist ein Einzelgänger (auch das wird sich in späteren Jahren lockern), der seinem eigenen moralischen Kompass folgt. Oft ist er zuvor als Angehöriger einer Strafvollzugsbehörde an den dort herrschenden Regularien, Inkompetenzen und verbrecherischen Machenschaften gescheitert und verzweifelt, weswegen er sich eine Lizenz als Privatdetektiv besorgt. Oder wie Lawrence Blocks Matt Scudder zeitweise ganz ohne offizielle Legitimation arbeitet.

„Wie k-konntest Du?“ keuchte sie. Ich hatte nur einen Augenblick, bevor ich zu einer Leiche sprechen würde, aber ich bekam es hin. „Es war leicht,“ sagte ich. (Mickey Spillane, „I The Jury“)

Ein gutes halbes Jahrhundert gedieh Hard-boiled-Literatur und wurde oft zum Spiegel ihrer Zeit. 1947 betrat mit Mickey Spillanes Mike Hammer das Schmuddelkind des Genres die Szenerie. Hammer war mehr Vigilant als Ermittler, erhob sich gleich mit seinem Debüt „I, The Jury“, „Ich, der Richter“, zum personifizierten Gesetz und liquidierte ohne Bedenken eine Geliebte, die er für schuldig am Tod eines Freundes hielt. Hammett und Chandler waren entsetzt von dieser „Mischung aus Gewalt und Pornographie“ (Raymond Chandler). In Deutschland erschien der Roman zunächst nur gekürzt (unter anderem ums fiese Finale) und landete trotzdem auf dem Index. Doch letztlich bot der Baptist Spillane ein erzkonservatives, schlitzohriges und geschäftstüchtiges Spiegelbild einer von Krieg und Gewalt geprägten Umwelt.

Ross McDonald (eigentlich Kenneth Millar, Ehemann der ebenfalls lesenswerten Margret Millar) näherte sich mit seinem Lew Archer von der liberalen, nachdenklichen und analytischen Seite dem Zerfall der Gesellschaft. Zwischen diesen beiden Polen wuchs das Genre vielfältig weiter. Ein Höhepunkt, der eine eigenständige Variante und Hommage zu Chandlers vielleicht bestem Roman „The Long Goodbye“, „Der lange Abschied“, bot, war 1978 James Crumleys „The Long Good Kiss“, „Der letzte echte Kuss“.

„Die Menschen sind heutzutage nicht schlechter, als sie früher waren. Nur die Berichterstattung über ihre Taten ist gründlicher geworden." (William Faulkner)

Der Hard-boiled-Detektiv entwickelte sich zum Frauenversteher (Robert B. Parkers  «Spenser»,  aber  auch  Stephen  Greenleafs  «Tanner»  oder  Arthur  Lyons «Jacob Asch» und Thomas Adcocks «Neil Hockaday»), in Gestalt von Jacob Asch und Moses Wine (Roger L. Simon) war er den 68er-Idealen sehr nahe, und unbedenklicher Waffengebrauch wird eher zur Ausnahme. Hier kommt der  stille  Teilhaber  des  Detektivs ins Spiel, der seit den Siebzigern fester Bestandteil der Hard-boiled-Schule ist. Er erledigte oft das  unschöne  Killen. Wie Spensers  «Hawk»,  Andrew Vachss‘ Schöpfung, der stumme Max, Robert Crais‘ Joe Pike oder Dennis Lehanes  «Bubba», der dem Ermittlungspaar Kenzie und Gennaro tatkräftig zur Seite steht.    Jack Reacher, Lee Childs ehemaliger Militärpolizist hingegen braucht keine Unterstützung. Er ist eine Ein-Mann-Armee, ein klassischer Loner, der sich durch Amerika treiben lässt und permanent über seine Vergangenheit, Verbrechen und schwere Jungs, die verdroschen werden wollen, stolpert. Auf Reacher trifft Chandlers Beschreibung immer noch ungebrochen zu.

Nicht, dass  die  anderen harten  Detektive  des  ausgehenden  20.  Jahrhunderts  wehrlos  geworden  wären;  aber  sie  haben  sich  angepasst.  Oder erstarrten im Klischee.  Robert  B.  Parker, der  stark  begonnen  hatte,  veröffentlichte   eine   ganze   Reihe   hilfloser   und   wenig   überzeugender  Romane.  Angefangen bei seinen misslungenen Chandler Bearbeitungen, bis  hin  zu  Büchern  mit  Spenser  als  Hauptfigur.  Mittlerweile hat er sich  wieder  gefangen  und  Spenser  ist  nach  rund  30  Jahren  wieder  ein verlässlicher Begleiter. Verlässlich – mit leichten Schwankungen – sind auch Polizisten, die sich zumindest zeitweise als Privatermittler betätigten. Wie Michael Connellys Hieronymus „Harry“ Bosch  oder  James  Lee  Burkes  Dave  Robicheaux.  Zumindest  Robicheaux  und  Bosch  kämpften zeitweise auf eigene Faust gegen das Verbrechen.

„Wenn ich eines Tages abtrete, dann mit einem Knalleffekt. Ich will kein Fleischklumpen sein, den jeder ausgenutzt hat und keiner kannte. Wenn ich einmal abtrete, kennt jeder meinen Namen“. (Liza Cody, 1994: „Monkey Wrench“, „Eva sieht rot“)

Abgesehen von schrulligen Hobbydetektivinnen in meist gemütvollen Häkelkrimis, blieben Ermittlerinnen Mangelware. Erst mit den beginnenden 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts stieg die Frauenquote im männlich besetzten Metier. „Edwin Of The Iron Shoes“, „es ist nicht alles Gold…“, Marcia Mullers erster Roman mit der Privatdetektivin Sharon McCone erschien ‚bereits‘ 1977. 1982 folgte, die im letzten Jahr leider verstorbene, Sue Grafton mit der Alphabet-Reihe um Kinsey Malone. Für Furore sorgte Liza Cody mit gleich zwei Reihen, in der ersten spielte die Detektivin Anna Lee die Hauptrolle, die zweite wies mit der Catcherin Eva Wylie eine höchst ungewöhnliche Protagonistin auf. Val McDermid hatte Kate Brannigan am Start und Sara Paretsky stellte mit ihrer V.I. Warshawski viele männliche Kollegen in den Schatten. In diesem Jahr gab es mit „Critical Mass“, „Kritische Masse“, ein Comeback für Warshawski, das ihr prompt den Spitzenplatz auf der Krimibestenliste bescherte. Eine der außergewöhnlichsten, und in puncto Durchschlagskraft ebenfalls vielen Kollegen überlegenen, Serienfiguren dürfte Carol O’Connell sozialpathologisch auffällige Mallory sein.   

"Kriminalgeschichten muß man lesen, um zu erkennen, was, in moralischer Hinsicht, der Mensch eigentlich ist." (Arthur Schopenhauer)

Zur Jahrtausendwende waren unzählige Whiskyflaschen aus Schreibtischladen gezogen worden, noch mehr Zigaretten wurden auf den feuchtglänzenden, nächtlichen   Asphalt   geschnippt,  das   ewige   Geplänkel   mit   den   unterschiedlichsten Angehörigen der Staatsmacht wurde immer unerfreulicher und hatte in Zeiten, in denen Gangster realiter ganze Nationen regieren, keine Aussicht auf Erfolg mehr. Der Kampf eines einsamen, und sei es noch so harten, Kerls oder seines weiblichen Pendants entlarvte mit schmerzhafter Deutlichkeit  als eine schöne Lüge. War es vermutlich immer schon gewesen. Aber sie war einfach zu verführerisch und tröstlich. Die darin intendierte Dystopie birgt wiederum erzählerisches Potenzial. Fragt den Blade Runner oder Elliott Halls Felix Strange.

Doch auch das Leseverhalten und die Zusammensetzung des Lesepublikums änderten sich. Der Hard-boiled-Detektiv verzog sich angeschlagen in gut ausgeleuchtete Nischen, nur um manchmal mit Macht daraus hervorzutreten.  Dennis Lehane sorgte mit seiner Kenzie & Gennaro-Serie dafür, Joe R. Lansdale schickte Hap & Leonard vorbei, eine Zeitlang schien es, als könne Claire deWitt, die Erfindung der großartigen Sara Gran für frischen Wind sorgen, doch die Übersetzung des Romans der Reihe steht immer noch aus. Und dann gibt es natürlich noch James Ellroy, der 1981 mit „Browns Requiem“, „Browns Grabgesang“, einen lupenreinen Hard-boiled-Krimi geschrieben hat, und dessen Lloyd Hopkins-Trilogie ebenfalls mehr die Geschichte eines hartgesottenen Einzelkämpfers in einer verderbten Welt als ein Police Procedural ist. 

Die Hardboiled-Schule hat zweifelsohne nicht geschlossen, aber die Ferien dauern mittlerweile länger als die Zeit mit Unterricht. 

"Aufgeklärt: Hard Boiled" von Jochen König
Foto: © istock.com/peepo

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