Die dunkle Stunde der Serenissima

  • Steinbach
  • Erschienen: Januar 2003
  • 28
  • London: Heinemann, 2002, Titel: 'Wilful Behaviour', Seiten: 295, Originalsprache
  • Schwäbisch Hall: Steinbach, 2003, Seiten: 8, Übersetzt: Christoph Lindert
  • Zürich: Diogenes, 2004, Seiten: 373
Die dunkle Stunde der Serenissima
Die dunkle Stunde der Serenissima
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Peter Kümmel
68°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2003

Donna Leon verliert das Ziel aus den Augen

Der elfte Fall für Commissario Brunetti beginnt mit etwas, dessen Fehlen ich im zehnten Fall noch kritisiert hatte; nämlich mit einem dieser Wortgefechte von Guido Brunetti und dessen Gattin Paola, von Brunetti liebevoll "Kaffeepredigt" genannt. Nach diesem Frühstück geht das Ehepaar wie gewohnt zur Arbeit. Paola zur Universität, wo sie als Dozentin für englische Literatur tätig ist, und Guido zur Questura in Venedig, wo er seinen Dienst als Polizeibeamter versieht.

Zufälligerweise werden an diesem Tag beide im Dienst privat um Hilfe gebeten. Guido von einem alten Schulfreund, einem Geschäftsmann, der einen Laden gekauft hat und ihn umbauen will. Nachdem er 7 Monate auf die Genehmigung gewartet hat, wird ihm klar, dass er ohne ein saftiges Schmiergeld bei den Behörden noch jahrelang warten kann. Womit wir wieder bei einem der Lieblingsthemen der Brunetti-Reihe wären: Korruption in italienischen Amtsstuben. Brunetti kann dem Freund jedoch weder helfen noch ihm einen guten Rat geben.

Paola wird von der Studentin Claudia Leonardo um Hilfe gebeten. Die junge Frau ist allerdings sehr spärlich mit ihren Informationen. Ihr Großvater Luca Guzzardi wurde im Krieg angeklagt und stand vor Gericht. Dort wurde er für unzurechnungsfähig erklärt und in das damalige Irrenhaus eingewiesen, wo er starb. Nun legt die Frau, mit der ihr Großvater im Krieg zusammenlebte und die für Claudia wie eine Großmutter ist, sehr viel Wert darauf, dass dessen Ruf wieder reingewaschen wird. So bittet Claudia ihre Dozentin, ihren Mann zu fragen, welche Möglichkeiten da bestehen, da eine Auskunft bei einem Anwalt ihr zu teuer ist. Doch Brunetti kann der Studentin nicht helfen, solange er nicht mal weiß, welches Vergehens sich ihr Großvater schuldig gemacht hat.

Nachdem Claudia Leonardo den Commissario in dessen Dienstzimmer aufgesucht hat, ist dieser zwar fasziniert von der jungen Studentin, da sie mit ihren Ansichten über die italienische Geschichte mit ihm absolut auf der gleichen Wellenlänge liegt, doch viel schlauer als zuvor ist er auch nicht. Von Neugier gepackt, zieht er Erkundigungen bei dem Maler Lele, einem Freund seines Vaters, sowie bei seinem Schwiegervater Conte Orazio Falier, der jeden kennt, ein. So erfährt er, dass Claudias Großvater nach allgemeiner Ansicht kein allzu liebenswerter Zeitgenosse gewesen sein muß und während des Krieges nicht ganz rechtmäßig in den Besitz von wertvollen Kunstgegenständen gekommen ist. Und ehe es sich Brunetti versieht, muß er sich auch dienstlich mit den Geschehnissen der Vergangenheit befassen, denn Claudia Leonardo wird in ihrer Wohnung erstochen aufgefunden.

Donna Leon versetzt ihre Leser sogleich in die Vergangenheit. Denn Commissario Brunetti weiß sofort, dass Claudia keinem Einbrecher zum Opfer gefallen ist, sondern daß er nur über ihren Großvater an die Lösung des Falles gelangt. So hat er es bei den Zeugen, die er befragt, meist mit Personen zu tun, die bereits jenseits von Gut und Böse sind. So stösst er auf einen bekannten Notar, der mehr weiß, als er zugibt, der aber auf Alterssenilität macht und Brunetti keine Chance lässt. Auch die "Großmutter" ist alles andere als hilfsbereit und so fühlt man sich schon fast wieder an Brunettis letzten Fall erinnert, wo verstockte Zeugen die Handlung des Romans gänzlich zum Stillstand brachte. Doch ganz so langweilig wirds nicht. Nur erinnert man sich lange Zeit gar nicht mehr daran, dass Brunetti einen Mord zu untersuchen hat, denn Donna Leon verliert das eigentliche Ziel eines Kriminalromans aus den Augen, nämlich ein Verbrechen aufzuklären. Das Geschehen konzentriert sich fast vollständig auf die Vergangenheit. Zeugenbefragungen zum aktuellen Mordfall sind auf ein Minimum reduziert und von polizeilichen Ermittlungen ist kaum etwas zu spüren. Die Autorin bringt keine Verdächtigen ins Spiel und legt keine Fährten aus. Mit realistischer Polizeiarbeit hat das alles recht wenig zu tun.

Doch dies ist alles verzeihbar, solange man spannende Unterhaltung vorgesetzt bekommt. Diese Intention läuft zwar sehr zäh an, doch so nach und nach kommt etwas Licht in das Dunkel und so einige Fäden aus der Vergangenheit lassen sich mit der Gegenwart verknüpfen.

So bleibt es wie meist bei Donna Leon, dass das Drumherum spannender und unterhaltsamer ist als der eigentliche Fall. Brunettis Familienleben, die alltäglichen Situationen und die Diskussionen mit Frau und Kindern sind dieses Mal wieder spritzig wie früher. Conte Orazio, Paolas Vater, der bisher meist über den Dingen stehende weise alte Mann, bekommt durch ein paar alte Geschichten aus dem Krieg endlich einmal etwas mehr menschliche Wärme eingehaucht. Dafür muß Signorina Elletra nach ihrer Hauptrolle im vergangenen Fall dieses Mal etwas zurückstehen. Brunettis engster Mitarbeiter Vianello trägt nach seiner längst überfälligen Beförderung nun Zivil und wäre nun auch mal reif für eine etwas tragendere Rolle.

Die dunkle Stunde der Serenissima

Donna Leon, Steinbach

Die dunkle Stunde der Serenissima

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