Aufgeklärt:
Cosy

„Probier’s mal mit „Gemütlichkeit…“

… sang Balou der Bär in Walt Disneys Zeichentrickversion des „Dschungelbuchs“. Ein Tipp, der auch für die Leserschaft von Kriminalromanen gilt, falls die Schritte auf dem harten Asphalt zu sehr schmerzen, der „Noir“ zu finster ist und auch der Serienkiller von nebenan sein Mittagsschläfchen halten soll. Dann ist möglicherweise die rechte Zeit für ein „Cozy Mystery“, kurz „Cozy“ oder auch „Cosy“ genannt. Letztere Schreibweise hat etwas für sich, da sie eher ans „Kosen“ gemahnt und nicht an eine Magenverstimmung.   Hierzulande wird das literarische Areal gerne, etwas despektierlich aber durchaus treffsicher, auch als Häkel- oder Landhauskrimi bezeichnet.

Wo der Tee mit Gift serviert wird

Gemeint ist jene Art von Romanen, in denen Kriminalität in die meist ländliche Gesellschaft einbricht und dort für Aufregung, Verschiebungen im sozialen Gefüge und Ermittlungen von (selbst)berufener Seite sorgt. Es geht gemächlich zu, Idyllische Momente kontrastieren die oft nicht zimperlichen Morde. Die allerdings selten als traumatische Erlebnisse taugen, sondern eher unliebsame, tödliche Zwischenfälle darstellen, die den Alltag lästigerweise unterbrechen, durcheinanderwirbeln, aber auch für Abwechslung und gepflegte Aufregung sorgen.  Dabei müssen gar nicht unbedingt Morde im Mittelpunkt stehen, aber Todesfälle sind an der Tagesordnung. In den Verfilmungen um Caroline Grahams Inspector Barnaby (nur wenige frühe Folgen beruhen auf ihren Romanen) liegt der Schnitt bei mehr als drei Toten pro Folge. Eigentlich genug, um die fiktive Midsomer-Grafschaft merklich zu entvölkern.

Verbrechen stören vor allem deshalb ungebührlich, weil sie vorzugsweise geschehen oder publik werden, wenn man sich gerade zum Fünf-Uhr-Tee begeben möchte, der Buchclub sich trifft, Volksfeste auszurichten oder Gärten zu prämieren sind (die Liste ist beliebig erweiterbar).

Dass am Ende der Störenfried oder sein weibliches Äquivalent überführt wird, gehört zum Wesen und der innigen Bedürfnisbefriedigung des Cozys.  Die Welt darf ganz kurz in Aufregung und Unordnung geraten, doch schlussendlich muss wieder Ruhe, Frieden, Gerechtigkeit und Wohlbehagen einkehren. Zumindest für den Moment.

Miss Marple wird’s schon richten

Die Patronin des Komplexes ist natürlich Agatha Christies Miss Marple. Wobei den Filmen mit Margaret Rutherford ein ebenbürtiger Anteil zugeschrieben werden muss. Obwohl Rutherford nicht dem Entwurf der Autorin von Miss Marple in ihren zwölf Romanauftritten entsprach, prägte sie diese Figur für Millionen von Kinogängern und Fernsehkindern. Unterstützung gab es von Dorothy Sayers‘ Lord Peter Wimsey und Gilbert Keith Chestertons Father Brown.  Gerade letzterer ist prägend für einen weiteren Bestandteil gelungener Cozys: Eine gehörige Portion Gesellschaftskritik, zuvorderst selbstverständlich an Middle- und Upper-Class,, verpackt in mild erscheinende Ironie. Auch wenn oft mit den Jahren nicht mehr übrigbleibt als spöttische Betrachtungen geradezu inzestuösen Dorflebens, ist der Anteil freiwilliger Komik nicht unbeträchtlich. Der unfreiwilliger leider auch.

Eine späte Begriffsfindung

Auch wenn sich der Begriff Cozy bereits auf die Frühzeit der Kriminalliteratur und besonders aufs sogenannte goldene Zeitalter anwenden lässt, ist die Zuordnung doch eine rückwirkende. Denn entstanden ist die treffende Bezeichnung erst im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert, als sich zahlreiche Autor*innen zurückbesannen, um (scheinbar) beschauliche, vor allem überschaubare Sujets zu schaffen, in denen Morde wieder die Kaffeekränzchen in helle Aufregung versetzten. Quasi ein konzeptioneller Gegenentwurf zu immer brutaler werdenden Psycho- und Serienkiller-Thrillern, die in einer technokratischen, von Entfremdung und, nicht nur im Digitalen, von Beiläufigkeit geprägten Welt spielen.  In der Empathie und Spannung mittels Folter, Blutfontänen, Missbrauch und Mord erzeugt werden. Nicht so im kühlen Wiesengrunde, wo der Ortspfarrer noch seine Schäfchen persönlich zählt. Beziehungsweise das Schrumpfen der Herde konstatiert.

Der Vikar bekommt seinen Song

Ex-GENESIS-Gitarrist Steve Hackett widmete den Song „Carry On Up The Vicarage“ auf seinem Album „Please Don’t Touch“ Agatha Christie und schuf mit dieser Hommage eine humorvolle und stimmige Zusammenfassung des Genres, die in den Zeilen gipfelt:  „The village vet was drowned in the pigswill, You wonder whose turn will be next,"In the world of sinners all are condemned,  My son this gun's loaded" (übersetzt etwa: Der Dorftierarzt wurde im Schweinetrog ertränkt, du fragst dich, wer der Nächste ist: „In einer Welt der Sünder ist jeder verdammt, mein Sohn, die Waffe ist schon geladen“).

Ein buntes Panoptikum voller launiger Spürnasen

Die Idylle ist unterwandert von Missetaten hinter Spitzenstores. Doch es finden sich immer engagierte Amateure, seltener Profis, die sich ihre eigene Ermittlung zusammenbasteln oder sich ungefragt  in polizeiliche Untersuchungen mischen, um diese auf den Kopf zu stellen, heißt in diesem Fall, sie in die richtige Spur zu bringen, die zum Täter oder der Täterin führt. Unter den Spürnasen finden sich rüstige Rentnerinnen wie Miss Marple. In Gestalt von Agatha Raisin darf es eine ehemalige PR-Managerin sein, Colin Cotterills Dr . Siri, der mit dem Handlungsort Laos den Cozy in die große, weite Welt entführt,  ist Pathologe. Charlotte MacLeods Peter Shandy doziert eigentlich als ordentlicher Professor, die Amerikanerin Lori Shepherd verschlägt es ins ländliche England, wo sie mittels spiritueller Verbindung zu ihrer (un)toten Tante Dimity  Kriminalfälle löst. Beteiligt ist zudem ein rosafarbener Plüschhase namens Reginald.

Vor tierischen Ermittlern macht der Cozy eh nicht halt, bestes Beispiel dürfte Rita Mae Browns Katzendetektivin Mrs. Murphy sein, während die Siamkatzen Yoko und Yum Yum, erschaffen von Namensvetterin Lilian Jackson Braun, ihrem Herrchen, dem Lokalreporter  James Qwilleran, nicht nur in den jeweiligen Romantiteln maßgeblich zur Seite stehen.

In der filmischen Mischung aus Würdigung und Parodie „Sherlock Gnomes“ durften 2018, fast klischeehaft passend, digital erzeugte Gartenzwerge auf Verbrecherjagd gehen.

Wo die Flopsi-Häschen bitterlich weinen

Wenn es einen idealtypischen Cozy gäbe, böte sich Martin Edwards „The cipher garden“ („Die ohne Schuld sind“) geradezu an. Eine Polizistin und ein Historiker, unglückselig verbandelt, ermitteln bezüglich diverser Morde, die ein Kapuzenmann auf gar schröckliche Weise begeht. Die Geschichte reicht weit in die Vergangenheit hinein, ein kunstvoller „Zifferngarten“ spielt eine gewichtige Rolle, am Ende wird nach der glücklichen Auflösung kurz Händchen gehalten. Höhepunkt des Buchs ist ein Besuch im Beatrix Potter-Haus, in dem die unvergleichliche Künstlerin residierte und arbeitete, die uns Peter Hase, Herrn Schnappeschlau, Schweinchen Schwapp, Eichhörnchen Nusper, Tiggy Wiggel, Timmy Triptrap, Jemima Pratschel-Watschel und andere, unvergessliche Figuren schenkte. Das hätte alles wunderschön sein können, ein Platz auf dem Cozy-Thron einnehmen müssen, doch leider zeigt die dröge Erzählung gnadenlos die Schattenseiten auf, zu denen Cozys ein allzu inniges Verhältnis haben. Zähe Betulichkeit, unbedarfte Protagonisten, verschlepptes Timing, kaum Witz und kein Esprit, so wird nicht  nur der Cozy zur dauerhaften Agonie. Die beste Pointe ist eine zufällige: Es scheint den ganzen Roman über die Sonne. Mitten in England.

Was der schwedische Butler sah

Während der Cozy nach den Sechzigern, die uns unter anderem Miss Marple- und deutsch-italienische(!) Pater Brown-Verfilmungen bescherten, im Kino nur selten stattfand, hat er sich einen festen Platz im Fernsehen erobert. Der bereits erwähnte Inspector Barnaby ist seit 1997 in den „Midsomer Murders“ aktiv. Der Staffelstab wurde 2011 von Tom Barnaby (John  Nettles) an seinen Cousin Tom (Neil Dudgeon) weitergereicht.  In den Anfangsjahren stammten zahlreiche Drehbücher von Anthony Horowitz, der sich geschickt als Arthur Conan Doyle-Nachfolger versuchte.

Lord Peter Wimsey brachte es Mitte der Siebziger auf fünf, vor allem in England erfolgreiche, Staffeln. Father Brown wurde gleich mehrfach zur Sonntagspredigt ins Fernsehen geschickt. Dank häufiger Wiederholungen prägend für Baby Boomer war die Interpretation Josef Meinrads als „Pater Brown“ in der von 1966 bis 1972 produzierten Serie. 1974 schlüpfte Kenneth More gekonnt ins Priestergewand. Seit 2013 kümmert sich Mark Williams in mittlerweile sieben Staffeln für die BBC um kriminelle und kirchliche Belange. Der Geist des Originals wird in Mores und Williams‘ Interpretationen recht gut erfasst. Was man von der unsäglichen Variante mit Ottfried Fischer als „Pfarrer Braun“ nicht behaupten kann. Diese Version zeigt bestenfalls, warum viele deutsche Regio-Krimis nicht als Cozy funktionieren. Verbrechensentwürfe als Postkartenkitsch, der aussieht als wären die Bücher von minderbegabten Lohnschreibern im Auftrag des Fremdenverkehrsamts verfasst worden.

In die neuen Kolonien und zurück

Wesentlich unterhaltsamer, schwungvoller, mit Chic und Charme schlug sich Miss Phryne Fisher in ihren Kriminalfällen. Die in den goldenen Zwanzigern angesiedelte Australische Serie basiert auf den Romanen von Kerry Greenwood und brachte es auf drei Staffeln. „Miass Fishers mysteriöse Mordfälle“ servierte gekonnt in Szene gesetztes Lokal- und Zeitkolorit und bot feine Screwball-Komödienparts, dargereicht von einem gut aufgelegten Ensemble, an dessen Spitze Essie Davis („The Babadook“) als die gewitzte Miss Fisher thront.  

Agatha Christie’s Miss Marple fand sich in zwei Serien wieder. Darstellerin Joan Hickson kam ihrem literarischen Vorbild sehr nahe, Geraldine McEwan nicht so sehr. 1983 schlug sich die Mini-Serie „Agatha Christie’s Partners in Crime: The Tommy & Tuppence Mysteries“ („Detektei Blunt“) recht wacker. Nicht zu vergessen David Suchet als Hercule Poirot, den er von 1988 bis 2003 in insgesamt 71 Folgen kongenial verkörperte.

Ein erfolgreich beackerter Ziergarten und kein Ende in Sicht

Nur ein kleiner Auszug aus einer langen Liste, die man nach Lust und Laune fortsetzen und erweitern kann (um „Murder She Wrote“ („Mord war ihr Hobby“) und am Rande „Candice Renoir“ beispielsweise). Wer in diesen Zeiten voller kleiner und großer Katastrophen einmal die Nase voll hat vom alltäglichen Schrecken, findet ein weites Feld für vergnügliche und entspannende Fluchten in die Welt der Cozys, in der üble Zeitgenossen immer ihre gerechte Strafe erhalten. Als überführte Straftäter oder Opfer skurriler Morde. Da kann selbst Legolas mit einer wuchtig in den Leib gerammten Forke enden*.

* „Midsomer Murders: Judgement Day“ („Inspector Barnaby: Der Mistgabel-Mörder“, 1999)

"Aufgeklärt: Cosy" von Jochen König
Foto: © istock.com/peepo

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