Nicola Upson

Die englische Autorin Nicola Upson wurde 1970 in Suffolk, England, geboren und studierte Anglistik in Cambridge. Ihr Debüt „Experte in Sachen Mord“ bildet den Auftakt einer erfolgreichen, mehrbändigen Krimireihe. Bei deren Hauptfigur, Josephine Tey, handelt es sich um eine der bekanntesten Krimiautorinnen des Britischen „Golden Age“. „Mit dem Schnee kommt der Tod“ (Band 9) war nominiert für den CWA Historical Dagger Prize (2021). Nun erscheinen Dank des Züricher Verlages „Kein & Aber“ drei Bände der erfolgreiche Krimireihe erstmals in einer deutschsprachigen Ausgabe. Weitere Veröffentlichungen werden folgen.

Krimi-Couch-Redakteur Thomas Gisbertz sprach mit Nicola Upson über das Besondere ihrer Reihe, den Unterschied zwischen Realität und Fiktion sowie ihre Gemeinsamkeit mit Josephine Tey.

... ich möchte die Leserschaft immer wieder mit etwas Neuem überraschen, sei es die Prämisse oder die Erzählweise oder eine unerwartete Figurenentwicklung.

Krimi-Couch:
Frau Upson, der Verlag „Kein & Aber“ veröffentlicht nun 15 Jahre nach Erscheinen Ihres Debütromans „Experte in Sachen Mord“ gleich drei Bände Ihrer Kriminalreihe in einer deutschsprachigen Ausgabe. Wie fühlt sich das an?

Nicola Upson:
Das ist so aufregend! Vor allem, da die deutschen Ausgaben sehr schön gestaltet sind. Soweit ich weiß verfügt Josephine Tey hierzulande über eine treue und enthusiastische Fangemeinde, deshalb bin ich sehr gespannt auf die Leserreaktion auf ihren literarischen Counterpart in meinen Büchern. Und die drei Titel, die hier veröffentlicht werden, ermöglichen einen guten Einblick in ihr Leben.

Krimi-Couch:
Über das Privatleben von Elizabeth Mackintosh, die unter dem Pseudonym Josephine Tey Kriminalromane schrieb und die in Großbritannien vor allem unter dem Namen Gordon Daviot eine bekannte Theaterautorin war, ist wenig bekannt. In der Öffentlichkeit, aber auch im Privatleben war sie sehr zurückhaltend. Was hat Ihr Interesse für sie geweckt und warum haben Sie sich für die bekannte Autorin als Protagonistin für Ihre Romane entschieden?

Nicola Upson:
Ihre Arbeit hat mein Interesse geweckt und ist und bleibt meine größte Inspiration. Die 8 Krimis aus ihrer Feder haben das Genre grundlegend verändert, weg vom klassischen Rätselraten im Stil des „Golden Age“ hin zu figurenbasierter, psychologischer Literatur, die ich sehr bewundere. Aber vor allem erklingt ihre einzigartige Stimme als Autorin so unüberhörbar und ansprechend aus diesen Büchern. Ich hätte sie gerne persönlich kennengelernt. Sie war nicht geheimniskrämerisch, aber schätzte ihre Privatsphäre. Sie hat sich nicht eingeschlossen und umgab sich gerne mit nahen Vertrauten, doch sie hat nicht unbedingt auf sich aufmerksam gemacht. In unserer heutigen, von Social Media geprägten Zeit ist das vielleicht schwer nachzuvollziehen, aber damals war das nicht so ungewöhnlich. Und die für uns nicht mehr füllbaren Lücken ihrer Biographie machen sie zu einem wunderbaren Sujet für Geschichten.

Krimi-Couch:
Sämtliche Romane von Ihnen beginnen mit etwas Realem aus dem Leben oder Werk Josephine Teys: Wenn Sie die Kriminalautorin mit der literarischen Figur in Ihren Romanen vergleichen: Wo bestehen am ehesten Gemeinsamkeiten und wo Unterschiede?

Nicola Upson:
Sie ist für mich immer der Ausgangspunkt, und die Bücher nehmen sich verschiedene Facetten aus ihrem Leben zum Vorbild: Da wäre natürlich ihre Arbeit für die Bühne sowie für die BBC; ein ein Jahr umspannender Liebesbrief im Tagebuchformat, den eine andere Frau an sie verfasst hat; ihre frühen Erfahrungen als Sportlehrerin sowie ihre Erlebnisse während des Ersten Weltkriegs; sogar ihr Testament. Tey ist als Schriftstellerin sowie als Persönlichkeit derart interessant, das könnte man sich (auch ich nicht) zum Teil gar nicht ausdenken! Ich hoffe, dass ihr scharfsinniger Humor und ihre starken Überzeugungen und Prinzipien in meiner Version durchscheinen; sie hat ihre Arbeit sehr ernst genommen – auch wenn sie sie manchmal vor sich hergeschoben hat, was die Bücher auch wiederspiegeln. Ihre engsten Beziehungen hatte sie mit Frauen, auch das greifen die Bücher auf – wenngleich die Figur Marta eine Erfindung von mir ist, zusammengesetzt aus verschiedenen realen Versatzstücken, die in Teys Leben zu verschiedenen Zeitpunkten eine Rolle gespielt haben. Mittlerweile begleite ich diesen Charakter nun so lange, dass bestimmt auch ein bisschen von mir auf ihre Buchversion abgefärbt ist. Insgesamt glaube ich aber schon, dass ihre Ausdrucksweise, Ansichten und Persönlichkeit, wie sie in den Büchern dargestellt sind, der Realität recht nahekommen.

Krimi-Couch:
Neben Josphine Tey gibt es in den Romanen eine weitere interessante Hauptfigur: Detective Inspector Archie Penrose. Hier gibt es Bezüge zum Ermittler Alan Grant aus Teys Kriminalromanen. Was macht Ihnen eigentlich mehr Freude: die eigentliche Kriminalgeschichte zu schreiben oder das Verweben von Fakten, Fiktion und intertextuellen Elementen?

Nicola Upson:
Ich kann das gar nicht so sehr trennen. Die Recherchephase liebe ich, denn sie eröffnet immer neue Sichtweisen auf historische Momente und Personen und beeinflussen ausnahmslos die Handlung. Zudem ergeben sich dadurch neue Möglichkeiten für Überraschungen und Wendungen, die vorher noch nicht denkbar gewesen wären. Ich suche immer nach kleinen, manchmal scheinbar belanglosen Insider-Details – dann kann ich der Fantasie nämlich freien Lauf lassen und (hoffentlich!) die Leserschaft mitnehmen. Archies Szenen schreibe ich sehr gerne, und er ist tatsächlich an Teys Alan Grant angelehnt, einen der sympathischsten und glaubwürdigsten Ermittler des Krimigenres. Er ist auch die Art Typ, den ich mir als Ermittler in einem Mordfall an einem mir geliebten Menschen wünschen würde: intelligent, fleißig, einfühlsam aber nicht sentimental, und ausgestattet mit einem starken Sinn für Gerechtigkeit und Respekt für jene, denen das Leben auf so grausame Weise entrissen wurde. Daran denke ich immer, wenn ich solche Szenen schreibe.

Krimi-Couch:
Anders als der bekannte, 1928 gegründete „Detection Club“ rund um Autoren wie Agatha Christie, Dorothy L. Sayers, Ronald Knox und G. K. Chesterton bricht Josephine Tey eher mit den gängigen Regeln des Kriminalromans bzw. interpretiert sie deutlich freier. Ihre Werke sind oftmals eher spannende Gesellschaftsromane. Auch Ihre Bücher, Frau Upson, sind nicht nur Kriminalromane, sondern begeistern durch eine differenzierte, genaue Figurendarstellung sowie eine sehr atmosphärische Darstellung der damaligen Zeit und ihrer Menschen. Ist dieses tendenzielle Abweichen von gängigen Genreklischees eine Eigenschaft, die sie mit Josephine Tey verbindet?

Nicola Upson:
Das hoffe ich doch! Das wäre für mich das größte Kompliment. Mir ist es in der Tat sehr wichtig, dass alle meine Bücher irgendwie herausstechen, was bei einer Serie eine Herausforderung sein kann. Aber ich möchte die Leserschaft immer wieder mit etwas Neuem überraschen, sei es die Prämisse oder die Erzählweise oder eine unerwartete Figurenentwicklung. Ich denke, ich bin mehr am Rätsel interessiert als Tey es war – ich liebe diesen geistigen Wettstreit zwischen Lesenden und Schreibenden. Aber was Unvorhersehbarkeit anging, war Tey eine Klasse für sich; denkt man an Romane wie THE FRANCHISE AFFAIR, der nicht einmal einen Mord beinhaltet, oder BRAT FARRAR, wo wir von Anfang an wissen, dass Brat ein Betrüger ist, und trotzdem auf seiner Seite sind – das sind wahrhaft originelle Ideen, die einen großen Einfluss hatten.

Krimi-Couch:
Was würde Josephine Tey wohl selber über Ihre Kriminalromane heute sagen?

Nicola Upson:
Wenn ich mir die Dreistigkeit erlauben darf: Ich glaube, sie hätte eine Art widerwilligen Respekt davor. Sie hätte sicher auch einige Kommentare und Verbesserungen für mich in petto, doch ich bin davon überzeugt, dass sie zumindest begeistert gewesen wäre, dass ihre Arbeit immer noch so viel Interesse und Bewunderung hervorruft.

Das Interview führte Thomas Gisbertz im Oktober 2023.
Foto: © Roberto Ricciuti
Übersetzung: Yannic Niehr

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