Carla Berling

07.2018 Thomas Gisbertz traf Carla Berling am Rande einer Lesung ihres neuen Romans »Königstöchter« in Brüggen zum Interview.

Krimi-Couch.de:
Carla Berling, Sie haben Ihren ersten Schreibversuch vor mehr als 20 Jahren einmal als »dilettantischen Mist« bezeichnet. Jetzt sind bereits zwei Bände Ihrer Ira-Wittekind-Reihe im Heyne Verlag neu erschienen – sogar als Hörbuch. Wie überrascht sind Sie von Ihrem Erfolg?

Carla Berling:
Nicht so überrascht, weil es nicht überraschend geschah, sondern weil es 23 Jahre dauerte, bis der Erfolg kam.

Krimi-Couch.de: 
Sie haben jahrelang im Selbstverlag veröffentlicht. 2017 erschien »Mordkapelle« beim Heyne-Verlag. Wie ist es Ihnen gelungen, vom Self-Publishing den Sprung zu einem derart großen Verlag zu machen?

Carla Berling:
Ich habe vorher auch in Verlagen veröffentlicht, aber in kleinen Unternehmen ohne nennenswertes Budget, im Bereich Marketing und Lesungen musste ich also alles alleine machen. Und ich war gleichzeitig bei BOD (Books on demand) mit meiner »Jesses-Maria«-Reihe. Das lief wirklich sehr gut. Ich hatte viele Lesungen und ich habe immer viele Bücher verkauft. Self-Publishing ist dann natürlich super, weil man die Bücher günstig drucken lassen und mit einem kleinen Gewinn verkaufen kann. Schließlich kam die Möglichkeit, E-Books bei Amazon zu publizieren, mit 70 Prozent Honorar. Mein Mann Martin und ich haben es einfach versucht.

Man sagte mir häufiger, ich solle einen Krimi schreiben. Das wollte ich erst nicht, weil ich es mir nicht zutraute, aber ich hatte in meiner Zeit als Reporterin leider auch einige Leichen gesehen. Manche Erinnerungen haben mich nie in Ruhe gelassen; sie waren der Auslöser dafür, dass ich »Sonntags Tod« geschrieben habe.

Wir haben dann alles selber in Angriff genommen: Martin hat sich ein Satzprogramm gekauft, ich habe ein Lektorat eingekauft, ich als Pressetante konnte natürlich die Pressearbeit machen und mein Sohn wusste, wie man ein Cover gestaltet. Das Buch hat sich gut verkauft. Dann kam mein zweiter Krimi, »Königstöchter« – und der ging durch die Decke.

Plötzlich kam der Buchhandel und orderte bei mir Bücher. Ich musste jetzt nicht nur ein neues Buch schreiben, sondern auch den Buchhandel mit einem ordentlichen Rabatt beliefern. Das heißt: Bücher drucken lassen, im VLB listen, mit einer ISBN versehen, lagern, verpacken und versenden, Rechnungen schreiben, den Zahlungseingang überwachen – das konnte ich einfach nicht schaffen.

Daher habe ich mir einen Agenten gesucht und siehe da: Es gab zwei große Verlage, die interessiert waren. Inzwischen waren Krimis erschienen – und dann kam das Angebot vom Heyne-Verlag. Ich war, so kitschig das klingt, am Ziel meiner Träume. Ein Publikumsverlag – so ein großer! Aber: Wir brauchten ein ganz neues Buch, mit dem wir die Reihe im Buchhandel starten konnten. Ich habe unterschrieben, obwohl ich für den neuen Roman noch gar keine Idee hatte. Aber es hat geklappt: »Mordkapelle« war rechtzeitig fertig und schaffte es in die Spiegel-Bestseller-Liste.

Krimi-Couch.de: 
Hat sich dadurch, dass Sie jetzt für einen Verlag arbeiten, Ihre Art zu schreiben verändert?

Carla Berling:
Nein, schon deswegen nicht, weil ich in der komfortablen Situation bin, dass ich mit vier fertigen Büchern zu Heyne kam. Da gab es ja die »Marke Carla Berling« schon. Kollegen hatten mich gewarnt: Bei einem Verlag hast du Druck und musst liefern. Das kann ich so nicht bestätigen, im Gegenteil, die Arbeit mit dem Verlag im Rücken ist wesentlich entspannter.

Krimi-Couch.de: 
Die Handlung der Wittekind-Romane spielt in Bad Oeynhausen. Warum haben Sie Ihre westfälische Heimat als Ort der Handlungen in Ihren Romanen gewählt und nicht etwa eine Großstadt – wie Ihren Wohnort Köln? Ist es für Sie – vielleicht genauso wie für Ira – immer wieder eine Rückkehr in Ihre Heimat?

Carla Berling:
Ja, definitiv. Ich habe 42 Jahre in Bad Oeynhausen gelebt, kenne da jeden Stein. Das Schreiben war lange Zeit Therapie gegen mein Heimweh.

Außerdem mag ich Provinzkrimis. Mich interessieren keine Terroristen oder Massenmörder, weil ich in diese Materie nicht eintauchen will. Mich interessiert aber, was passieren muss, damit zum Beispiel eine ganz normale Frau ihren Mann umbringt. Was geschieht hinter den blankgeputzten Fenstern, vor denen die Gardinen mit Plastikstecknadeln festgesteckt und in deren Mitte eine Messingschüssel mit Usambaraveilchen steht – das will ich wissen.

Krimi-Couch.de: 
Ihre Figuren sind durchweg unterhaltsame Typen. Neben der Protagonistin Ira gehört unter anderem deren Freund Andy dazu, ihre beiden Tantchen, die westfälischen Dialekt sprechen und statt Kaffee lieber Schnäpschen trinken, und ihre Freundin Coco, eine Taxifahrerin, die ebenso rasant Informationen beschaffen kann wie sie Taxi fährt. Was war Ihnen bei Ihrer Figurengestaltung wichtig? Gibt es reale Vorbilder wie etwa bei Klaus-Peter Wolf ?

Carla Berling:
Ja, in den Grundzügen der Charaktere schon. Die Taxifahrerin Coco ist zum Beispiel meine Freundin. Die Tanten sind eine Mischung aus meinen Omas, meinen alten Nachbarinnen, meiner Schwester und mir. Es liegen aber weniger konkrete Persönlichkeiten zu Grunde, dafür aber wahre Fälle.

Krimi-Couch.de: 
Sie haben einmal in einem Interview erzählt, dass Ihnen die Idee zum ersten Ira-Wittekind-Roman durch Ihre Arbeit als Zeitungsreporterin kam, als Sie eine Reportage über die Polizeiarbeit schreiben wollten. Woher nehmen Sie noch Ihre Ideen für die Romane?

Carla Berling:
Wir haben früher in Bonn gewohnt. Wenn wir am Kreuzberg spazieren gingen, kamen wir am »Mordkapellenpfad« vorbei. Oft dachte ich: Das wäre ein prima Krimititel. Von der Mutter einer Freundin habe ich dann zufällig die Story bekommen: Die damals 80-jährige Dame hat mir handgeschriebene Aufzeichnungen über einen Apotheker gegeben, der ein Mädchen aus fragwürdigen Motiven adoptiert hatte. Bis zu einem bestimmten Punkt liegt diese wahre Geschichte dem vierten Band zugrunde, deswegen habe ich das Buch der alten Dame gewidmet. Momentan wird es in der Form keine weiteren Fernsehfilme geben.

Bei »Königstöchter«, dem zweiten Band der Reihe, der im Mai beim Heyne-Verlag neu erscheint, gibt es auch reale Vorbilder und Vorfälle, die ich aber so gemischt habe, dass man sie nicht wiedererkennt.

»Sonntags Tod« liegt eine Reportage zu Grunde. Ich war als Reporterin 2002 dabei, als man eine halbverweste Leiche in einer Messi-Wohnung gefunden hat.

Krimi-Couch.de: 
Gibt es Stellen innerhalb des Romans, von denen Sie sagen würden, dass dürfte eine Reporterin im Alltag nicht, aber für den Roman ist es wichtig?

Carla Berling:
Sehr wenig, weil ich da immer ziemlich genau bin. Ich will authentisch sein. Und es ist mir wichtig, die wahre Arbeit der Lokalreporter zu zeigen. Ich habe einmal einen grauenhaften Fall erlebt. Die Polizei informierte die Redaktion zuerst nur über einen brennenden Pkw. Damals wurden die Fotos der Reporter oft von Polizei, Feuerwehr oder Versicherungen benutzt. Ich dachte, es sei so ein Routinefall, aber es war ein erweiterter Suizid, ein Mann war mit seinen Kindern, ein und drei Jahre alt, absichtlich gegen einen Baum gerast. Alle waren tot. Als ich ankam, lag das Baby unter einer Plane noch im Gras. Das vergisst man nie, niemals. Ich konnte meine Kamera vor Zittern und Heulen kaum halten.

Überall standen Schaulustige. Einer sagte: »Guck, die Geier von der Presse sind auch schon wieder da!« Dem Typen bin ich fast ins Gesicht gesprungen …

Das war ein Schlüsselmoment. Als ich die Krimi-Reihe entworfen und mich für eine Reporterin als Ermittlerin entschieden habe, wollte ich zeigen, dass wir seriöse, verantwortungsvolle Menschen sind. Wir sind nicht die Geier von der Presse. Wir wohnen meistens da, wo wir arbeiten und wollen den Leuten nach Feierabend immer noch in die Augen schauen können. Allerdings verdient Ira im Buch mehr als in der Realität. Die Wahrheit hätte mir niemand geglaubt (lacht).

Krimi-Couch:
Wie müssen wir uns Ihren Arbeitsalltag vorstellen? Gibt es zum Beispiel feste Schreibzeiten?

Carla Berling:
Ich bin sehr diszipliniert, stehe früh auf, gehe morgens zum Sport, mache den Haushalt und mittags um zwölf bin ich soweit, dass ich E-Mails beantwortet, Reiseorganisation, Abrechnungen, Lesungsakquisen und andere Büroarbeiten erledigt habe.

Dann lese ich den Text vom Vortag, steige da wieder ein und schreibe. bis auf eine Kaffeepause, wenn mein Mann nach Hause kommt, bis abends um 20 Uhr.

Seit ich beim Heyne-Verlag unter Vertrag stehe, kann ich freitags nachmittags Feierabend machen und habe oft am Wochenende frei.

Früher habe ich durchgearbeitet. Mir fällt nicht immer etwas Kreatives ein, aber ich schreibe trotzdem. Einen schlechten Text kann ich löschen, aber wenn ich nichts schreibe, kann ich auch nichts korrigieren.

Das Interview führte Thomas Gisbertz im Juli 2018.
Foto: © Krimi-Couch.de / Literatur-Couch Medien GmbH & Co. KG

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